Kein Tatnachweis bei Drogenbestellungen über das Darknet

Immer wieder kommt es zu Strafverfahren aufgrund von (angeblichen) Bestellungen von Betäubungsmitteln im Darknet. In vielen Fällen beruhen diese Verfahren letztlich nur auf einer ermittelten Adresse des Empfängers auf einer abgefangenen Postsendung oder Bestelllisten eines hochgenommenen „Marktplatzes“.

Autor

Tommy Kujus

Aktualisiert

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    Das sagt das Gesetz:

Bestellungen im Darknet

Ein Auftreten im Darknet oder Deepweb ist weitestgehend anonym. Das ist freilich auch der Sinn des Darknets. Das gilt auch für illegale Geschäfte, wie Drogenbestellungen.

Typische Ermittlungsansätze, die im Clearnet erfolgsversprechend sind, schlagen im Darknet regelmäßig fehl. Klarnamen werden auf den Online-Marktplätzen nicht genutzt. Die Datenabfrage bei Darknet-Handelsplattformen nach dem Telemediengesetz verläuft im Sande. Zwangsmittel erscheinen aussichtlos, da die Betreiber nicht identifizierbar sind. Die Sicherstellung von Kommunikationsdaten und die Überwachung der Telekommunikationsdaten scheitert regelmäßig am verschlüsselten Datenverkehr. Zu guter Letzt scheitern Finanzermittlungen bei Drogenbestellungen im Darknet an der Tatsaches, dass die Bezahlung über Krypto-Währungen wie BitCoins erfolgt.

Dennoch werden regelmäßig Ermittlungsverfahren gegen vermeintliche Besteller eingeleitet. Sofern Ermittlungsansätze nicht durch verdeckt agierende Beamte auf entsprechenden Marktplätzen generiert werden, liegt die Ursache häufig an „Besteller-„ und „Kundenlisten“, die den Ermittlungsbehörden in die Hände fallen, oder an abgefangenen Paketen.

Abfangen von Kundendaten

Die Liste der nicht ganz freiwillig vom Netz genommenen Darknet-Marktplätzen ist lang und enthält unter anderem bekannte Namen wie Alphabay, Silk Road 2.0, Pandora, Shiny Flakes, Hansa oder Blue Sky. Dabei ergattern die Behörden oft ansehnliche Mengen an Daten.

Denn viele BtM-Händler führen eine äußerst vorbildliche Buchhaltung über ihre Kunden. In diesen Listen werden Lieferadressen ebenso gespeichert wie Art und Anzahl der Bestellungen.

Gelangen diese Informationen, etwa im Rahmen einer Hausdurchsuchung in die Hände der Ermittlungsbehörden, werden unzählige weitere Ermittlungverfahren gegen die Besteller eingeleitet.

Beim Handel mit Betäubungsmitteln kommt es zudem häufig vor, dass ein Anbieter vom „31er“, also der sogenannten „Kronzeugen-“ oder „Judasregelung“ in § 31 BtMG Gebrauch macht und Daten über Abnehmer und Lieferanten angibt.

Abgefangene Post

Beim Drogenkauf im Darknet vermag zwar der Bestellprozess anonymisiert abzulaufen, aber spätestens der Versand der Betäubungsmittel erfolgt in der analogen Welt.

Oft werden Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil ein Paket abgefangen wird. Manches Mal fällt den Paktdiensten etwas Ungewöhnliches auf, in anderen Fällen wurden Personen oder Briefkästen observiert. In vielen Fällen ist ein Absender des Paketes nicht ersichtlich, wohl aber der Empfänger. Viele Käufer geben zudem ihre tatsächliche Wohnanschrift an.

Kein Tatnachweis bei Drogenbestellungen über das Darknet

Vorladung, Durchsuchung und Anklage

Wird der Erwerb von Betäubungsmitteln vorgeworfen, ist ein Durchsuchungsbeschluss nicht weit. Unabhängig von der Suche nach Betäubungsmitteln werden dabei Computer, Tablets und Smartphones ausgewertet, um die vorgeworfene (und ggf. weitere) Bestellung nachweisen zu können.

