Sharenting: Rechtliche Grenzen beim Posten von Kinderfotos im Internet
Viele Eltern nutzen Plattformen wie Facebook, Instagram und Twitter, um (stolz) ihre Kinder und deren Erfahrungen zu präsentieren. Dieses sogenannte “Sharenting” macht es möglich, Erinnerungen und Erfahrungen zu teilen sowie soziale Bindungen zu stärken. Allerdings wirft es auch Fragen bezüglich der Privatsphäre und Sicherheit der Kinder auf.

Was ist Sharenting?
Sharenting ist ein zusammengesetzter Begriff aus den englischen Wörtern „sharing“ (Teilen) und „parenting“ (Elternschaft). Er beschreibt die Praxis, bei der Eltern Fotos, Videos und persönliche Informationen über ihre Kinder in sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram, TikTok oder YouTube veröffentlichen. Was ursprünglich aus Stolz, Freude oder dem Wunsch nach sozialem Austausch geschieht, kann in einer Welt, in der nichts je wirklich gelöscht wird, zu einem ernsthaften Problem werden – nicht nur für die Privatsphäre der Kinder, sondern auch im strafrechtlichen Kontext.
In den letzten Jahren ist Sharenting zu einem gesellschaftlich und juristisch kontrovers diskutierten Thema geworden. Während manche Eltern täglich posten, wie sich ihr Nachwuchs entwickelt, warnen Experten vor irreversiblen Konsequenzen – sowohl für die Kinder als auch für die Erziehungsberechtigten.
Formen des Sharenting
Sharenting tritt in zahlreichen Varianten auf. Dabei reicht das Spektrum von scheinbar harmlosen Inhalten bis hin zu ethisch und juristisch fragwürdigen Veröffentlichungen. Zu den häufigsten Formen zählen:
Alltagssituationen
Fotos vom Frühstückstisch, aus dem Kinderzimmer oder beim Spielen im Park. Diese Inhalte wirken unspektakulär, offenbaren aber oft viel über Gewohnheiten, Wohnort oder soziale Strukturen.
Entwicklung und Meilensteine
Eltern dokumentieren gerne erste Schritte, das erste Wort oder Zahnlücken. Diese Informationen können jedoch in Zukunft gegen das Kind verwendet werden – sei es durch Mitschüler, Arbeitgeber oder in sozialen Medien.
Anekdoten und Witze
Was im Familienkontext als lustig gilt, kann in der Öffentlichkeit als peinlich oder erniedrigend wahrgenommen werden. Besonders problematisch sind Posts, die das Kind bloßstellen.
Werbung und Produktplatzierung
Influencer-Eltern präsentieren Kleidung, Spielsachen oder Ernährungstipps und binden ihre Kinder aktiv in die Werbebotschaft ein. In manchen Fällen werden Kinder zu regelrechten Markenbotschaftern – ohne jede Kontrolle über ihre Darstellung.
Krankheitsverläufe oder emotionale Krisen
Ein besonders sensibles Feld: Das Posten über Krankheiten, Entwicklungsstörungen oder psychische Belastungen des Kindes stellt einen gravierenden Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte dar.
Warum ist Sharenting so verbreitet?
Sharenting ist längst zur Norm geworden. In Zeiten der Dauervernetzung scheint das Teilen familiärer Momente selbstverständlich. Hinzu kommen:
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Soziale Bestätigung: Likes und positive Kommentare suggerieren Zustimmung und Normalität.
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Vernetzung mit anderen Eltern: Austausch von Tipps, Erfahrungen und Erziehungsmethoden.
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Digitales Tagebuch: Viele Eltern nutzen soziale Medien, um die Kindheit ihrer Kinder zu dokumentieren – für sich selbst oder für Verwandte.
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Monetarisierung: Insbesondere bei Influencern geht es auch um wirtschaftliche Interessen.
Doch: Was heute selbstverständlich erscheint, kann morgen rechtlich relevant oder ethisch fragwürdig sein.
Rechtlicher Rahmen in Deutschland
Deutschland kennt klare gesetzliche Regelungen zum Schutz von Persönlichkeitsrechten – insbesondere von Minderjährigen.
Das Recht am eigenen Bild (§ 22 KUG)
Fotos und Videos von Personen dürfen nur mit deren Einwilligung veröffentlicht werden. Bei Kindern entscheiden die Eltern. Doch diese Regelung ist nicht grenzenlos: Eltern dürfen ihre Kinder nicht beliebig in Szene setzen – insbesondere nicht, wenn das Kind bloßgestellt, lächerlich gemacht oder entwürdigt wird.
