Erpresserischer Menschenraub

Ein erpresserischer Menschenraub bezieht sich auf Taten, bei denen eine Person gegen ihren Willen festgehalten oder entführt wird, um einen Dritten zur Vornahme oder Unterlassung einer Handlung zu zwingen. Die Tat steht nach § 239a Strafgesetzbuch (StGB) unter Strafe. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und welche Strafe droht, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Erpresserischer Menschenraub

Der Tatbestand des erpresserischen Menschenraubs ist eine besonders gefährliche Mischform aus Nötigung, Freiheitsberaubung und Erpressung. Gemäß § 239a StGB macht sich derjenige strafbar, der einen Menschen entführt oder sich seiner bemächtigt, um die daraus entstehende Angst und Sorge zur Durchsetzung einer Forderung – zumeist finanzieller Natur – auszunutzen. Auch wer eine bereits bestehende Zwangslage, etwa durch frühere Gewaltanwendung, nachträglich zur Erpressung nutzt, fällt unter den Straftatbestand.

Diese Vorschrift wurde 1971 eingeführt, nachdem spektakuläre Entführungsfälle wie die der RAF oder organisierter Banden eine gesetzliche Lücke offenbarten: Die klassische Erpressung reichte nicht aus, wenn das Opfer zuvor systematisch seiner Freiheit beraubt wurde. Heute zählt § 239a StGB zu den sogenannten Kombinationsdelikten, die mehrere typische Straftaten in einem einzigen Paragraphen bündeln.

Die geschützten Rechtsgüter

Der erpresserische Menschenraub stellt einen Angriff auf gleich mehrere essenzielle Rechtsgüter dar:

1. Die persönliche Freiheit des Opfers – sie bildet das Kernstück des Delikts. Niemand darf gegen seinen Willen seiner Bewegungsfreiheit beraubt werden.

2. Die körperliche und seelische Unversehrtheit – nicht selten gehen mit dem Freiheitsentzug massive psychische Traumatisierungen oder physische Misshandlungen einher.

3. Das Vermögen – sei es das des Opfers selbst oder eines Dritten, das durch die Erpressung gefährdet ist.

4. Die freie Willensentschließung Dritter – insbesondere, wenn Angehörige durch die drohende Gewalt zur Zahlung gezwungen werden.

Die besondere Gefährlichkeit liegt darin, dass Täter Macht über Körper und Psyche eines Menschen gewinnen, um daraus wirtschaftlichen oder politischen Profit zu schlagen.

Tatobjekt: Wer kann Opfer sein?

Als Opfer eines erpresserischen Menschenraubs kommt jeder lebende Mensch infrage. Anders als bei anderen Delikten gibt es keine Einschränkungen – weder hinsichtlich des Alters noch der Beziehung zum Täter. Selbst Säuglinge, Senioren oder Menschen mit Behinderungen können Tatobjekte sein.

Auch ist es irrelevant, ob der Täter in einer familiären oder beruflichen Beziehung zum Opfer steht. Das Gesetz schützt ausnahmslos jede natürliche Person, unabhängig von deren Lebenssituation.

Erpresserischer Menschenraub

Tathandlungen im Detail

Entführung

Eine Entführung liegt vor, wenn das Opfer gegen dessen Willen von einem Ort zu einem anderen verbracht wird – mit dem Ziel, eine stabile Zwangslage zu schaffen. Typischerweise wird das Opfer in ein Fahrzeug gezwungen, in eine abgelegene Hütte verschleppt oder in einer Wohnung eingesperrt.

Beispiel: Zwei Männer überfallen einen Unternehmer, fesseln ihn und bringen ihn in einen Wald, um später Lösegeld von seiner Familie zu erpressen. Hier liegt eine klassische Entführung mit anschließender Erpressung vor.

Sich-Bemächtigen

Noch subtiler – aber rechtlich genauso relevant – ist das Sich-Bemächtigen. Dabei verändert der Täter nicht zwangsläufig den Aufenthaltsort des Opfers, sondern erlangt die Kontrolle über dessen Bewegungen. Dies kann durch Festhalten, Einsperren oder andere Zwangsmittel geschehen.

Beispiel: Eine Täterin sperrt ihre Mitbewohnerin über Stunden in einem Raum ein, um sie zur Überweisung von Geld zu zwingen. Auch wenn keine Ortsveränderung stattfindet, liegt eine Bemächtigung vor.

