Was ist eine „Insolvenzverschleppung“?
Wer die Insolvenzverschleppung im Strafgesetzbuch, etwa im 24. Abschnitt über Insolvenzstraftaten sucht, der sucht vergebens. Die Insolvenzverschleppung wird in § 15a Insolvenzordnung (InsO) geregelt und fand sich vor dieser zentralen Regelung, abhängig der jeweiligen Gesellschaftsart, in verschiedenen Spezialgesetzen wieder (§ 84 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GmbHG a.F., § 130b HGB a.F., § 401 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 AktG a.F., § 148 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GenG a.F.).
Eine Insolvenzverschleppung liegt vor, wenn der Täter vorsätzlich seine Antragspflicht nach § 15a Abs. 1 – 3 InsO verletzt, indem er den Insolvenzantrag gar nicht, nicht rechtzeitig oder nicht richtig stellt. Der Antrag ist bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zu stellen.
Wann ist eine „Insolvenzverschleppung“ strafbar?
Der Straftatbestand schützt insbesondere das Vermögensinteresse der gegenwärtigen und künftigen Gläubiger.
Im Zusammenhang mit Unternehmensinsolvenzen kommt es immer wieder zu Strafvorwürfen. Insbesondere die Insolvenzverschleppung spielt dabei eine große Rolle. Betroffene stellen den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens häufig zu spät. Aufgrund automatischer Mitteilungen an die Staatsanwaltschaften werden in diesen Fällen so gut wie immer Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Zugleich bewirken derartige Verfahren – bedingt durch den Aktenumfang – zumeist eine hohe Belastung für die Beschuldigten. Neben einer langen Verfahrensdauer und den strafrechtlichen Sanktionen im Falle einer Verurteilung kommen noch weitere Belastungen wie Berufsverbote für die Betroffenen hinzu. Der Vorwurf der Insolvenzverschleppung ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen.
Um sich nach § 15a Abs. 4 InsO strafbar zu machen, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein.
Tatsubjekt: Antragspflichtige
Täter kann nur derjenige sein, der nach § 15a Abs. 1-3 InsO antragspflichtig ist.
Die Verpflichtung betrifft nur juristische Personen. Die Privatinsolvenz wird von § 15a InsO nicht erfasst. Erfasst sind etwa die Gesellschaftsformen der GmbH, die AG, die Genossenschaft, der UG, der Societas Europaea (SE) und der Europäischen Genossenschaft (SCE). Personenhandelsgesellschaften und Mischformen sind über § 15a Abs. 1 S. 2, Abs. 2 InsO miterfasst. Zur Vorbeugung einer sogenannten Verschachtelung, bei der über mehrere Ebenen ausschließlich juristische Personen vertreten sind, werden über den Absatz 2 Fälle erfasst, in denen der organschaftliche Vertreter selbst eine Gesellschaft ist.
Antragspflicht für Gesellschafter
Im Rahmen des § 15a Abs. 3 InsO kann die Antragspflicht auch Gesellschafter betreffen. Gemäß § 15a Abs. 3 InsO sind auch die Gesellschafter antragspflichtig, soweit die Gesellschaft „führungslos“ ist. Dies gilt ausdrücklich nur für Gesellschafter einer GmbH, sowie für die Mitglieder des Aufsichtsrates einer AG und Genossenschaft. Führungslosigkeit liegt nach den einschlägigen Vorschriften (§ 35 Abs. 1 S. 2 GmbHG, § 78 Abs. 1 S. 2 AktG, § 24 Abs. 1 S. 2 GenG und § 10 Abs. 2 S 2 InsO) vor, soweit die Gesellschaft keinen organschaftlichen Vertreter mehr hat. Dies ist der Fall, wenn der organschaftliche Vertreter entweder tatsächlich oder rechtlich nicht mehr existiert.
Antragspflicht für ausländische Unternehmen
Seit der Überseering-Entscheidung des EuGH und der Zusammenführung der von der jeweiligen Gesellschaftsform abhängigen Straftatbestände zu § 15a InsO, können auch ausländische Gesellschaftsformen den Straftatbestand der Insolvenzverschleppung erfüllen. Entscheidend ist ein Sitz in Deutschland und die Geltung deutschen Insolvenzrechts.
