Aussetzung, § 221 StGB

Dass Kinder von ihren Eltern im Wald ausgesetzt werden, hört sich an wie im Märchen. Leider passiert die Straftat der „Aussetzung“ gem. § 221 StGB auch in der realen Welt. Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wie sich die Aussetzung von der unterlassenen Hilfeleistung unterscheidet und welche Strafen drohen können, erfahren Sie im folgenden Beitrag.

Aussetzung, § 221 StGB

Das deutsche Strafrecht schützt das Leben und die körperliche Unversehrtheit durch eine Vielzahl von Vorschriften. Neben schweren Delikten wie Mord (§ 211 StGB) oder Totschlag (§ 212 StGB) gibt es auch Straftatbestände, die sich mit der Schaffung oder Aufrechterhaltung einer Gefahr befassen. Ein solcher Tatbestand ist die Aussetzung nach § 221 StGB.

Diese Vorschrift stellt das vorsätzliche Versetzen oder Im-Stich-Lassen einer Person unter Strafe, wenn sie sich dadurch in eine hilflose Lage begibt oder in einer solchen verbleibt und dadurch einer konkreten Gefahr für Leib und Leben ausgesetzt wird.

Gerade weil es sich um ein Gefährdungsdelikt handelt, das keine tatsächliche Schädigung des Opfers voraussetzt, kommt es häufig zu Missverständnissen und unklaren rechtlichen Situationen. Dieser Artikel klärt auf, welche Voraussetzungen für eine Strafbarkeit erfüllt sein müssen, welche Strafen drohen und welche Verteidigungsstrategien möglich sind.


Gesetzliche Grundlage: § 221 StGB

Der Gesetzestext des § 221 StGB lautet:

(1) Wer einen Menschen in eine hilflose Lage versetzt oder ihn in einer solchen Lage im Stich lässt, obwohl er ihm beizustehen verpflichtet ist, und ihn dadurch der Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung aussetzt, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Der Täter wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft, wenn er die Tat

  1. gegen eine ihm zur Erziehung oder Betreuung in der Lebensführung anvertraute Person begeht oder
  2. durch die Tat eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.
    (3) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

Daraus ergeben sich zwei wesentliche Tatvarianten:

  1. Das aktive Versetzen in eine hilflose Lage
  2. Das Im-Stich-Lassen einer Person in einer hilflosen Lage

Tatbestandsvoraussetzungen für die Strafbarkeit

1. Das Opfer befindet sich in einer hilflosen Lage

Eine hilflose Lage liegt vor, wenn eine Person sich nicht selbst aus einer lebensbedrohlichen oder gesundheitsschädigenden Situation befreien kann und keine Rettung durch Dritte verfügbar ist.

Beispiele:

  • Ein bewusstloser Betrunkener liegt im Winter auf der Straße und droht zu erfrieren.
  • Eine verletzte Person kann sich nicht aus einem abgelegenen Waldstück befreien.
  • Ein kleines Kind wird allein zu Hause gelassen, ohne Essen oder Möglichkeit zur Kontaktaufnahme.

Ein gesunder Erwachsener, der theoretisch in der Lage ist, sich selbst zu helfen, befindet sich nicht in einer hilflosen Lage im Sinne des Gesetzes.


Aussetzung, § 221 StGB

2. Die Tathandlung: Versetzen oder Im-Stich-Lassen

Versetzen in eine hilflose Lage

Diese Variante erfordert eine aktive Handlung des Täters, durch die das Opfer in eine hilflose Lage gerät.

Beispiele:

  • Ein Täter setzt eine schwer kranke Person ohne Hilfe in einem Wald aus.
  • Jemand sperrt eine Person in einem abgeschlossenen Raum ein, ohne Fluchtmöglichkeit.
  • Eine Person wird durch eine Gewaltanwendung (z. B. Schläge) bewusstlos gemacht und liegengelassen.

Im-Stich-Lassen in einer hilflosen Lage

Hierbei besteht bereits eine hilflose Lage, und der Täter unterlässt es, Hilfe zu leisten, obwohl er dazu verpflichtet wäre.

