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Pflichtverteidigung

Um die Pflichtverteidigung ranken sich viele Mythen. So kommen im Zusammenhang mit der Pflichtverteidigung häufig Fragen wie „Wem steht eigentlich ein Pflichtverteidiger zu?“ oder „Wie steht es um die Qualität eines Pflichtverteidigers im Vergleich zu einem Wahlverteidiger?“ auf. Die Antworten auf diese und weitere Fragen finden Sie im folgenden Beitrag.

Strafrecht und Strafverteidigung
Rechtsanwalt Tommy Kujus klein Profil

Tommy Kujus
Tommy Kujus ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht. Er ist Inhaber der Leipziger Kanzlei KUJUS Strafverteidigung, und bundesweit als Strafverteidiger tätig.

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Was ist ein „Pflichtverteidiger“?

Der Beschuldigte eines Strafverfahrens sieht sich dem gesamten „Staatsapparat“ ausgesetzt. Nur mit einer kompetenten und effektiven Verteidigung kann den Strafverfolgungsbehörden auf Augenhöhe begegnet werden. In einigen Fällen ist die Mitwirkung eines Verteidigers sogar zwingend vorgeschrieben (sog. „notwendige Verteidigung“).

In diesen Fällen spricht man von einer Pflichtverteidigung. Die Pflichtverteidigung ist also ein Instrument des deutschen Strafprozessrechts, welches sicherstellen soll, dass Beschuldigten bei umfangreichen und schwierigen Verfahren in jedem Fall ein Anwalt zur Seite steht. Der Pflichtverteidiger wird dem Beschuldigten durch das Amtsgericht oder Landgericht beigeordnet. Ein Pflichtverteidiger wird nicht automatisch, sondern nur in den Fällen der sog. „notwendigen Verteidigung“ beigeordnet.

Unter einer „notwendigen Verteidigung“ versteht man eine Verfahrenslage, bei der aufgrund der Schwere der Tat oder der Schwierigkeit des Verfahrens dem Angeklagten zwingend ein Rechtsanwalt zur Seite stehen soll. Eine Pflichtverteidigung ist deshalb nicht von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten, sondern immer von der vorgeworfenen Tat abhängig.

Wann wird ein Pflichtverteidiger beigeordnet?

Ein Pflichtverteidiger wird vom Gericht beigeordnet, wenn ein Fall der „notwendigen Verteidigung,“ vorliegt. Neben den zwingenden Fällen des § 140 Abs. 1 StPO ist ein Verteidiger beizuordnen, wenn die Tat besonders schwer wiegt oder die Sach- und Rechtslage schwierig ist (§ 140 Abs. 2 StPO.)

Fälle der „notwendigen Verteidigung“

In § 140 Abs. 1 StPO sind die gesetzlich vorgeschriebenen Fälle der notwendigen Verteidigung geregelt.
Danach ist ein Pflichtverteidiger u.a. zwingend beizuordnen,

  • wenn das Verfahren vor dem Landgericht oder Oberlandesgericht stattfindet.
  • wenn dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird (z.B. Raub, Räuberische Erpressung, Vergewaltigung,…).
  • wenn gegen den Beschuldigten Untersuchungshaft vollstreckt wird.
  • wenn sich der Beschuldigte mindestens drei Monate in einer Anstalt befindet.
  • wenn dem Nebenkläger ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist.