Für das anwendbare Recht (und entsprechend eine Strafbarkeit nach § 15a InsO) kommt es auf den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen an (auch COMI – „centre of main interests“). Maßgeblich ist die Verordnung (EU) 2015/848 (EuInsVO). Nach Art. 3 Abs. 1 S. 3 EuInsVO wird der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen einer juristischen Person an Ihrem Sitz vermutet. Befindet sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen auf dem Gebiet der Bundesrepublik, sind deutsche Gerichte auch international zuständig. Aufgrund des lex fori concorsus (Art. 7 Abs. 1 EuInsVO) ist zugleich deutsches Insolvenzrecht und damit § 15a InsO anwendbar.
Die Antragspflicht für Gesellschafter nach § 15a Abs. III InsO bezieht sich inkonsequenterweise nicht auf Gesellschaften ausländischen Rechts.
Tatsituation: Krisensituation (Insolvenzgrund)
Der Antrag muss in einer Krisensituation gestellt werden. Als solche Krisensituation zählt die Zahlungsunfähigkeit oder die Überschuldung, nicht aber die drohende Zahlungsunfähigkeit.
Zahlungsunfähigkeit
Der Antrag ist im Falle der Zahlungsunfähigkeit zu stellen. Was Zahlungsunfähigkeit ist, regelt dabei die Legaldefinition in § 17 Abs. 2 InsO. Danach ist der Schuldner zahlungsunfähig, wenn er nicht mehr in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit ist gemäß der Vermutung in Satz 2 anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat. Es ist zur Feststellung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners darauf abzustellen, dass er nicht mehr zahlen kann, selbst wenn er zahlen wollte.
Überschuldung
Die Überschuldung ist Antragsgrund für juristische Personen und begründet zudem eine Antragspflicht entsprechend § 15a Abs. 1 InsO. Der Begriff der Überschuldung ist in § 19 Abs. 2 InsO definiert. Demnach liegt Überschuldung vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Während bei der Zahlungsunfähigkeit nur eine kurzfristige Betrachtung von Verbindlichkeiten und liquiden Finanzmitteln erfolgt, geht die Prüfung einer Überschuldung tiefer.
So werden bei der Prüfung alle Verbindlichkeiten dem Gesamtvermögen des Schuldners gegenübergestellt. Selbst wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, liegt Überschuldung entsprechend § 19 Abs. 2 S. 1 HS. 2 InsO nur vor, soweit keine „Fortführung des Unternehmens nach den Umstanden überwiegend wahrscheinlich“ ist. Das Prüfungsvorgehen unterliegt dabei stetiger Entwicklung bzw. Veränderung.
Tathandlung: Verletzung der Antragspflicht
Der Täter müsste seine Antragspflicht verletzt haben. Die gebotenen Handlungen umfassen die fristgerechte und „richtige“ Stellung des Eröffnungsantrags. Unter Strafe steht entsprechend das Nicht- bzw. Nicht-Rechtzeitige-Stellen und das Nicht-Richtige-Stellen des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens.
Nicht- und Nicht-Rechtzeitiges-Stellen
Mit beiden Varianten ist die fristgerechte Antragsstellung gemeint. Ausschlaggebender Zeitpunkt ist der Eintritt der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung. Fristgerecht bedeutet nach § 15a Abs. 1 InsO eine Antragsstellung ohne schuldhaftes Zögern, spätestens jedoch mit Ablauf von drei Wochen nach dem ausschlaggebenden Zeitpunkt. Oftmals wird die Antragsfrist dahingehend missinterpretiert, dass dem Antragsverpflichteten grundsätzlich drei Wochen zur Verfügung stehen, nach dem Wortlaut der Vorschrift hat die Antragsstellung jedoch ohne schuldhaftes Zögern, also unverzüglich nach Eintritt der pflichtbegründenden Situation zu erfolgen. Die Ausschöpfung der Frist ist nur ausnahmsweise, wie etwa bei Umsetzung von erfolgsversprechenden Sanierungsversuchen zulässig. Maßgeblich für den Beginn der Frist ist allein der objektive Eintritt der Insolvenzlage.
