Gefährdung der Entziehungskur
Der § 323b Strafgesetzbuch (StGB) stellt die Gefährdung der Entziehungskur unter Strafe, die auf die Sicherstellung und den Schutz von Personen abzielt, die sich einer solchen Behandlung befinden. Ziel ist es, die Rehabilitationsmaßnahmen für suchtkranke Menschen zu sichern und vor möglichen Gefahren und Beeinträchtigungen zu schützen, die ihre Genesung gefährden könnten. Wer in diesem Zusammenhang die Wirksamkeit einer Entziehungskur beeinträchtigt, macht sich strafbar. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und welche Strafe droht, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Die Suchtbehandlung ist ein sensibles Thema – insbesondere dann, wenn sie gegen den Willen des Betroffenen angeordnet wurde. Wer sich von außen in diesen therapeutischen Prozess einmischt, kann strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. § 323b StGB schützt Entziehungskuren vor genau solchen Eingriffen. Doch was bedeutet das im Detail? Welche juristischen Feinheiten sind zu beachten? Und wie lässt sich eine belastende Vorladung oder Anklage abwehren?
Gesetzliche Grundlage des § 323b StGB
§ 323b StGB ist ein vergleichsweise wenig bekannter, aber nicht zu unterschätzender Straftatbestand. Sein Anwendungsbereich ist klar auf einen bestimmten Schutzbereich zugeschnitten: die erfolgreiche Durchführung von Entziehungskuren.
Ziel des Gesetzgebers ist es, solche Maßnahmen vor Sabotage zu schützen – etwa durch das Einführen von Rauschmitteln, das Verleiten zum Konsum oder das Zugänglichmachen von Suchtstoffen. Dies ist besonders relevant bei Maßnahmen, die nicht freiwillig, sondern auf Grundlage einer behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung erfolgen.
Der Gesetzgeber erkannte, dass derartige therapeutische Maßnahmen massiv gestört werden können, wenn das soziale Umfeld oder Mitpatienten dem Betroffenen den Zugang zu seinen Suchtmitteln wieder eröffnen. Der Erfolg der Kur – und damit auch die Grundlage für eine mögliche Resozialisierung – wäre damit gefährdet.
Wer kann Täter einer Gefährdung der Entziehungskur sein?
Die Vorschrift kennt keine Einschränkungen bezüglich der Täterschaft. Jeder kann Täter sein – unabhängig von seiner beruflichen Rolle, Beziehung zum Untergebrachten oder seinem Aufenthaltsstatus.
In der Praxis häufige Tätergruppen:
- Angehörige, die dem Betroffenen „etwas Gutes tun“ wollen
- Freunde, die aus falsch verstandener Loyalität handeln
- Mitpatienten, die Substanzen „teilen“
- Pflege- oder Reinigungspersonal, das durch Nachlässigkeit Zugang ermöglicht
Ein besonderes Augenmerk gilt hier der sogenannten mittelbaren Täterschaft. Wer einen Dritten dazu verleitet, dem Patienten ein berauschendes Mittel zu überlassen, kann sich ebenfalls strafbar machen – auch wenn er das Mittel selbst nie in der Hand hatte.
Besonderheit: Täterschaft durch Unterlassen?
Zwar ist § 323b StGB primär auf aktives Tun ausgelegt – in Ausnahmefällen kann aber auch ein strafbares Unterlassen relevant werden. Zum Beispiel dann, wenn ein Betreuer davon Kenntnis hat, dass ein Patient Zugang zu Drogen erhält, aber bewusst nicht einschreitet. Voraussetzung ist dann allerdings eine Garantenstellung, etwa aus der Betreuungspflicht.
Wer ist das Tatobjekt?
Der Schutzbereich des § 323b StGB ist klar umrissen: Personen, die in einer Entziehungskur untergebracht sind.
Wichtig ist dabei:
- Die Unterbringung muss auf einer behördlichen Anordnung beruhen
- Oder sie muss gegen den Willen des Betroffenen erfolgen
Eine freiwillige Entziehungskur, etwa in einer Privatklinik, fällt nicht unter diese Norm – auch wenn dort dieselben Substanzverbote gelten. Strafrechtlich relevant wird das Verhalten des Täters also nur, wenn die rechtliche Qualität der Maßnahme einen Zwangscharakter aufweist.