Eine Garantenstellung ist Voraussetzung:

  • Eltern gegenüber ihren Kindern
  • Ehegatten oder Partner in lebensbedrohlichen Situationen
  • Pfleger gegenüber Schutzbefohlenen
  • Lehrer oder Betreuer bei ihnen anvertrauten Minderjährigen

Beispiele:

  • Ein Pflegepersonal lässt einen bettlägerigen Patienten ohne Nahrung und Wasser zurück.
  • Ein Vater lässt sein Kleinkind unbeaufsichtigt am Straßenrand zurück.
  • Polizisten setzen eine betrunkene Person nachts auf einer Landstraße aus (BGH, Az. 4 StR 463/07).

3. Konkrete Gefahr für Leben oder Gesundheit

Das Opfer muss tatsächlich einer konkreten Gefahr ausgesetzt sein. Es reicht nicht aus, dass eine rein theoretische Möglichkeit einer Gesundheitsgefährdung besteht.

Eine konkrete Gefahr liegt vor, wenn:

  • Ein Obdachloser im Winter im Schnee ausgesetzt wird und zu erfrieren droht.
  • Eine Person ohne Hilfe in einem brennenden Haus eingesperrt wird.

Qualifikationen und Strafrahmen

Grundtatbestand (§ 221 Abs. 1 StGB)

Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren

Qualifikation (§ 221 Abs. 2 StGB)

  • Opfer ist ein Kind oder Schutzbefohlener → 1 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe
  • Schwere Gesundheitsschädigung → 1 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe

Erfolgsqualifikation (§ 221 Abs. 3 StGB)

  • Tod des Opfers → Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren

Abgrenzung zu anderen Straftaten

Unterlassene Hilfeleistung (§ 323c StGB)

Kein aktives Versetzen in Gefahr – nur Nichtleisten von Hilfe.

Körperverletzung durch Unterlassen (§ 223, 13 StGB)

Besteht eine Garantenstellung, kann das Unterlassen einer Hilfeleistung auch als Körperverletzung gewertet werden.


Verjährung nach § 221 StGB

  • Grundtatbestand: 5 Jahre
  • Schwere Gesundheitsschädigung: 10 Jahre
  • Tödliche Folge: 20 Jahre

Verteidigungsstrategien bei Anklage wegen Aussetzung

1. Kein Vorsatz

War sich der Beschuldigte nicht bewusst, dass das Opfer in Gefahr ist, fehlt es am Vorsatz.

2. Keine hilflose Lage

Das Opfer war tatsächlich nicht schutzlos.

3. Keine Garantenstellung

Ohne besondere Schutzpflicht besteht keine Strafbarkeit nach § 221 StGB.


Aussetzung, § 221 StGB

Beispiele aus der Rechtsprechung

Zurücklassen eines Betrunkenen (BGH 4 StR 529/74)

Ein Gastwirt ließ einen stark Betrunkenen nachts vor der Tür zurück. Dieser wurde überfahren.

Polizisten setzen Betrunkenen auf Landstraße aus (BGH 4 StR 463/07)

Ein junger Mann wurde von Polizeibeamten ausgesetzt und starb durch einen Verkehrsunfall.


Fazit

Die Aussetzung nach § 221 StGB ist ein schwerwiegendes Gefährdungsdelikt, das bereits dann strafbar sein kann, wenn eine konkrete Lebens- oder Gesundheitsgefahr besteht – unabhängig davon, ob ein Schaden tatsächlich eintritt. Wer mit diesem Vorwurf konfrontiert wird, sollte dringend einen Strafverteidiger konsultieren.


FAQ zur Aussetzung nach § 221 StGB

1. Ist eine versuchte Aussetzung strafbar?

Nein, eine versuchte Tat ist nicht strafbar.

2. Was passiert, wenn das Opfer sich selbst in Gefahr bringt?

Dann liegt keine Strafbarkeit nach § 221 StGB vor.

3. Kann auch eine unterlassene Hilfeleistung bestraft werden?

Ja, nach § 323c StGB, jedoch mit milderer Strafe.