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Haftgründe

Noch bevor es zu einer Verurteilung für eine Straftat kommt, kann eine Untersuchungshaft für den Beschuldigten angeordnet werden. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben – von Flucht und Fluchtgefahr über Verdunklungsgefahr bis hin zur Widerholungsgefahr. Was genau unter diesen Begriffen zu verstehen ist, erfahren Sie im folgenden Beitrag.

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Über den Autor
Tommy Kujus ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht. Er ist Inhaber der Leipziger Kanzlei KUJUS Strafverteidigung, und bundesweit als Strafverteidiger tätig.

Was sind „Haftgründe“?

Eine Untersuchungshaft (kurz: U-Haft), also die Unterbringung in einer speziellen Abteilung einer Justizvollzugsanstalt (kurz: JVA), erfolgt nur aufgrund eines schriftlichen Haftbefehls durch den zuständigen Richter. Eine solche Anordnung wird getroffen, um die Anwesenheit des Beschuldigten im Strafverfahren, die ordnungsgemäße Ermittlung des Sachverhalts und eine eventuelle Strafvollstreckung sicher zu stellen. Hierfür bedarf es einen dringenden Tatverdacht und einen Haftgrund, vgl. § 112 Abs. 1 S. 1 StPO (Strafprozessordnung). Diese Haftgründe, namentlich Flucht, Fluchtgefahr, Verdunklungsgefahr und Wiederholungsgefahr, richten sich dann nach den folgenden §§ 112, 112a StPO.

Die Flucht: § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO

Nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO besteht ein Haftgrund, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen festgestellt wird, dass der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält (sog. „Flucht“). Dabei ist der Beschuldigte derjenige, gegen den die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, weil er in dem Verdacht steht, eine Straftat begangen zu haben.

Dabei setzt die Flucht voraus, dass der Beschuldigte im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens weiß, dass diese ihn suchen und er sich von seinem bisherigen Lebensmittelpunkt absetzt, um zumindest auch in einem gegen ihn anhängigen Strafverfahren unerreichbar zu sein und so dem behördlichen Zugriff zu entgehen. Dabei ist ausreichend, dass er die Unerreichbarkeit billigend in Kauf genommen hat. Für die Flucht muss er aktiv handeln, insbesondere eine gewisse zweckgerichtete Tätigkeit ausüben, wie das Aufgeben bzw. Kündigen seiner Wohnung, das Nichtanmelden am neuen Wohnsitz trotz Abmeldung des alten Wohnsitzes oder häufig wechselnde kurzfristige Aufenthalte bei Freunden.

Die Flucht muss aufgrund konkreter Anhaltspunkte bzw. bestimmter objektiver Tatsachen feststehen. Bloße Vermutungen oder Befürchtungen reichen nicht aus. Entscheidend sind dabei die Umstände des Einzelfalls. Kriterien hierfür sind unter anderem die familiären bzw. sozialen Bindungen, ein fester Arbeitsplatz, ein fester Wohnsitz, besondere Beziehungen ins Ausland, anderweitige Staatsangehörigkeiten sowie die finanzielle Lage des Beschuldigten. Eine Flucht liegt jedenfalls dann nicht vor, wenn der Täter vom Tatort (vor der Polizei) flieht.

Die Fluchtgefahr: § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO

Den häufigsten Haftgrund stellt die sogenannte Fluchtgefahr nach § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO dar. Hiernach muss aufgrund bestimmter Tatsachen und bei Würdigung der Umstände des Einzelfalls die Gefahr bestehen, dass der Beschuldigte sich dem Strafverfahren entziehen wird.

Eine Fluchtgefahr liegt vor, wenn eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Annahme besteht,  dass der Beschuldigte, zumindest für eine gewisse Zeit, dem Strafverfahren fern bleibt. Dabei muss diese Annahme nicht nur auf bloßen Vermutungen oder Befürchtungen beruhen. Es müssen konkrete Anhaltspunkte – ähnlich wie bei dem Haftgrund der Flucht – bei Würdigung aller Umstände des Einzelfalls vorliegen.

Allerdings reichen ein bloßer Ungehorsam gegenüber Vorladungen oder das bloße Untätigsein nicht aus. Es muss ebenfalls eine aktive Handlung für den Haftgrund Fluchtgefahr hinzukommen.