Rechtsgrundlagen für die Unterbringung:
- § 64 StGB: Maßregel der Besserung und Sicherung
- § 126a StPO: Unterbringung zur Beobachtung
- Landesgesetze: z. B. das Bayerische Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz (BayPsychKHG)
Welche Handlungen sind strafbar?
Verschaffen
Ein Täter verschafft dem Patienten alkoholische oder berauschende Mittel, wenn er aktiv dafür sorgt, dass der Betroffene Besitz oder Kontrolle über die Substanz erhält. Auch wenn der Täter das Mittel nicht selbst beschafft hat, sondern nur als Mittelsmann auftritt, ist der Tatbestand erfüllt.
Beispiel: Ein Freund überredet eine andere Besucherin, dem Betroffenen ein Päckchen mit Alkohol unter der Kleidung mitzubringen.
Überlassen
Beim Überlassen muss sich die Substanz bereits im Besitz des Täters befinden, der sie dann dem Betroffenen übergibt. Die Handlung ist abgeschlossen, sobald der Betroffene Zugriff hat – ein tatsächlicher Konsum ist nicht erforderlich.
Beispiel: Ein Mitarbeiter lässt „versehentlich“ eine offene Flasche Desinfektionsmittel (mit hohem Alkoholgehalt) im Patientenzimmer stehen.
Verleiten
Hierbei wird der Patient durch psychologische Einwirkung dazu gebracht, berauschende Mittel zu konsumieren. Entscheidend ist, dass der Täter den Willen des Betroffenen beeinflusst – etwa durch Verharmlosung, Anstiftung oder gruppendynamische Prozesse.
Beispiel: Ein Mitpatient erzählt, wie gut es ihm mit der Beruhigungstablette geht, und motiviert so einen anderen zum Konsum.

Welche Mittel sind relevant?
Der Straftatbestand umfasst alkoholische Getränke und andere berauschende Mittel. Darunter fallen:
- Bier, Wein, Spirituosen
- Cannabis, Heroin, Kokain
- Medikamente mit psychoaktiver Wirkung (z. B. Benzodiazepine, Opiate)
- Legal Highs, Designerdrogen
- Kombinationen aus verschiedenen Substanzen (Polydrug-Use)
Die konkrete Abhängigkeit des Patienten spielt keine Rolle. Ein Täter macht sich auch strafbar, wenn er einem alkoholabhängigen Patienten Drogen überlässt – oder umgekehrt.
Sonderfall: Medikamentenmissbrauch
Besonders heikel sind Fälle, in denen Substanzen medizinisch indiziert, aber gleichzeitig potenziell missbrauchbar sind – etwa starke Schmerzmittel. Hier gilt: Nur mit schriftlicher Freigabe durch die Klinikleitung darf ein Dritter ein solches Präparat übergeben.
Bedeutung der Einwilligung und Erlaubnis
Die Tat ist nur strafbar, wenn keine Erlaubnis der Anstaltsleitung oder eines autorisierten Vertreters vorliegt. Diese Erlaubnis muss sich konkret auf die betreffende Substanz und den betreffenden Zeitpunkt beziehen.
Eine bloße Kenntnis des Personals reicht nicht aus – es muss sich um eine ausdrückliche Zustimmung handeln.
Subjektiver Tatbestand – Vorsatz als Voraussetzung
Die Gefährdung der Entziehungskur ist nur strafbar, wenn sie vorsätzlich begangen wird. Der Täter muss:
- die Umstände der Unterbringung kennen,
- wissen, dass er keine Erlaubnis hat,
- und die Wirkung seines Handelns auf die Entziehungskur erkennen.
Fahrlässigkeit reicht nicht aus. Auch ein sogenannter Eventualvorsatz („Ich hoffe, es geht gut, wenn nicht, ist’s mir auch egal“) erfüllt den Straftatbestand nicht. Die Rechtsprechung verlangt sicheres Wissen oder Absicht.
Verteidigungsansatz: Nachweis, dass der Täter davon ausging, der Patient sei freiwillig in der Einrichtung – oder dass er eine Erlaubnis vermutete.
Versuch und Vollendung
Ein versuchter Verstoß gegen § 323b StGB ist nicht strafbar. Das bedeutet: Wenn der Täter dem Patienten Substanzen bringen will, aber daran gehindert wird, liegt keine Strafbarkeit vor. Erst mit dem tatsächlichen Zugang zur Substanz ist der Tatbestand erfüllt.
