Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte

Insbesondere Gewalt gegen Polizeibeamte nimmt immer mehr zu. Die strafrechtliche Ahndung von Handlungen, bei der physische Gewalt oder Bedrohung gegen Personen ausgeübt wird, die in ihrer offiziellen Funktion als Vollstreckungsbeamte tätig sind, erfolgt nach § 114 Strafgesetzbuch (StGB).

Mit Einführung des § 114 StGB durch das Gesetz zur Stärkung des Schutzes von Vollstreckungsbeamten und Rettungskräften im Jahr 2017 setzte der Gesetzgeber ein deutliches Zeichen: Angriffe auf Beamte sollten härter bestraft und nicht mehr als bloßer „Widerstand“ oder „einfache Körperverletzung“ behandelt werden. Doch wie ist diese Vorschrift juristisch einzuordnen? Und was bedeutet sie in der Praxis für Beschuldigte?

Gerade weil der Tatbestand mit Freiheitsstrafe bedroht ist und keine Geldstrafe zulässt, ist es umso wichtiger, die rechtlichen Voraussetzungen, Abgrenzungen und Angriffspunkte zu kennen.

(1) Wer einen Amtsträger oder Soldaten der Bundeswehr, der zur Vollstreckung von Gesetzen, Rechtsverordnungen, Urteilen, Gerichtsbeschlüssen oder Verfügungen berufen ist, bei einer Diensthandlung tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) § 113 Absatz 2 gilt entsprechend.

(3) § 113 Absatz 3 und 4 gilt entsprechend, wenn die Diensthandlung eine Vollstreckungshandlung im Sinne des § 113 Absatz 1 ist.

 

Die gesetzliche Grundlage: § 114 StGB im Überblick

§ 114 Absatz 1 StGB lautet:

„Wer einen Vollstreckungsbeamten oder eine diesem gleichstehende Person bei der Vornahme einer Diensthandlung tätlich angreift, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Tatbestandsmerkmale im Detail

1. Tatobjekt: Vollstreckungsbeamter oder gleichgestellte Person

Der Begriff „Vollstreckungsbeamter“ ist nicht abschließend im Gesetz definiert, wird aber über § 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB konkretisiert. Dazu gehören vor allem:

  • Polizeibeamte

  • Gerichtsvollzieher

  • Beamte im Justizvollzugsdienst

  • Zollbeamte

Zusätzlich verweist § 114 StGB auf § 115 StGB, wodurch auch Personen erfasst werden, die bei Not- oder Katastrophenfällen Hilfe leisten – etwa:

  • Feuerwehrleute

  • Notärzte und Rettungssanitäter

  • Katastrophenschutzhelfer

  • Soldaten bei hoheitlichem Einsatz

Entscheidend ist: Die Person muss im konkreten Moment hoheitlich tätig sein. Privatpersonen oder Beamte außerhalb des Dienstes fallen nicht unter den Schutz.

2. Diensthandlung

Eine Diensthandlung liegt vor, wenn der Vollstreckungsbeamte hoheitliche Befugnisse ausübt. Typische Beispiele:

  • Verkehrskontrollen

  • Durchsuchungen

  • Festnahmen

  • Platzverweise

  • Schutzmaßnahmen bei Demonstrationen

Die Handlung muss objektiv als Ausübung einer hoheitlichen Aufgabe erkennbar sein. Selbst verdeckte Ermittlungen gelten als Diensthandlungen, wenn sie auf gesetzlicher Grundlage beruhen.

3. Tätlicher Angriff

Der Begriff „tätlicher Angriff“ ist das Herzstück der Vorschrift – und zugleich am stärksten umstritten.

Definition nach h.M.: Eine unmittelbar auf den Körper des Beamten zielende feindselige Einwirkung. Eine Verletzung ist nicht erforderlich. Entscheidend ist allein die körperbezogene Handlung.

