Pflichtverteidigung

Um die Pflichtverteidigung ranken sich viele Mythen. So kommen im Zusammenhang mit der Pflichtverteidigung häufig Fragen wie „Wem steht eigentlich ein Pflichtverteidiger zu?“ oder „Wie steht es um die Qualität eines Pflichtverteidigers im Vergleich zu einem Wahlverteidiger?“ auf. Die Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie im folgenden Beitrag.

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Bekannt aus

Tommy Kujus
Strafverteidiger

Aktualisiert am 06.01.2025

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In einem Strafverfahren geht es oft um weitreichende Konsequenzen, die nicht nur die persönliche Freiheit des Angeklagten betreffen, sondern auch seine finanzielle und gesellschaftliche Existenz. Gerade in solchen Situationen ist eine professionelle Verteidigung entscheidend, um die eigenen Rechte zu wahren und sich effektiv gegen die Vorwürfe zu wehren. Doch was geschieht, wenn der Beschuldigte keinen Anwalt beauftragen kann oder möchte? Hier kommt die Pflichtverteidigung ins Spiel.Dieser Artikel bietet einen vollständigen Überblick über die Pflichtverteidigung, von den rechtlichen Grundlagen bis hin zu praktischen Fragen wie Kosten, Antragstellung und den Rechten des Beschuldigten.

Was ist ein Pflichtverteidiger?

Ein Pflichtverteidiger ist ein Rechtsanwalt, der vom Gericht beigeordnet wird, wenn der Beschuldigte nach den gesetzlichen Regelungen eine Verteidigung benötigt, aber keinen Wahlverteidiger benannt hat. Ziel der Pflichtverteidigung ist es, dem Angeklagten eine faire Verteidigung zu ermöglichen, insbesondere in Fällen, in denen die Schwere der Tat oder die Komplexität der Rechtslage eine anwaltliche Unterstützung unabdingbar machen.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Pflichtverteidigung nicht von der finanziellen Lage des Beschuldigten abhängt. Selbst Personen, die sich einen Wahlverteidiger leisten könnten, haben Anspruch auf einen Pflichtverteidiger, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine notwendige Verteidigung vorliegen.

Warum ist die Pflichtverteidigung wichtig?

Ein Strafverfahren ist oft von ungleichen Machtverhältnissen geprägt: Auf der einen Seite stehen die Ermittlungsbehörden mit ihren umfangreichen Ressourcen, auf der anderen Seite der Beschuldigte, der sich mitunter allein gegen die Vorwürfe verteidigen muss. Die Pflichtverteidigung stellt sicher, dass auch in solchen Fällen die Rechte des Angeklagten gewahrt werden.

Schutz vor unzulässigen Maßnahmen

Ein erfahrener Pflichtverteidiger kennt die Grenzen zulässiger Ermittlungsmaßnahmen und kann sicherstellen, dass der Beschuldigte nicht durch unrechtmäßige Durchsuchungen, Vernehmungen oder andere Eingriffe benachteiligt wird.

Unterstützung bei komplexen Verfahren

In Verfahren mit komplizierten Rechtsfragen oder einer umfangreichen Beweislage kann ein Laie oft nicht abschätzen, welche Schritte für seine Verteidigung notwendig sind. Ein Pflichtverteidiger übernimmt diese Aufgabe und stellt sicher, dass keine rechtlichen Fehler gemacht werden.

Voraussetzungen für die Beiordnung eines Pflichtverteidigers

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers erfolgt gemäß § 140 StPO, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Diese werden in zwei Kategorien unterteilt: die zwingende notwendige Verteidigung (§ 140 Abs. 1 StPO) und die fakultative notwendige Verteidigung (§ 140 Abs. 2 StPO).

Zwingende notwendige Verteidigung (§ 140 Abs. 1 StPO)

Das Gericht ist verpflichtet, einen Pflichtverteidiger zu bestellen, wenn:

das Verfahren vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht stattfindet,

dem Beschuldigten ein Verbrechen vorgeworfen wird,

Untersuchungshaft oder vorläufige Unterbringung angeordnet wurde,

der Beschuldigte sich seit mindestens drei Monaten in einer Anstalt befindet, und das Verfahren nicht sofort abgeschlossen wird,

dem Nebenkläger ein Anwalt beigeordnet wurde.

Fakultative notwendige Verteidigung (§ 140 Abs. 2 StPO)

Zusätzlich kann ein Pflichtverteidiger bestellt werden, wenn die Schwere der Tat, die Schwierigkeit der Rechtslage oder die persönliche Situation des Beschuldigten dies erfordern. Beispiele sind:

komplizierte Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen,

der Beschuldigte hat gesundheitliche Einschränkungen, die eine Selbstverteidigung unmöglich machen,

die drohende Strafe ist besonders hoch (z. B. Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr).

Beispiele aus der Praxis

Komplexe Sachverhalte: Wenn ein Gutachten ausgewertet werden muss oder widersprüchliche Zeugenaussagen im Raum stehen, wird oft ein Pflichtverteidiger beigeordnet.

Internationale Aspekte: Bei Verfahren mit ausländischen Beschuldigten, die Sprachbarrieren oder unterschiedliche rechtliche Hintergründe mitbringen, ist eine Verteidigung oft unverzichtbar.