Die Verdunklungsgefahr: § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO

Nach § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO besteht ein Haftgrund aufgrund von Verdunklungsgefahr. Dieser liegt vor, wenn das Verhalten des Beschuldigten durch bestimmte Tatsachen den dringenden Verdacht begründet, er werde Beweismittel verändern, beiseite schaffen, unterdrücken oder fälschen (Nr. 3a), auf Mitbeschuldigte, Zeugen oder Sachverständige in unlauterer Weise einwirken (Nr. 3b) oder andere zu solchem Verhalten veranlassen (Nr. 3c) und hierdurch dann die Gefahr schaffen, dass die Ermittlung der Wahrheit erschwert wird.

Kurz gesagt: Es wird befürchtet, der Beschuldigte plane, seine Tat zu „verdunkeln“, deswegen Verdunklungsgefahr.

Ein solche Gefahr liegt dann jedenfalls nicht vor, wenn die Tat schon aufgeklärt ist und die dazugehörigen Beweise gesichert sind.

Der Verdacht eines Schwerstverbrechens: § 112 Abs. 3 StPO

Nach § 112 Abs. 3 StGB kann auch eine Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn der Beschuldigte einer schweren Straftat verdächtigt wird (sog. „Verdacht eines Schwerstverbrechens“). Hierfür braucht es also keinen expliziten Haftgrund, sondern nur einen dringenden Tatverdacht; demnach eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte einer der aufgeführten Straftaten verübt hat. Hierzu zählen nach § 112 Abs. 3 StPO beispielsweise der Mord (§ 211 StGB), der Totschlag (§ 212 StGB) oder der Betrug (§ 263 StGB).

Die Wiederholungsgefahr: § 112a StPO

(1) Ein Haftgrund besteht auch, wenn der Beschuldigte dringend verdächtig ist,

    1. eine Straftat nach den §§ 174, 174a, 176 bis 176d, 177, 178, 184b Absatz 2 oder nach § 238 Abs. 2 und 3 des Strafgesetzbuches oder
    2.  wiederholt oder fortgesetzt eine die Rechtsordnung schwerwiegend beeinträchtigende Straftat nach den §§ 89a, 89c Absatz 1 bis 4, nach § 125a, nach den §§ 224 bis 227, nach den §§ 243, 244, 249 bis 255, 260, nach § 263, nach den §§ 306 bis 306c oder § 316a des Strafgesetzbuches oder nach § 29 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 10 oder Abs. 3, § 29a Abs. 1, § 30 Abs. 1, § 30a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes oder nach § 4 Absatz 3 Nummer 1 Buchstabe a des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes

begangen zu haben, und bestimmte Tatsachen die Gefahr begründen, daß er vor rechtskräftiger Aburteilung weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen oder die Straftat fortsetzen werde, die Haft zur Abwendung der drohenden Gefahr erforderlich und in den Fällen der Nummer 2 eine Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr zu erwarten ist. In die Beurteilung des dringenden Verdachts einer Tatbegehung im Sinne des Satzes 1 Nummer 2 sind auch solche Taten einzubeziehen, die Gegenstand anderer, auch rechtskräftig abgeschlossener, Verfahren sind oder waren.

(2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn die Voraussetzungen für den Erlaß eines Haftbefehls nach § 112 vorliegen und die Voraussetzungen für die Aussetzung des Vollzugs des Haftbefehls nach § 116 Abs. 1, 2 nicht gegeben sind.

Nach § 112a StPO kann ebenfalls Untersuchungshaft angeordnet werden, wenn der Beschuldigte einer der aufgelisteten Straftaten verdächtigt wird und angenommen wird, dass er diese wiederholen könnte (Wiederholungsgefahr).

Bei Sexualstraftaten nach § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO reicht der Verdacht der einmaligen Begehung aus. Bei Taten nach § 112a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StPO (z. B. Diebstahl, Raub, Betrug) muss der Verdacht der wiederholenden oder fortgesetzten Begehung bestehen (sog. „Wiederholungsgefahr“). Wiederholend bedeutet dabei, dass der Beschuldigte weitere erhebliche Straftaten gleicher Art begehen wird.

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