Pflichtverteidigung

„Schwierige Sach- und Rechtslage“

Eine Beiordnung ist außerdem möglich, wenn die Sach- und Rechtslage schwierig ist oder sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann. Dies ist immer dann der Fall, wenn es der Grundsatz des fairen Verfahrens gebietet, dass dem Angeklagten ein Verteidiger zur Seite steht. Anwendungsbereiche sind etwa:

  • ein Sachverständigengutachen muss ausgewertet werden
  • wichtige Zeugen ändern mehrfach ihre Aussage
  • bestimmte Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen
  • ein Mitangeklagter hat einen Pflichtverteidiger
  • Notwendigkeit der Akteneinsicht für den Verteidiger
  • alle Zeugen sind Polizisten

„Schwere der zu erwartenden Rechtsfolgen“

In der Rechtsprechung ist überdies anerkannt, dass eine besondere „Schwere der Sach- und Rechtslage“ vorliegt, wenn erhebliche Strafen und Rechtsfolgen drohen. Beispiele sind:

  • Straferwartung von einem Jahr Freiheitsstrafe oder Jugendstrafe
  • Bewährungswiderruf in anderer Sache
  • Verhandlung vor dem Schöffengericht
  • drohende Abschiebung von Ausländern
  • die notwendige Bildung einer Einheitsjugendstrafe
  • die notwendige Bildung einer Gesamtstrafe

„Unfähigkeit der Selbstverteidigung“

Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist auch dann möglich, wenn sich der Angeklagte aufgrund persönlicher Umstände nicht selbst verteidigen kann – bspw. in folgenden Fällen:

  • Hör- oder Sprachbehinderung des Angeklagten
  • schlechter Gesundheitszustand
  • individuelle geistige und gesundheitliche Verfassung des Angeklagten
  • laufende Betreuung
  • Berufung der Staatsanwaltschaft gegen einen Freispruch
  • Klärung von besonderen juristischen Fragen
  • besonders junges Alter des Angeklagten
  • besonders hohe Alter des Angeklagten
  • Unfähigkeit des Lesens und Schreibens
  • fehlende Deutschkenntnisse
  • Beiordnung eines Anwalts für den Geschädigten (Nebenklage)
  • Beiordnung eines Anwalts für den Zeugen (Zeugenbeistand)

Pflichtverteidigung im Jugendstrafrecht

Natürlich ist auch im Jugendstrafrecht und im Jugendstrafverfahren eine Pflichtverteidigung möglich (§ 68 JGG).

Dabei gilt zunächst, dass immer dann ein Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger beizuordnen ist, wenn die o.g. Voraussetzungen nach § 140 StPO vorliegen. Bei der Auslegung der Voraussetzungen ist zusätzlich die jugendtypische Unreife und Hilfsbedürftigkeit zu beachten, sodass Jugendlichen eher als Erwachsenen ein Verteidiger beigeordnet werden soll.

Pflichtverteidigung als „Armenrecht“?

Entgegen einer häufig gehörten Auffassung ist die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht davon abhängig, ob sich der Angeklagte einen Anwalt leisten kann.

Es handelt sich bei der Pflichtverteidigung nicht um ein „Armenrecht“. Ob ein Pflichtverteidiger bestellt wird, ist also nicht von den wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten abhängig. Eine Art „Prozesskostenhilfe“ (PKH) oder „Verfahrenskostenhilfe“ (VKH), wie sie im Zivilverfahren vorgesehen ist, ist dem Strafrecht fremd.

Die „notwendige Verteidigung“ – wie die Pflichtverteidigung im Juristendeutsch heißt – soll lediglich absichern, dass dem Angeklagten ein Verteidiger zur Seite gestellt wird, wenn dies im Verfahren – wie der Name schon sagt – notwendig ist. Der Pflichtverteidiger soll die Verteidigung eines Angeklagten absichern – ohne Ansehung des Vermögens des Angeklagten.

Verfahren der Beiordnung eines Pflichtverteidigers

Der Pflichtverteidiger wird dem Angeklagten vom zuständigen Amtsgericht oder Landgericht beigeordnet.

Liegt ein eindeutiger Fall der „notwendigen Verteidigung“ vor, wird das Gericht dem Angeklagten mit Zustellung der Anklageschrift auffordern, einen Verteidiger zu benennen. Kann oder will der Angeklagte keinen Pflichtverteidiger benennen, wird das Gericht einen beliebigen Rechtsanwalt als Pflichtverteidiger bestellen.