Strafverfolgung und Strafmaß
Die Vorschrift ist ein Offizialdelikt – Ermittlungen erfolgen automatisch, sobald die Polizei oder Staatsanwaltschaft Kenntnis erhält.
Das Strafmaß liegt bei:
- Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr
- oder Geldstrafe
Strafzumessung
Die Gerichte berücksichtigen bei der Strafhöhe unter anderem:
- das Maß der Gefährdung,
- die konkrete Substanz,
- das Vorverhalten des Täters,
- Reue oder Einsicht,
- und die Folgen für den Patienten.
Wichtig: Auch ein scheinbar „kleiner“ Verstoß (z. B. ein Bier in der Tasche) kann strafrechtlich relevant sein, wenn er den Therapieerfolg gefährdet.
Relevanz für die Strafverteidigung
Die Verteidigung kann auf mehreren Ebenen ansetzen:
- Fehlender Vorsatz: Der Täter wusste nicht, dass die Person untergebracht war.
- Irrtum über die Rechtslage: Der Täter glaubte, eine Erlaubnis zu haben.
- Kein Überlassen: Die Substanz blieb in seinem Besitz.
- Therapie war bereits gescheitert: Keine konkrete Gefährdung des Erfolgs mehr.
- Keine Rauschmittel im engeren Sinne: Substanzen mit fraglicher Wirkung.
Tipp für die Verteidigung: Frühzeitig Akteneinsicht beantragen und Zeugen befragen, um Vorsatz oder Erlaubnis in Zweifel zu ziehen.
Erweiterte Fallbeispiele aus der Praxis
Beispiel 3: „Ich habe ihm nur etwas mitgegeben“
Ein ehemaliger Mitpatient besucht einen Freund in der Klinik und lässt ihm „zum Abschalten“ eine kleine Menge Cannabis da. Er weiß nicht, dass der Freund unter Zwang dort ist. → Kein Vorsatz – gute Verteidigungsposition.
Beispiel 4: Medikamentenverteilung durch Patienten
Ein Patient gibt anderen seine verschriebenen Tabletten weiter – angeblich, um ihnen zu helfen. → Hier kann sowohl Vorsatz als auch eine gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) im Raum stehen.

Abgrenzung zu anderen Delikten
- § 29 BtMG – Besitz, Handel oder Abgabe von Betäubungsmitteln
- § 224 StGB – Körperverletzung mit gesundheitsschädlicher Substanz
- § 315c StGB – Gefährdung des Straßenverkehrs nach Substanzkonsum
- § 323c StGB – Unterlassene Hilfeleistung bei Kollaps nach Konsum
Fazit
Die Gefährdung der Entziehungskur nach § 323b StGB ist kein Kavaliersdelikt. Sie schützt nicht nur die Einrichtungen, sondern auch den Therapieerfolg – und damit letztlich auch die Chance des Betroffenen auf ein suchtfreies Leben. Wer mit Rauschmitteln oder Alkohol Einfluss auf untergebrachte Patienten nimmt, muss mit empfindlichen strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Gleichzeitig bietet das Gesetz Raum für differenzierte Verteidigungsstrategien, insbesondere wenn der Vorsatz fraglich ist oder eine Genehmigung angenommen wurde.
FAQ: Gefährdung der Entziehungskur – Ihre wichtigsten Fragen
1. Wird auch das Mitbringen von Zigaretten bestraft?
Nein – Tabak ist kein berauschendes Mittel im Sinne des § 323b StGB.
2. Gilt der Paragraph auch in Privatkliniken?
Nur, wenn die Unterbringung ohne Einwilligung oder behördlich angeordnet wurde. Freiwillige Aufenthalte sind ausgenommen.
3. Was passiert, wenn ich unwissentlich ein verbotenes Medikament bringe?
Wenn Sie keine Kenntnis über die Unzulässigkeit hatten, fehlt der Vorsatz – eine Strafbarkeit ist dann unwahrscheinlich.
4. Wie erfährt die Staatsanwaltschaft von der Tat?
Meist durch interne Hinweise des Personals oder Auffälligkeiten beim Patienten.
5. Wann sollte man einen Strafverteidiger einschalten?
Sofort bei einer Vorladung oder Hausdurchsuchung – je früher, desto besser lässt sich der Sachverhalt einordnen und beeinflussen.