Beispiele:

  • Stoßen eines Polizisten während einer Maßnahme

  • Werfen einer Flasche oder eines Steins (auch bei Verfehlung)

  • Anspucken oder Anniesen

  • Schläge oder Tritte

Nicht ausreichend sind:

  • Verbalaggressionen

  • Drohgebärden ohne körperliche Komponente

  • Symbolische Gesten (z. B. erhobene Faust)

4. Vorsatz

Der Täter muss mit Vorsatz handeln. Er muss also wissen oder zumindest billigend in Kauf nehmen, dass seine Handlung einen tätlichen Angriff darstellt und sich gegen einen hoheitlich handelnden Vollstreckungsbeamten richtet.

Eventualvorsatz ist ausreichend – das bedeutet: Es genügt, wenn der Täter die Möglichkeit erkennt und akzeptiert, dass seine Handlung den Straftatbestand erfüllen könnte.

Beispiel: Wer sich „in Rage“ stößt und dabei einen Beamten zur Seite drängt, kann sich nicht auf Affekt oder Versehen berufen, wenn die Handlung bewusst ausgeführt wurde.

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Objektive Bedingung der Strafbarkeit: Rechtmäßigkeit der Diensthandlung

Die Strafbarkeit setzt zusätzlich voraus, dass die Diensthandlung rechtmäßig war – ein häufig übersehener Punkt.

Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit:

  • Sachliche Zuständigkeit: Der Beamte handelt im Rahmen seines Aufgabenbereichs (z. B. Polizeirecht, Strafprozessrecht).

  • Örtliche Zuständigkeit: Maßnahme erfolgt im zugewiesenen Gebiet.

  • Formelle Rechtmäßigkeit: Vorschriften über Belehrung, Bekanntgabe, ggf. richterlicher Beschluss sind eingehalten.

  • Materielle Rechtmäßigkeit: Die Maßnahme ist verhältnismäßig und auf eine gesetzliche Ermächtigung gestützt.

Beispiel: Eine Durchsuchung ohne Durchsuchungsbeschluss (sofern keine Gefahr im Verzug vorliegt) kann rechtswidrig sein – und damit die Strafbarkeit nach § 114 ausschließen.

Besonders schwerer Fall – § 114 Abs. 2 StGB

Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn:

  • eine Waffe oder ein gefährliches Werkzeug mitgeführt wird,

  • der Angriff gemeinschaftlich mit anderen erfolgt,

  • die Handlung mit lebensbedrohlicher Brutalität erfolgt.

Die Mindestfreiheitsstrafe erhöht sich dann auf sechs Monate. Auch hier gilt: Keine Geldstrafe möglich.

Wichtig: Die bloße Mitführung einer Waffe (z. B. ein Taschenmesser im Rucksack) genügt – unabhängig davon, ob sie eingesetzt wurde.

Abgrenzung zu anderen Straftatbeständen

§ 113 StGB – Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte

Hier steht nicht die körperliche Einwirkung, sondern das Verhindern oder Erschweren einer hoheitlichen Maßnahme im Vordergrund. Die Gewalt kann auch mittelbar erfolgen (z. B. Festhalten an Gegenständen).

Beispielhafte Unterscheidung:

  • § 113 StGB: Täter stemmt sich gegen Festnahme.

  • § 114 StGB: Täter schlägt dem Beamten ins Gesicht.

§ 223 StGB – Körperverletzung

Eine Körperverletzung liegt nur vor, wenn eine tatsächliche Verletzung eingetreten ist. Bei § 114 genügt bereits die Einwirkung auf den Körper – eine Verletzung ist nicht notwendig.

Tateinheit möglich: Beide Tatbestände können gleichzeitig erfüllt sein – etwa beim gezielten Schlag, der blaue Flecken verursacht.

Verteidigungsstrategien für Beschuldigte

1. Anzweiflung der Rechtmäßigkeit der Diensthandlung

War der Beamte nicht zuständig oder lagen keine rechtlichen Voraussetzungen für die Maßnahme vor? Wurden Formvorschriften verletzt? Diese Punkte können den Tatbestand zu Fall bringen.

2. Kein tätlicher Angriff im technischen Sinne

Wurde der Beamte tatsächlich körperlich berührt? Lag eine bewusste Handlung vor oder nur ein Abwehrreflex? War die Handlung sozialadäquat oder sogar durch Notwehr gerechtfertigt?