Abgrenzung zu anderen Tatbeständen

Wichtig ist die Abgrenzung zu ähnlich gelagerten Delikten wie:

  • Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) – diese erfasst lediglich das Festhalten, nicht jedoch die Verknüpfung mit Erpressung.
  • Erpressung (§ 253 StGB) – setzt keinen Freiheitsentzug voraus.
  • Geiselnahme (§ 239b StGB) – verlangt ein Verhaltenserzwingungselement, das über bloße Bereicherungsabsicht hinausgeht.

Subjektiver Tatbestand

Der Täter muss mit Vorsatz handeln – also mit dem bewussten Willen, das Opfer seiner Freiheit zu berauben und dessen Sorge oder die eines Dritten zur Erpressung auszunutzen. Dabei wird unterschieden zwischen:

  • Direktem Vorsatz: Der Täter weiß genau, was er tut, und verfolgt aktiv sein Ziel.
  • Bedingtem Vorsatz (Eventualvorsatz): Er erkennt die Möglichkeit der Tatverwirklichung und nimmt sie billigend in Kauf.

Besonders entscheidend ist die Erpressungsabsicht: Der Täter muss das Ziel verfolgen, durch die Tat eine Leistung zu erzwingen, sei es Geld, eine Handlung oder ein Unterlassen. Fehlt diese Absicht, scheidet § 239a StGB aus – auch wenn das Opfer seiner Freiheit beraubt wurde.

Versuch und Vollendung

Schon der Versuch des erpresserischen Menschenraubs ist strafbar. Dies bedeutet: Sobald der Täter zur Tat ansetzt – etwa das Opfer beobachtet, ihm folgt oder es zu einem abgelegenen Ort lockt – kann bereits der Straftatbestand erfüllt sein.

Beispiel: Eine Gruppe plant, einen Geschäftsmann zu entführen. Sie besorgen ein Fluchtauto, beobachten den Tagesablauf des Opfers und locken ihn unter einem Vorwand in ihr Fahrzeug – dort kann die Polizei eingreifen. Obwohl kein Lösegeld gefordert wurde, liegt ein strafbarer Versuch vor.

Vollendet ist die Tat, wenn der Täter tatsächlich Kontrolle über das Opfer erlangt und die Absicht zur Erpressung nachweislich vorhanden ist.

Strafmaß und Strafrahmen

Der Gesetzgeber misst dem Schutz der Opfer eine immense Bedeutung bei. Entsprechend hoch ist das Strafmaß:

  • Grundtatbestand: Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren
  • Milderung im minder schweren Fall: Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zehn Jahren
  • Todesfolge (§ 239a Abs. 3 StGB): Lebenslange Freiheitsstrafe oder mindestens zehn Jahre

Was ist ein minder schwerer Fall?

Ein minder schwerer Fall liegt etwa dann vor, wenn:

  • die Tat aus Verzweiflung oder ohne wirtschaftliches Motiv begangen wurde
  • das Opfer schnell freigelassen wurde
  • keine Gewalt angewendet wurde
  • eine freiwillige Rückkehr ermöglicht wurde

Die Einordnung ist stets eine Frage der Gesamtwürdigung – hier kann ein versierter Strafverteidiger durch gezielte Argumentation erheblich zur Strafmilderung beitragen.

Erfolgsqualifikation: Todesfolge

Die schärfste Sanktion des § 239a StGB greift, wenn das Opfer durch die Tat stirbt – und der Tod vom Täter wenigstens leichtfertig verursacht wurde. Leichtfertigkeit bedeutet mehr als Fahrlässigkeit: Der Täter missachtet in besonders grober Weise die gebotene Sorgfalt, obwohl ihm die Gefahr des Todes hätte klar sein müssen.

Beispiel: Ein Täter lässt sein Opfer bei 35 Grad im Kofferraum zurück, ohne Zugang zu Wasser. Der Tod tritt infolge von Hitzeschlag ein – hier liegt eine qualifizierte Tat mit lebenslanger Freiheitsstrafe vor.

Besondere Konstellationen

Zwei-Personen-Verhältnis

Kompliziert wird es, wenn Täter und Opfer zugleich die Erpressungsparteien sind – etwa bei häuslichen Auseinandersetzungen oder Racheaktionen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat jedoch mehrfach klargestellt: Auch in diesen Fällen kann § 239a StGB erfüllt sein, wenn die Freiheitsberaubung als Druckmittel für eine Zahlung oder Handlung dient.