In allen anderen Fällen muss der Angeklagte (ggf. über seinen Anwalt) die Beiordnung eines Pflichtverteidigers beantragen. Der Antrag ist in jeder Lage des Verfahrens möglich. Eine Beiordnung ist auch schon im Ermittlungsverfahren möglich, wenn offensichtlich ist, dass die Voraussetzungen einer „notwendigen Verteidigung“ vorliegen werden. Hier hat der Angeklagte aber kein eigenes Antragsrecht – der Antrag muss von der Staatsanwaltschaft bei Gericht gestellt werden.

Die Pflichtverteidiger kann vom Gericht auch wieder zurückgenommen werden. Dies gilt namentlich in den Fällen des § 143 StPO, in denen sich der Betroffene alsbald einen Wahlverteidiger nimmt.

Pflichtverteidigung

Ist ein Wechsel des Pflichtverteidigers möglich?

Der Angeklagte ist nicht immer mit der Tätigkeit des bestellten Rechtsanwalts zufrieden. Oft stimmt auch einfach die zwischenmenschliche Chemie nicht.

Der Wechsel des Pflichtverteidigers ist aber nicht ohne Weiteres und nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

Pflichtverteidiger-Wechsel: Nur in Ausnahmefällen

Der Wechsel des Pflichtverteidigers ist nicht ohne Weiteres möglich und an hohe Anforderungen geknüpft. Da der Pflichtverteidiger den Auftrag zur Verteidigung vom Gericht (also vom Staat) erhält, kann dieses „Mandat“ nicht einfach vom Angeklagten gekündigt werden.

Zudem soll es dem Angeklagten nach der Rechtsprechung verwehrt sein, einen grundlosen Verteidigerwechsel erzwingen zu können, und hierdurch eine Verzögerung des Verfahrens zu erreichen. Allein der Wunsch des Angeklagten reicht daher für einen Auswechslung nicht aus.

Ein Wechsel ist aber möglich, wenn eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Angeklagten und Anwalt vorliegt. Der Angeklagte muss die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses konkret darlegen. Dabei muss auch für einen Außenstehenden die behauptete Vertrauenserschütterung nachvollziehbar erscheinen lassen, dass die Verteidigung durch den bisherigen Pflichtverteidiger nicht mehr sachgerecht geführt werden kann. Nicht ausreichend ist daher die bloße, nicht mit bestimmten Tatsachen untermauerte Behauptung, das Vertrauensverhältnis sei gestört.

Ob ein wichtiger Grund vorliegt, der eine Auswechslung des Pflichtverteidigers möglich macht, muss in jedem Einzelfall gesondert beurteilt werden. Hier herrscht eine nahezu unüberschaubare Einzelfallrechtsprechung der einzelnen Gerichte. Ein wichtiger Grund kann z.B. vorliegen, wenn

• Besprechungstermine nicht persönlich wahrgenommen werden.
• der in Untersuchungshaft befindliche Mandant erst nach mehreren Monaten besucht wird.
• der Verteidiger auf den Abschluss einer Vergütungsvereinbarung drängt.

Wechsel des Pflichtverteidigers bei U-Haft

Nach neuer Gesetzeslage wird einem Beschuldigten, gegen den die Untersuchungshaft vollstreckt wird, sofort ein Pflichtverteidiger beigeordnet. Auch wenn der Beschuldigte selbst keinen Verteidiger benennen kann, wird das Gericht „irgendeinen“ Rechtsanwalt als Verteidiger bestellen.

Häufig erkennt der Beschuldigte nach wenigen Tagen, dass er lieber von einem anderen Anwalt verteidigt werden möchte – vielleicht hat er einen Tipp von anderen Inhaftierten erhalten oder seine Freunde und Familie haben sich bereits „draußen“ um einen Verteidiger bemüht.

