Was ist „Inzest“?
Definition und rechtliche Einordnung
Der Begriff „Inzest“ beschreibt den sexuellen Kontakt zwischen engen Verwandten, insbesondere zwischen Eltern und Kindern, Geschwistern sowie Großeltern und Enkeln. Dieser Tatbestand ist in § 173 StGB geregelt und gilt ausschließlich für den vaginalen Geschlechtsverkehr. Andere sexuelle Handlungen, wie etwa Oral- oder Analverkehr, sind nicht erfasst. Gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehungen zwischen Verwandten fallen ebenfalls nicht unter diese Vorschrift.
Interessanterweise ist § 173 StGB nicht im Abschnitt der „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ verortet, sondern unter „Straftaten gegen den Personenstand, die Ehe und die Familie“. Dies zeigt, dass der Gesetzgeber den Schutz familiärer Strukturen und sozialer Normen über die individuelle sexuelle Selbstbestimmung stellt.
Rechtlicher Unterschied zwischen Inzest und Inzucht
Während Inzest eine rechtliche Kategorie darstellt, bezieht sich Inzucht auf die biologische Ebene. Inzucht beschreibt die Fortpflanzung innerhalb eines engen Genpools und die potenziellen genetischen Risiken für Nachkommen. Diese Risiken spielen eine zentrale Rolle in der gesellschaftlichen Diskussion über die Notwendigkeit des Inzestverbots, sind jedoch rechtlich irrelevant.
Gesetzliche Regelungen und Voraussetzungen
Tatobjekt: Verwandte in gerader Linie
Von § 173 StGB erfasst sind ausschließlich Verwandte in gerader Linie, das heißt:
- Eltern und Kinder
- Geschwister (auch Halbgeschwister)
- Großeltern und Enkel
Nicht erfasst sind Verwandte in der Seitenlinie, wie Cousins und Cousinen, sowie nicht-blutsverwandte Personen, wie Adoptivgeschwister oder Stiefeltern. Das bedeutet, dass sexuelle Beziehungen zwischen Cousin und Cousine in Deutschland erlaubt sind, ebenso wie zwischen Stiefgeschwistern.
Tathandlung: Vaginaler Geschlechtsverkehr
Strafbar ist nur der vaginale Geschlechtsverkehr. Andere Formen sexueller Handlungen – wie etwa Oral- oder Analverkehr – sowie gleichgeschlechtliche Beziehungen fallen nicht unter den Straftatbestand des § 173 StGB.
Altersgrenzen und Strafausschluss
Eine Besonderheit des § 173 StGB ist, dass minderjährige Personen unter 18 Jahren von der Strafbarkeit ausgenommen sind. Diese Ausnahme berücksichtigt die Unreife und fehlende Verantwortungsfähigkeit Jugendlicher. Bei sexuellen Kontakten zwischen einem volljährigen Elternteil und einem minderjährigen Kind wird jedoch nur der Erwachsene belangt.
Strafmaß
Die Sanktionen für Inzest reichen von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Da es sich um ein Offizialdelikt handelt, verfolgt die Staatsanwaltschaft solche Fälle von Amts wegen.
Historische Entwicklung des Inzestverbots
Das Inzestverbot hat eine lange Tradition und ist in nahezu allen Kulturen und Religionen tief verwurzelt. Ursprünglich diente das Verbot vor allem der Verhinderung von Machtmissbrauch und der Sicherung familiärer Hierarchien. In der Antike und im Mittelalter wurde Inzest jedoch häufig in königlichen Familien toleriert, um die Reinheit des Herrschaftshauses zu bewahren.
Mit der Aufklärung und der Entstehung moderner Strafrechtsordnungen rückte der Schutz vor genetischen Risiken zunehmend in den Vordergrund. Heute argumentiert der Gesetzgeber in Deutschland vor allem mit der Wahrung familiärer Strukturen und dem Schutz vor Abhängigkeiten innerhalb der Familie.