Auch wenn sich dabei nichts findet, scheint der Staatsanwaltschaft eine Empfängeranschrift für die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts regelmäßig auszureichen. Entsprechend emsig wird in solchen Fällen die öffentliche Anklage erhoben.

Kein Tatnachweis zu führen

Allerdings kann die Empfängeradresse allein für einen Tatnachweis nicht ausreichend sein.

Es ist denkbar, dass die angegebene Empfangsadresse überhaupt nicht zum Besteller gehört. Dies entweder aus Vorsicht des eigentlichen Bestellers oder um dem Adressaten bewusst zu belasten. Insbesondere in Wohnblocks oder Wohngemeinschaften ist es einfach, Bestellungen abzufangen.

Jedenfalls lässt sich aus einer Bestellerliste oder der Empfängeradresse eines abgefangenen Paketes nicht mit der für eine Verurteilung hinreichenden Wahrscheinlichkeit ableiten, dass der Adressat auch tatsächlich Drogen bestellt hat.

Gerichte lehnen Tatverdacht ab

Inzwischen beurteilen auch die Gerichte Darknet-Bestellungen differenzierter.

Nachfolgend einige Beispiele aus den letzten Jahren:

Entscheidung des AG Köln vom 19.12.2016

So sah bereits das Amtsgericht Köln mit Beschluss vom 19.12.2016 – 543 Ds 437/16 keinen hinreichenden Tatverdacht. Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft stütze sich lediglich auf die Empfangsadresse des Angeschuldigten auf einem abgefangenen Paket.

Nach den Ergebnissen des vorbereitenden Verfahrens erscheint der Angeschuldigte einer Straftat nicht hinreichend verdächtig. Hinreichender Tatverdacht im Sinne des § 203 StPO ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung wahrscheinlich ist.

Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Dem Angeschuldigten wird mit Anklageschrift vom 03.11.2016 vorgeworfen, er habe sich in den Niederlanden Amphetamin und MDMA an seine Wohnanschrift bestellt.

Nach dem Ermittlungsergebnis beruht der Tatverdacht auf der Tatsache, dass durch den Zoll eine entsprechende Sendung am 07.07.2016 sichergestellt wurde. Auf dieser Sendung befand sich als Empfänger Name und Anschrift des Angeschuldigten.

Der Angeschuldigte bestreitet, eine entsprechende Bestellung aufgegeben zu haben. Da weitere konkrete Anhaltspunkte für die Bestellung durch den Angeklagten selbst nicht gegeben sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine andere Person – möglicherweise auch mit Wissen des Angeklagten – Bestellungen unter Verwendung der Anschrift des Angeklagten aufgegeben hat, um die Sendung dort in Empfang zu nehmen.

Entscheidung des AG Iserloh vom 10.03.2017

In diesem Verfahren sollen laut Anklage Betäubungsmittel über das Darknet bestellt worden sein. Ein an den Angeschuldigten adressiertes Paket wurde abgefangen. Das Amtsgericht Iserloh sah die Beweislage aber (zu Recht!) als zu dünn an und lehnte eine Eröffnung mit Beschluss vom 10.03.2017 – Az. 16 Ds 139/17 ab.

Dem Angeschuldigten wird vorgeworfen, über das sogenannte Darknet in zwei Fällen Kokain bestellt zu haben, welches ihm allerdings nur in einem Fall per Post geliefert worden sein soll, weil eine der Sendungen zuvor abgefangen worden war. Insoweit wird ihm Erwerb und versuchter Erwerb von Betäubungsmitteln zur Last gelegt.

Der Angeschuldigte bestreitet die Tat.

Vor diesem Hintergrund ist eine Verurteilung mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln nicht wahrscheinlich, da letztlich nicht ausgeschlossen werden kann, dass eine andere Person mit oder ohne Wissen des Angeschuldigten die entsprechenden Bestellungen aufgegeben haben kann.

Mithin war die Eröffnung des Verfahrens mangels hinreichender Verurteilungswahrscheinlichkeit aus tatsächlichen Gründen abzulehnen.