§ 23 KUG regelt Ausnahmen, etwa für Veranstaltungen von öffentlichem Interesse – auf Kinderbilder ist das aber in der Regel nicht anwendbar.
Datenschutzrecht (DSGVO)
Die Datenschutz-Grundverordnung schützt auch Minderjährige. Artikel 8 DSGVO sieht vor, dass bei der Verarbeitung personenbezogener Daten eines Kindes unter 16 Jahren die Zustimmung der Eltern erforderlich ist – dies gilt auch in sozialen Netzwerken. Die paradoxe Realität: Eltern verletzen diesen Schutz oft selbst, indem sie persönliche Daten ihrer Kinder veröffentlichen.
Sorgerecht und Kindeswohl (§§ 1666 ff. BGB)
Verletzt ein Elternteil durch Sharenting das Wohl des Kindes, kann das Familiengericht einschreiten – bis hin zum Entzug des Sorgerechts. Zwar ist dieser Schritt extrem, wurde aber in Einzelfällen bereits diskutiert, insbesondere bei kommerziellem Missbrauch oder wiederholten Verstößen gegen den Datenschutz.
Wann wird Sharenting strafbar?
In vielen Fällen bewegt sich Sharenting in einer rechtlichen Grauzone – doch es gibt auch Konstellationen, in denen strafrechtliche Vorschriften greifen:
§ 184b StGB – Verbreitung kinderpornografischer Inhalte
Ein harmlos gemeintes Bild aus dem Badezimmer oder beim Baden kann strafrechtlich als Kinderpornografie gewertet werden – selbst wenn es die eigenen Kinder zeigt. Die Grenze ist fließend, die Folgen dramatisch: Ermittlungsverfahren, Hausdurchsuchung, Berufsverbot.
§ 201a StGB – Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs
Dieser Paragraph stellt die unbefugte Aufnahme oder Weitergabe von Bildern, die dem Intimbereich zuzuordnen sind, unter Strafe. Auch Fotos, die z. B. das Kind in emotional verletzlichen Situationen zeigen, können hierunter fallen.
§§ 186, 187 StGB – Beleidigung und üble Nachrede
Wenn Eltern über ihre Kinder in abfälliger Weise posten – etwa bei Wutanfällen oder Schulproblemen – kann dies unter Umständen eine strafbare Persönlichkeitsverletzung darstellen.
Psychologische und soziale Folgen für Kinder
Neben der rechtlichen Perspektive sind auch die psychologischen Konsequenzen nicht zu unterschätzen:
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Digitale Fremdbestimmung: Kinder wachsen mit einer Online-Identität auf, die sie nicht selbst gewählt haben.
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Scham und Bloßstellung: Was Eltern süß finden, kann für Kinder peinlich oder entwürdigend sein.
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Mobbingrisiko: Mitschüler und Außenstehende können Inhalte nutzen, um Kinder zu ärgern oder auszuschließen.
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Verlust von Vertrauen: Viele Jugendliche berichten, dass sie das Verhalten ihrer Eltern als Vertrauensbruch empfinden.
Sharenting im internationalen Vergleich
Frankreich
Eltern, die Bilder ihrer Kinder ohne deren Einwilligung posten, können mit Bußgeldern von bis zu 45.000 Euro bestraft werden. Gerichte haben hier bereits Entscheidungen zugunsten der Kinder gefällt.
USA
In den USA ist Sharenting besonders verbreitet, gleichzeitig aber auch Gegenstand intensiver Diskussionen. Erste Staaten arbeiten an Gesetzen zur Kommerzialisierung von Kinderbildern.
Australien
Australische Datenschutzbehörden empfehlen, keine Kinderbilder online zu stellen – insbesondere nicht in öffentlichen Profilen.
Deutschland zieht langsam nach. Auch hier gibt es Forderungen nach einem „Digitalen Schutzgesetz“ für Kinder.
Kommerzialisierung durch YouTube & Co.
Familien-Vlogs auf YouTube zeigen oft den kompletten Alltag mit Kindern – vom Frühstück bis zum Zubettgehen. Die Kehrseite:
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Kinder als Werbeträger
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Dauerhafte Online-Präsenz
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Unklare rechtliche Lage bei Verdienstverhältnissen
Einige Bundesländer prüfen derzeit, ob Kinder von Influencer-Eltern arbeitsrechtlich geschützt werden müssen – ähnlich wie Kinderstars im Filmgeschäft.