Gesellschaftliche und rechtliche Debatte
Pro: Schutz der Familie und Prävention genetischer Risiken
Befürworter des Inzestverbots betonen, dass sexuelle Beziehungen innerhalb der Familie Machtmissbrauch und Abhängigkeiten begünstigen könnten. Zudem bestehe ein erhöhtes Risiko genetischer Schäden bei Nachkommen, was aus medizinischer Sicht problematisch sei. Das Verbot sei daher eine notwendige Maßnahme, um familiäre Stabilität und gesellschaftliche Normen zu wahren.
Contra: Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung
Kritiker hingegen argumentieren, dass das Inzestverbot die sexuelle Selbstbestimmung unverhältnismäßig einschränkt. Besonders in Fällen, in denen es sich um einvernehmliche Beziehungen zwischen Erwachsenen handelt, sei die Strafbarkeit nicht gerechtfertigt. Zudem sei es nicht Aufgabe des Strafrechts, genetische Risiken zu regulieren.
Position der Gerichte
Das Bundesverfassungsgericht entschied 2008, dass das Inzestverbot mit der Verfassung vereinbar sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte 2011, dass § 173 StGB nicht gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt.
Internationale Regelungen im Vergleich
Länder mit Inzestverbot
In vielen Ländern, darunter Österreich und die Schweiz, existieren ähnliche Regelungen wie in Deutschland. Hier wird Inzest ebenfalls strafrechtlich verfolgt, um die Familie zu schützen.
Länder ohne Inzestverbot
In liberaleren Rechtssystemen, wie in Frankreich, Belgien und den Niederlanden, ist einvernehmlicher Inzest zwischen Erwachsenen nicht strafbar. Diese Länder priorisieren die sexuelle Selbstbestimmung und verzichten auf strafrechtliche Sanktionen.
Fallbeispiele aus der Praxis
Ein besonders bekanntes Beispiel ist der Fall eines Geschwisterpaares aus Sachsen, das vier gemeinsame Kinder hatte. Die Beziehung wurde strafrechtlich verfolgt, und beide Geschwister erhielten Bewährungsstrafen. Der Fall sorgte national und international für Aufsehen und entfachte erneut die Diskussion über die Abschaffung des Inzestverbots.
Verteidigungsstrategien bei einem Inzestvorwurf
Einvernehmlichkeit als Schlüsselargument
In Fällen, in denen keine Zwangslage oder Abhängigkeit vorliegt, können Verteidiger darauf hinweisen, dass die Beteiligten aus freiem Willen gehandelt haben. Die sexuelle Selbstbestimmung der Angeklagten wird dabei in den Vordergrund gestellt.
Irrtum über die Verwandtschaft
Ein weiteres Verteidigungsargument ist ein möglicher Irrtum über die biologische Verwandtschaft. In seltenen Fällen wissen die Beteiligten nicht, dass sie blutsverwandt sind.
Kritik an der Beweislage
Die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen spielt in Verfahren wegen Inzest oft eine entscheidende Rolle. Eine kritische Prüfung der Beweise kann dazu beitragen, Zweifel an der Schuld der Angeklagten zu säen.
Fazit: Ein Thema zwischen Tradition und Moderne
Das Inzestverbot bleibt eine der umstrittensten Vorschriften des deutschen Strafrechts. Während Befürworter die Aufrechterhaltung als notwendig betrachten, fordern Kritiker eine Reform oder Abschaffung zugunsten der sexuellen Selbstbestimmung. Die Diskussion zeigt, dass sich gesellschaftliche und rechtliche Normen stetig weiterentwickeln müssen.
FAQs zu Inzest und Strafrecht
- Ist Inzest immer strafbar?
Nein, § 173 StGB gilt nur für vaginalen Geschlechtsverkehr zwischen biologischen Verwandten in gerader Linie. - Welche Strafe droht bei Inzest?
Es drohen Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder Geldstrafen. - Ist Inzest zwischen Cousins und Cousinen erlaubt?
Ja, Beziehungen zwischen Cousins und Cousinen sind in Deutschland nicht strafbar. - Warum ist Inzest strafbar?
Das Gesetz schützt familiäre Strukturen und soll Machtmissbrauch sowie genetische Risiken verhindern. - Gibt es Länder, in denen Inzest legal ist?
Ja, in Frankreich, Belgien und den Niederlanden ist einvernehmlicher Inzest zwischen Erwachsenen nicht strafbar.