Mittäterexzess

Verübt ein Mittäter eigenmächtig eine Gewalttat – etwa einen Mord –, ohne dass die übrigen Beteiligten dies wollten oder wussten, spricht man von einem Mittäterexzess. Die Strafbarkeit der anderen hängt davon ab, ob sie die Handlung billigten, förderten oder vorhersehen konnten. Hier ist eine exakte Prüfung jedes Einzelfalls notwendig.

Erpresserischer Menschenraub

Tätige Reue als Strafmilderung

§ 239a Abs. 4 StGB schafft einen starken Anreiz zur Aufgabe der Tat: Wer das Opfer freilässt, auf die Erpressungsleistung verzichtet und aktiv zur Beendigung der Situation beiträgt, kann mit einer deutlich milderen Strafe rechnen.

Diese Regelung zielt auf Deeskalation ab – sie soll Täter motivieren, Menschenleben zu schonen und auf Gewalt zu verzichten.

Wichtig: Auch wenn das Opfer durch Dritte befreit wird, reicht bereits ein ernsthaftes Bemühen des Täters zur Erreichung dieses Zustands.

Verteidigungsstrategien bei Vorwurf des erpresserischen Menschenraubs

Die Verteidigung bei § 239a StGB erfordert hohes Fachwissen und strategisches Geschick. Einige bewährte Ansätze:

  • Tatbestandliche Verteidigung: War das Opfer tatsächlich unter Kontrolle des Täters? Gab es eine stabile Bemächtigungslage?
  • Zielrichtung prüfen: Wollte der Täter wirklich eine Erpressung? Oder handelte er nur aus Wut, Rache oder Angst?
  • Beweise in Frage stellen: Gibt es Indizien statt klarer Beweise? Widersprüchliche Aussagen? Technische Unsicherheiten bei Ortung oder Videoaufnahmen?
  • Milderungsgründe aktivieren: Reue zeigen, Schadenswiedergutmachung, Rücktrittsverhalten und emotionale Belastungen hervorheben

Ein erfahrener Strafverteidiger kann bereits im Ermittlungsverfahren entscheidend eingreifen – etwa durch Akteneinsicht, Gegendarstellungen und Zeugenvernehmungen.

Fazit – Was Angeklagte wissen müssen

Ein Vorwurf wegen erpresserischen Menschenraubs wiegt schwer – sowohl juristisch als auch persönlich. Doch nicht jeder Verdacht führt automatisch zur Verurteilung. Gerade bei komplexen Konstellationen (z. B. Beziehungstaten, spontane Affekthandlungen oder Missverständnisse) lohnt sich eine differenzierte Verteidigungsstrategie.

Frühzeitiger anwaltlicher Beistand, fundiertes Wissen über § 239a StGB und das taktische Ausnutzen der gesetzlichen Spielräume sind entscheidend für den weiteren Verlauf – und für die Zukunft des Beschuldigten.

FAQ – Häufige Fragen zum erpresserischen Menschenraub

Was ist der Unterschied zwischen erpresserischem Menschenraub und Geiselnahme?
Während § 239a StGB primär wirtschaftliche Interessen des Täters schützt, ist § 239b StGB auf die Erzwingung politischen, persönlichen oder gerichtlichen Handelns gerichtet.

Gibt es Verjährungsfristen?
Die Verjährungsfrist beträgt bei § 239a Abs. 1 StGB in der Regel 20 Jahre, bei Todesfolge oder lebenslanger Freiheitsstrafe 30 Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 bzw. Nr. 1 StGB).

Wie kann ich mich gegen einen unberechtigten Tatverdacht wehren?
Sofortige Kontaktaufnahme mit einem Strafverteidiger, keine Aussage ohne anwaltliche Rücksprache, Akteneinsicht einfordern und entlastende Beweise sichern.

Kann tätige Reue auch nach Beginn des Prozesses berücksichtigt werden?
Ja – entscheidend ist, dass das Opfer tatsächlich zurückgelangt und der Täter die Situation deeskaliert, selbst im späten Stadium.

Ist eine Bewährungsstrafe bei § 239a StGB möglich?
Nur im minder schweren Fall mit Freiheitsstrafe unter zwei Jahren – in der Praxis aber sehr selten. Eine sorgfältige Verteidigung kann jedoch helfen, diesen Spielraum zu eröffnen.