Verteidigungsstrategien im Strafverfahren
Wird gegen Eltern wegen Sharenting ermittelt, muss die Verteidigung folgende Punkte prüfen:
Subjektiver Tatbestand
Hatten die Eltern Vorsatz oder war ihnen die strafrechtliche Relevanz ihres Handelns nicht bewusst? Besonders bei neuen Technologien und rechtlicher Unsicherheit kann hier angesetzt werden.
Kontext und Reichweite
Wurden Inhalte öffentlich geteilt oder nur im privaten Kreis? Der Verteidiger sollte nachweisen, dass kein generelles Öffentlichmachen vorlag.
Kindeswille und Verhältnismäßigkeit
Bei älteren Kindern kann deren Meinung relevant sein. Wurde diese eingeholt? Sind Behördenmaßnahmen wie Hausdurchsuchungen überhaupt verhältnismäßig?
Medienethik vs. Strafrecht
Nicht jeder ethisch fragwürdige Inhalt ist strafbar. Die Verteidigung muss klarstellen, wo moralische Diskussionen enden und wo rechtliche Beurteilungen beginnen.
Präventive Maßnahmen für Eltern
Um rechtliche Risiken zu vermeiden und die Privatsphäre der Kinder zu wahren, sollten Eltern folgende Regeln beachten:
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Verwenden Sie strenge Privatsphäre-Einstellungen.
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Teilen Sie Bilder nur mit vertrauenswürdigen Personen.
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Verpixeln Sie Gesichter oder verwenden Sie Emojis.
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Posten Sie keine Bilder, die das Kind entwürdigen oder bloßstellen könnten.
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Fragen Sie ältere Kinder um Erlaubnis.
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Löschen Sie regelmäßig alte Inhalte.
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Nutzen Sie Alternativen wie private Cloud-Speicher oder Familiengruppen.
Der Blick in die Zukunft: Brauchen wir ein „Kinder-Datenschutzgesetz“?
Die Diskussion rund um Sharenting wird intensiver. Experten fordern gesetzliche Leitplanken, die Kinder vor übergriffigen Eltern im Netz schützen – ähnlich wie der gesetzliche Schutz bei körperlicher oder seelischer Misshandlung. Denkbare Optionen:
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Zustimmungspflicht ab einem bestimmten Alter (z. B. ab 6 oder 10 Jahren)
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Strafbarkeit bei kommerzieller Ausbeutung
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Pflicht zur Kennzeichnung von Werbung mit Kindern
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Verpflichtung für Plattformen, problematische Inhalte zu löschen
Fazit: Ein Klick kann alles verändern
Sharenting ist mehr als ein privater Akt des Teilens – es ist ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht eines Kindes. Eltern tragen hier eine doppelte Verantwortung: als Erziehende und als „digitale Stellvertreter“.
Als Strafverteidiger sehen wir die Folgen unüberlegter Posts immer häufiger in Ermittlungsverfahren, familienrechtlichen Konflikten und gesellschaftlichen Diskussionen. Der Rat kann daher nur lauten: Nutzen Sie Ihr Recht zur Veröffentlichung mit Augenmaß – und setzen Sie stets das Wohl des Kindes an erste Stelle.
FAQs
Was ist Sharenting?
Sharenting bezeichnet das Teilen von Informationen, Fotos und Videos über Kinder durch ihre Eltern im Internet – meist in sozialen Medien.
Kann Sharenting strafbar sein?
Ja – insbesondere bei Nacktbildern (§§ 184b, 184c StGB), bei Verletzung der Intimsphäre (§ 201a StGB) oder bei datenschutzrechtlichen Verstößen (DSGVO).
Was sind typische Risiken von Sharenting?
Dazu gehören der Verlust der Privatsphäre, Cybermobbing, Identitätsdiebstahl, psychische Belastungen und rechtliche Konsequenzen.
Wie kann ich rechtssicher handeln?
Teilen Sie keine sensiblen Informationen, nutzen Sie Privatsphäre-Einstellungen, holen Sie bei älteren Kindern die Einwilligung ein und vermeiden Sie bloßstellende Inhalte.
Wie kann ein Strafverteidiger helfen?
Ein Strafverteidiger prüft, ob der Vorwurf berechtigt ist, schützt Sie vor staatlicher Überreaktion und verteidigt Ihre Rechte im Ermittlungsverfahren – stets mit Blick auf die familiäre Gesamtsituation.