In diesen Fällen sollte der Wechsel des Pflichtverteidigers schnellstmöglich bei Gericht beantragt werden. Innerhalb der zuzubilligenden Überlegensfrist von ein bis zwei Wochen wird ein Wechsel regelmäßig ohne Weiteres vorgenommen.

Auswechselung mit Einverständnis

Darüber hinaus ist ein Wechsel der Pflichtverteidiger möglich, wenn beide Verteidiger hiermit einverstanden sind, keine Verfahrensverzögerung eintritt und der Staatskasse hierdurch keine Mehrkosten entstehen.

Beauftragung als Wahlverteidiger

Selbstverständlich kann sich der Angeklagte zusätzlich zu seinem beigeordneten Pflichtverteidiger eigenständig um einen weiteren Wahlverteidiger kümmern, und diesen gesondert mit der Verteidigung beauftragen. Die Tätigkeit eines Wahlverteidigers neben dem eines Pflichtverteidigers ist ohne weiteres möglich und kommt praktisch recht häufig vor.

Was kostet ein Pflichtverteidiger?

Bei der Pflichtverteidigung handelt es sich um keinen „Anwalt der Armen“. Die Kosten eines Pflichtverteidigers werden zunächst lediglich von der Staatskasse getragen. Das bedeutet, dass der Rechtsanwalt seine Gebühren mit der Landesjustizkasse und nicht mit dem Mandanten abrechnet.

Aber Achtung! Je nach Verfahrensausgang wird der Staat allerdings versuchen, seine verauslagten Kosten von dem Verurteilten zurückzuverlangen.

Kosten bei Verurteilung und Freispruch

Erfolgt eine Verurteilung wird die Staatskasse die verauslagten Kosten wieder von dem Verurteilten zurückfordern. Daher wird der Verurteilte nach Rechtskraft des Urteils eine Rechnung von der Justizkasse erhalten, die auch die Gebühren des (Pflicht)Anwalts enthält. Bei einer Pflichtverteidigung handelt es sich somit nicht um einen „kostenlosen Anwalt“.

Kommt es allerdings zu einem Freispruch, kann der Staat die Kosten für den Pflichtverteidiger natürlich nicht vom Freigesprochenen verlangen.

Besonderheiten im Jugendstrafrecht

Eine Ausnahme von dieser Kostentragungspflicht wird regelmäßig im Jugendstrafverfahren gemacht. Im Jugendstrafrecht kann das Gericht aussprechen,dass die Anwaltskosten des Jugendlichen der Staatskasse auferlegt werden.

Vergütungsvereinbarung

Die Gebühren, die der Verteidiger aus der Landeskasse erhält, liegen rund 20% unter den Gebühren, die er als Wahlverteidiger hätte beanspruchen können. Da bei Pflichtverteidigungen oftmals der Aufwand der Tätigkeit in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zu den Gebühren aus der Staatskasse steht, kann zwischen Anwalt und Mandant in jeder Lage des Verfahrens eine (freiwillige) Vergütungsvereinbarung getroffen werden.

Wie können wir Ihnen als Pflichtverteidiger helfen?

Wir sind eine bundesweit tätige, und auf das Strafrecht spezialisierte Kanzlei in Leipzig. Wir stehen Ihnen als Rechtsanwalt und Strafverteidiger kompetent und diskret im gesamten Strafverfahren zur Seite. Unsere hohe Spezialisierung gewährleistet eine effektive und zielgerichtete Verteidigung unserer Mandanten.

Häufig kontaktieren uns Mandanten, die auf der Suche einem Pflichtverteidiger sind. Entgegen einer – häufig in den Medien und Foren – geäußerten Ansicht handelt es sich bei einer Pflichtverteidigung nicht um eine „Verteidigung 2. Klasse“. Jeder Rechtsanwalt wird jede Verteidigung gewissenhaft und mit der gebotenen Sorgfalt und Akribie führen.

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