Entscheidung des AG Mannheim vom 25.04.2018

Auch in einem diesem Verfahren führte die Spur der Ermittler zu dem Angeschuldigten. Nach einer Durchsuchung bei diesem ergab die Auswertung eines Computers, dass dort ein Tor-Browser installiert war. Ein gefundenes Fressen also für die Staatsanwaltschaft, die prompt Anklage erhob.

Das AG Mannheim zog daraus begrüßenswerter Weise jedoch nicht dieselben Schlüsse. Mit Beschluss vom 25.04.2018 – Az. 1 Ls 805 Js 21014/15 lehnte das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens ab. Das sah dann Auszugsweise wie folgt aus:

Die Eröffnung war abzulehnen, da ein hinreichender Tatverdacht nicht besteht.
Ein hinreichender Tatverdacht ist gegeben, wenn zu erwarten ist, dass es in einer Hauptverhandlung zu einer Verurteilung des Angeschuldigten kommen wird.
Dies ist vorliegend nicht der Fall. Eine Täterschaft des Angeschuldigten wird nicht nachgewiesen werden können.
Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des ZFA Berlin-Brandenburg konnte der gesondert Verfolgte pp. als Inhaber des silk-road-Accounts pp. ermittelt werden, Er überließ den Ermittlern eine Aufstellung von angeblichen Betäubungsmittelerwerbern.
In dieser Aufstellung ist folgender Datensatz enthalten:

pp.
Straße
0,5 Gramm Koks
verschickt am 13.05.
per Standardbrief

Einen persönlichen Kontakt zwischen dem gesondert verfolgten pp. und dem Erwerber pp. gab es nicht. Damit kann nicht nachgewiesen werden, dass es sich bei dem Besteller der 0,5 Gramm Kokain tatsächlich um den Angeschuldigten pp. handelte. Im Betäubungsmittelbereich ist es durchaus üblich Fremdpersonalien, mit oder ohne Wissen des Betroffenen, zu verwenden.
Die angebliche Lieferung von 0,5 Gramm Kokain wurde per Standardbrief verschickt. Damit ist nicht nachvollziehbar, wer die Sendung in Empfang genommen hat und ob diese überhaupt abgeschickt wurde.

Wie sich aus einem Lichtbild des Anwesens pp.Straße auf google-streetview ergibt, handelt es sich hierbei um einen Gebäudekomplex mit mehreren Wohneinheiten. Die Briefkastenanlage befindet sich im Eingangsbereich vor der Abschlusstür und ist insoweit frei zugänglich. Es handelt sich insgesamt um mindestens 30 Briefkästen.
Vor diesem Hintergrund wird nicht mit der für eine Verurteilung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden können, dass der Angeschuldigte als Benutzer MP 0,5 Gramm Kokain von dem gesondert verfolgten pp. bezogen hat. Mithin fehlt es an einem hinreichenden Tatverdacht hinsichtlich der Tat Ziffer 8.

Aus dem Ausgeführten ergibt sich jedoch, dass auch hinsichtlich der Taten 1 bis 7 eine Verurteilung des Angeschuldigten nicht zu erwarten ist. Der Nachweis, dass er die Person war, die als Nutzer pp. die Betäubungsmittel erworben und erhalten hat, wird nicht geführt werden können.
Die elektronischen Endgeräte des Angeschuldigten wurden seitens der Polizei ausgewertet. Auf keinem der Geräte befanden sich relevante Dateien (Schuldnerlisten oder ähnliches). Soweit auf dem noch sichergestellten PC des Angeschuldigten ein TOR-Browser installiert ist, vermag dies ebenfalls einen Tatverdacht nicht zu begründen.

Zwar ist der TOR-Browser erforderlich, um sich in das sogenannte Darknet einzuwählen.
Allerdings ist es mittlerweile so, dass dieser Browser sogar über seriöse Webseiten (z.B. Chip.de) zum download angeboten wird, damit der interessierte Nutzer sich einen Einblick in das Darknet verschaffen kann. Hieraus den Schluss zu ziehen, dass beabsichtigt ist, rechtswidrige Taten zu begehen, ist nicht statthaft.
Mithin wird in einer Hauptverhandlung der Nachweis nicht geführt werden können, dass der Angeschuldigte als pp. bei den Verkäufern pp. und pp. Betäubungsmittel bestellt und erhalten hat.