Pflichtverteidigung im Jugendstrafrecht

Im Jugendstrafrecht gelten besondere Vorschriften, die sich an der schutzbedürftigen und entwicklungsbedingten Situation junger Menschen orientieren. Nach § 68 JGG ist ein Pflichtverteidiger insbesondere dann erforderlich, wenn:

der Jugendliche sich in Untersuchungshaft befindet,

das Verfahren vor einem höheren Gericht stattfindet, oder

die Schwere der Tat oder die Unreife des Jugendlichen eine professionelle Verteidigung erfordern.

Gerade bei Jugendlichen wird die Pflichtverteidigung großzügiger ausgelegt, da sie oft nicht in der Lage sind, die Konsequenzen ihres Handelns oder die Bedeutung eines Strafverfahrens voll zu erfassen.

Der Ablauf der Pflichtverteidigung

Bestellung durch das Gericht

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers erfolgt entweder automatisch durch das Gericht oder auf Antrag des Beschuldigten.

Automatische Bestellung: Liegen eindeutige Fälle der notwendigen Verteidigung vor, wie z. B. Untersuchungshaft oder ein Verfahren vor dem Landgericht, ordnet das Gericht von sich aus einen Pflichtverteidiger bei.

Antragstellung: In allen anderen Fällen muss der Beschuldigte selbst oder über seinen Wahlverteidiger die Beiordnung beantragen.

Auswahl des Pflichtverteidigers

Der Beschuldigte hat das Recht, einen Anwalt seiner Wahl als Pflichtverteidiger vorzuschlagen. Das Gericht ist verpflichtet, diesen Vorschlag zu berücksichtigen, sofern keine wichtigen Gründe dagegen sprechen (z. B. mangelnde Verfügbarkeit des Anwalts).

Rücknahme der Beiordnung

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers kann widerrufen werden, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung nicht mehr vorliegen. Ein typischer Fall ist, wenn der Beschuldigte nachträglich einen Wahlverteidiger beauftragt.

Kosten der Pflichtverteidigung

Wer trägt die Kosten?

Die Kosten für den Pflichtverteidiger werden zunächst von der Staatskasse übernommen. Bei einer Verurteilung jedoch können diese Kosten vom Angeklagten zurückgefordert werden.

Sonderregelungen im Jugendstrafrecht

Im Jugendstrafverfahren trägt die Staatskasse häufig die Kosten des Pflichtverteidigers, selbst bei einer Verurteilung. Diese Regelung soll die finanzielle Belastung der Eltern oder Erziehungsberechtigten vermeiden.

Vergütungsvereinbarungen

Ein Pflichtverteidiger erhält eine geringere Vergütung als ein Wahlverteidiger, da seine Gebühren gesetzlich festgelegt sind. Mandanten und Pflichtverteidiger können jedoch eine zusätzliche Vergütungsvereinbarung treffen, um die Differenz auszugleichen.

Häufige Missverständnisse zur Pflichtverteidigung

Ist ein Pflichtverteidiger ein „Anwalt zweiter Klasse“?

Nein. Ein Pflichtverteidiger ist ein qualifizierter Rechtsanwalt, der die gleichen beruflichen und ethischen Standards einhalten muss wie ein Wahlverteidiger. Das Gericht wählt Pflichtverteidiger aus einem Pool erfahrener Anwälte aus, um eine faire Verteidigung sicherzustellen.

Was passiert bei einem Freispruch?

Wenn der Angeklagte freigesprochen wird, trägt die Staatskasse alle Kosten des Pflichtverteidigers. Der Angeklagte muss in diesem Fall keine Rückzahlung leisten.

Wechsel des Pflichtverteidigers

Der Wechsel eines Pflichtverteidigers ist möglich, wenn ein nachhaltiger Vertrauensbruch zwischen Anwalt und Mandant nachweisbar ist. Gründe können sein:

mangelnde Kommunikation,

Versäumnisse des Anwalts bei wichtigen Verfahrensschritten, oder

ein Konflikt, der die Zusammenarbeit unzumutbar macht.

Das Gericht entscheidet über solche Anträge individuell.

Fazit

Die Pflichtverteidigung ist ein essenzieller Bestandteil des deutschen Strafrechts. Sie sichert das Recht auf eine faire Verteidigung und schützt Beschuldigte vor den Ungleichgewichten eines Strafverfahrens. Obwohl sie oft missverstanden wird, handelt es sich dabei um ein hochwertiges Rechtsinstrument, das auch in schwierigen Situationen die Wahrung der Rechte des Angeklagten garantiert.

FAQs zur Pflichtverteidigung

1. Kann ich meinen Pflichtverteidiger frei wählen?
Ja, der Angeklagte kann dem Gericht einen Anwalt seiner Wahl vorschlagen.

2. Was kostet ein Pflichtverteidiger?
Die Kosten werden zunächst vom Staat übernommen. Bei einer Verurteilung muss der Angeklagte sie jedoch erstatten.

3. Kann ich meinen Pflichtverteidiger wechseln?
Ein Wechsel ist möglich, wenn das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört ist.

4. Gibt es Pflichtverteidigung auch im Jugendstrafrecht?
Ja, im Jugendstrafrecht wird sogar schneller ein Pflichtverteidiger beigeordnet.

5. Ist ein Pflichtverteidiger schlechter als ein Wahlverteidiger?
Nein. Pflichtverteidiger sind genauso qualifiziert wie Wahlverteidiger und unterliegen denselben Standards.

Über den Autor
Tommy Kujus ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht. Er ist Inhaber der Leipziger Kanzlei KUJUS Strafverteidigung, und bundesweit als Strafverteidiger tätig.

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