3. Fehlender Vorsatz

War dem Beschuldigten bewusst, dass er einen Beamten angegriffen hat? Oder war es dunkel, hektisch, chaotisch? Diese Fragen sind entscheidend für den Vorsatz.

4. Notwehr oder rechtfertigender Notstand

Wenn der Beamte seinerseits unverhältnismäßig oder rechtswidrig handelte, kann sich der Beschuldigte auf Notwehr berufen. Dies gilt insbesondere bei überzogenen körperlichen Maßnahmen, wie dem Festhalten ohne Rechtsgrundlage.

5. Schuldfähigkeit eingeschränkt

Bei erheblicher Alkoholisierung oder psychischen Ausnahmesituationen kann die Schuldfähigkeit eingeschränkt sein. Dies muss aber mit Gutachten belegt werden.

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Aktuelle Rechtsprechung: Tendenzen und Entwicklungen

Anspucken – keine Bagatelle

Mehrere Gerichte haben das Anspucken von Polizeibeamten als vollwertigen tätlichen Angriff gewertet – selbst wenn der Speichel den Körper nicht direkt berührt, sondern nur die Uniform.

Dienst außerhalb des Dienstes?

In einem Fall entschied ein Gericht, dass ein Beamter außerhalb seines Dienstes angegriffen wurde – damit lag keine Diensthandlung vor. Der Täter wurde freigesprochen. (vgl. AG Frankfurt a.M., Urteil vom 14.03.2021)

Beweislastverteilung

Ein häufiger Streitpunkt: Aussage gegen Aussage. Wenn die einzige Beweislage auf den Aussagen der Beamten beruht, prüft die Rechtsprechung zunehmend kritischer die Beweiswürdigung – insbesondere bei widersprüchlichen Angaben.

Praktische Konsequenzen für Beschuldigte

Ein laufendes Strafverfahren kann existenzielle Folgen haben – nicht nur durch eine mögliche Haftstrafe, sondern auch durch:

  • Verlust des Arbeitsplatzes (besonders bei Beamten oder Sicherheitsberufen)

  • Eintrag ins Führungszeugnis (relevant bei Visa, Ausbildungen, öffentlichen Ämtern)

  • zivilrechtliche Ansprüche durch den Beamten

  • Ausschluss von Beamtenlaufbahn, Zulassung zu sensiblen Tätigkeiten

Frühzeitige anwaltliche Beratung ist unerlässlich.

Fazit: § 114 StGB – Scharfes Schwert mit juristischen Schwächen

Der Straftatbestand „tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ wurde politisch gewollt verschärft – doch seine juristische Anwendung ist komplex und häufig streitbefangen. Für Beschuldigte bietet das Gesetz zahlreiche Angriffspunkte – insbesondere bei unklaren Tatsituationen, zweifelhaften Polizeieinsätzen oder fehlendem Vorsatz.

Wer mit diesem Vorwurf konfrontiert wird, sollte auf keinen Fall unüberlegt handeln oder vorschnell Aussagen machen. Erst die sorgfältige juristische Bewertung durch einen Strafverteidiger kann klären, ob die Vorwürfe überhaupt berechtigt sind.


FAQ – Ihre häufigsten Fragen

1. Kann ich wegen eines Stoßes gegen einen Polizisten verurteilt werden?
Ja, sofern der Stoß vorsätzlich erfolgte und während einer Diensthandlung geschah.

2. Reicht Anspucken wirklich aus?
Ja. Es genügt die feindselige körperliche Einwirkung – selbst wenn der Speichel nicht trifft.

3. Ist auch ein versuchter tätlicher Angriff strafbar?
Ja. Der Versuch ist nach § 114 Abs. 1 StGB ausdrücklich strafbar.

4. Kann ich mich auf Alkohol berufen?
Nur bei nachgewiesener erheblicher Einschränkung der Schuldfähigkeit (in der Regel > 2,0 Promille).

5. Was ist die häufigste Verteidigungsstrategie?
Die Anfechtung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme und der Nachweis, dass kein Vorsatz vorlag oder die Handlung keine tätliche war.