Wird ein Antrag nach Ablauf der Frist gestellt, spielt das für die Strafbarkeit keine, wohl aber für die Strafzumessung eine Rolle. Ein Antrag, der zurückgenommen wurde, gilt als nicht gestellt. Bei mehreren antragsverpflichteten Personen genügt die fristgerechte und richtige Stellung des Antrags nur einer Person.
Nicht-Richtiges-Stellen
Neben der Rechtzeitigkeit bedarf es der Richtigkeit des gestellten Antrags. Bei mehreren antragspflichtigen Personen genügt die fristgerechte und richtige Stellung des Antrags einer Person. Nicht-Richtig ist der Antrag, wenn er nicht den Anforderungen der InsO entspricht. Dazu zählen insbesondere die Schriftform (§ 13 Abs. 1 S. 1 InsO), unzutreffende oder unvollständige Angaben, das Fehlen von Angaben entsprechend § 13 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 – 5, S. 4 Nr. 1 -3, S. 5 InsO, bzw. das Fehlen oder die Unvollständigkeit des Gläubigerverzeichnisses gem. § 13 Abs. 1 S. 3 InsO.
Ein Antrag ist ferner nicht-richtig gestellt, wenn der Antragspflichtige dem Gericht nicht ermöglicht, oder erheblich erschwert, das Vorliegen der Insolvenzgründe zu prüfen. Letzteres ist oft bei sogenannten Firmenbestattungen zu sehen. In diesen Fällen wird in der Krise ein neuer organschaftlicher Vertreter bestellt, der dann einen Eröffnungsantrag mit dem Ziel der Abweisung mangels Masse (§ 26 InsO) stellt.
Ob das Fehlen einer Vollständigkeitserklärung die mit Einführung des § 13 Abs. 1 S. 7 InsO durch das EUSG für den Eröffnungsantrag verlangt wird, unter einen nicht-richtig gestellten Antrag i.S.v. § 15a Abs. 4 Nr. 2 InsO zu subsumieren ist, hängt von der Frage ab, ob das Gericht auch ohne die Vollständigkeitserklärung in der Lage ist, über den Eröffnungsantrag zu entscheiden. Dies wird unterschiedlich beantwortet.
Objektive Bedingung der Strafbarkeit
Der nicht-richtig gestellte Antrag führt nur zu einer Strafbarkeit, wenn das Gericht den Antrag rechtskräftig als unzulässig zurückgewiesen hat (vgl. § 15 a Abs. 6 InsO).
Vorsatz
Der Täter muss die Insolvenzverschleppung vorsätzlich begangen haben. Er muss diese also mit Wissen und Wollen verwirklicht haben. Hierbei ist ausreichend, dass der Täter den Straftatbestand billigend in Kauf genommen und zumindest für möglich gehalten hat (sog. Eventualvorsatz).
Handelt der Täter jedoch nur fahrlässig, also lässt er „nur“ die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht, so droht eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe (vgl. § 15 a Abs. 5 InsO).
Versuch
Der Versuch ist mangels gesetzlicher Verankerung nicht strafbar.
Strafantrag
Bei der Insolvenzverschleppung handelt es sich um ein sogenanntes Offizialdelikt. Das bedeutet, dass eine solche Straftat durch die Strafverfolgungsbehörde (Staatsanwaltschaft) bei Kenntniserlangung von Amts wegen verfolgt wird. Ein Antrag durch den Geschädigten oder dessen gesetzlichen Vertreter ist daher nicht erforderlich.
Strafe
Die (vorsätzliche) Insolvenzverschleppung nach § 15a Abs. 4 InsO wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit einer Geldstrafe bestraft.
Im Falle einer Verurteilung aufgrund von Vorsätzlichkeit, ist die regelmäßige Folge auch ein Verbot der Tätigkeit als Geschäftsführer für fünf Jahre (vgl. § 6 Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Lit. a GmbHG).