Kein Tatnachweis bei Drogenbestellungen über das Darknet

Entscheidung des AG Tiergarten vom 20.06.2018

So wie die Amtsgerichte in den vorgenannten Beschlüssen sah es auch das Amtsgericht Berlin-Tiergarten in einem ähnlich gelagerten Fall. Eine Packliste von chemical-love führte in diesem Fall zum Angeschuldigten.

Dem Angeschuldigten wird mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Berlin vom 21.08.2017 zur Last gelegt, zwischen dem 30.01. und 02.04.2016 durch vier selbständige Handlungen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben (§§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 53 StGB).

Der Angeschuldigte bestellte an folgenden Tagen über Internet über die
Website “chemical-love. to” bzw. “chemical-love.cc” folgende Betäubungsmittel zum Versand an seine Wohnanschrift in der pp. Berlin:

    1. Am 03.01.2016: 50 g Amfetamin
    2. Am 30.01.2016: 100 g Amfetamin und 5 Stück pinkfarbene Tabletten des Wirkstoffes MDMA (3,4-Methylendioxymethamfetamin)
    3. Am 29.02.2016: 100 g Amfetamin
    4. Am 02.04.2016: 100 g Amfetamin

Der Angeschuldigte handelte in allen Fällen in der Absicht, die Substanzen gewinnbringend zu verkaufen. Zudem war ihm jeweils bewusst, dass er nicht über die zum Vertrieb der genannten Substanzen erforderliche Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte verfügte.

Verbrechen, strafbar nach §§ 1 Abs. 1 i.V.m. Anlage III, 3 Abs. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG, 53 StGB.

Zwar gibt es eine Packliste, die bei den Betreibern des Webshops „chemical-Love”, aus der sich als billing-address und shipping address der Name und die Anschrift des Angeklagten ergibt. Aus dem bei ihm sichergestellten Lebenslauf des Angeklagten ergibt sich, dass er Amphetamin, Kokain und Heroin konsumierte.

Es kann jedoch nicht mit hinreichender Sicherheit festgestellt werden, ob der Angeklagte die Betäubungsmittel selbst bestellt und auch tatsächlich selbst erhalten hat. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass er mit Betäubungsmittel Handel getrieben hat. Aus seinem Lebenslauf ergibt sich darüber hinaus nicht, wann er Amphetamin in welchen Mengen konsumiert hat.

Bei der Wohnungsdurchsuchung sind keine Betäubungsmittel sichergestellt worden.

Die Eröffnung des Hauptverfahrens war daher gemäß § 204 Abs. 1 StPO aus tatsächlichen Gründen abzulehnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 StPO.

Fazit

Wie die genannten Entscheidungen bestätigen, reicht es für die Annahme eines hinreichenden Tatverdachts nicht aus, dass jemand Zugangssoftware zum Darknet auf seinem Computer installiert hat. Ebenso wenig reichen hierfür Wohnadressen, die als Versandadressen angegeben waren. Gerade beim Versand von Betäubungsmitteln ist die Nutzung fremder Namen keine Seltenheit. Jedenfalls gereicht das Vorliegen einer dieser beiden Tatsachen, ob allein oder auch kumulativ,  nicht zum Nachweis eines tatsächlichen Erhalts vermeintlich bestellter Drogen.

Die zitierten Entscheidungen sind daher erfreulich und es bleibt zu hoffen, dass sich diese Sicht unter den Gerichten und Staatsanwaltschaften weiter herumspricht. In ähnlich gelagerten Fällen konnten bereits einige Verfahrenseinstellungen bei der Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO erreicht werden. Gleichwohl scheint die Anklagewut derzeit ebenso wenig abzunehmen wie die Aktualität von BtM-Bestellungen im Deep-Web.

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