Erregung öffentlichen Ärgernisses
Die Erregung öffentlichen Ärgernisses ist ein Strafbestand, welcher häufig zu hören ist. Doch was ist damit eigentlich genau gemeint? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit man sich nach § 183a Strafgesetzbuch (StGB) strafbar macht? Und welche Strafen können drohen? Antworten auf diese Fragen finden Sie in diesem Beitrag.

Sexuelle Handlungen gehören zur Privatsphäre – doch wo endet die Intimität, und wo beginnt die Strafbarkeit? Viele Menschen unterschätzen, wie schnell ein Moment der Nähe in der Öffentlichkeit zu einem strafrechtlichen Problem werden kann. Der Straftatbestand der „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ nach § 183a Strafgesetzbuch (StGB) ist einer der am häufigsten missverstandenen Paragrafen im deutschen Sexualstrafrecht. Er wirkt auf den ersten Blick harmlos, birgt jedoch für Betroffene erhebliche Risiken: hohe Geldstrafen, Einträge ins Führungszeugnis, berufliche Konsequenzen und soziale Stigmatisierung.
In diesem umfassenden Fachbeitrag erfahren Sie, was § 183a StGB genau verbietet, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wie sich der Tatbestand vom Exhibitionismus unterscheidet und vor allem, wie Sie sich gegen den Vorwurf verteidigen können – mit dem klaren Fokus auf die Perspektive des Beschuldigten.
Gesetzliche Grundlage – Was steht in § 183a StGB?
Wortlaut des Gesetzes
„Wer öffentlich sexuelle Handlungen vornimmt und dadurch absichtlich oder wissentlich ein Ärgernis erregt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft, wenn die Tat nicht in § 183 mit Strafe bedroht ist.“
§ 183a StGB ist ein Auffangtatbestand, der alle Fälle abdecken soll, in denen keine exhibitionistische Handlung nach § 183 StGB vorliegt, aber dennoch eine erhebliche sexuelle Handlung in der Öffentlichkeit erfolgt.
Schutzgut der Norm
Der Tatbestand schützt nicht – wie etwa beim sexuellen Übergriff (§ 177 StGB) – die sexuelle Selbstbestimmung einer konkreten Person, sondern die öffentliche Ordnung und das sogenannte allgemeine sittliche Empfinden. Es geht also darum, die Allgemeinheit vor dem Zwang zu bewahren, sexuellen Handlungen unfreiwillig ausgesetzt zu sein.
Die Tatbestandsmerkmale – Wann ist eine Handlung strafbar?
1. Öffentliche Vornahme sexueller Handlungen
Der Begriff der „Öffentlichkeit“ ist entscheidend. Eine Handlung ist öffentlich, wenn sie von einem unbestimmten Personenkreis wahrgenommen werden kann – es genügt also bereits die abstrakte Möglichkeit der Wahrnehmung. Dabei spielt es keine Rolle, ob tatsächlich jemand zusieht – allein das Risiko reicht aus.
Öffentliche Orte im Sinne von § 183a StGB sind u. a.:
-
Straßen, Parks, Bahnhöfe
-
Öffentliche Verkehrsmittel (z. B. S-Bahn, Bus)
-
Parkplätze, wenn nicht klar abgeschirmt
-
Eingänge von Wohnhäusern, sofern frei zugänglich
-
Internet-Livestreams mit offenem Zugang
Nicht als öffentlich gelten:
-
Privaträume (auch bei geöffnetem Fenster)
-
FKK-Bereiche oder Swingerclubs mit geschlossener Gesellschaft
-
Fahrzeug auf privatem Grundstück mit Sichtschutz
Gerichte haben wiederholt betont: Sogar Sex im Auto auf einem abgelegenen Supermarktparkplatz kann öffentlich sein, wenn das Fahrzeug einsehbar ist.
2. Sexuelle Handlung mit Erheblichkeit
Nicht jede zärtliche Geste erfüllt den Straftatbestand. Strafbar ist nur eine sexuelle Handlung mit erheblichem Charakter – also solche, die im Gesamtbild als eindeutig sexuell und über bloße Körpernähe hinausgehend verstanden werden.
Strafbare Handlungen:
-
Geschlechtsverkehr (auch oral/anal)
-
Masturbation
-
Reiben oder Manipulation an entblößten Geschlechtsteilen
Nicht strafbar:
-
Küsse, Umarmungen
-
Nacktheit an Orten, an denen dies gesellschaftlich akzeptiert ist
-
Flitzer-Auftritte ohne sexuellen Bezug
-
Striptease in geschlossenen Räumen
Entscheidend ist, wie ein „unbeteiligter Dritter“ die Situation wahrnehmen würde – nicht, was der Täter dabei empfindet.
3. Erregung eines öffentlichen Ärgernisses
Mindestens eine Person muss die Handlung wahrgenommen und als störend empfunden haben. Dabei geht es um negative emotionale Reaktionen wie:
-
Scham
-
Ekel
-
Abscheu
-
Entsetzen
Nicht ausreichend sind:
-
Belustigung
-
Neugier
-
Überraschung
Außerdem: Wer sich bewusst an einen Ort begibt, an dem mit sexuellen Handlungen zu rechnen ist, kann in der Regel kein rechtlich relevantes Ärgernis empfinden – selbst wenn er sich subjektiv gestört fühlt.
4. Vorsatz des Täters
Der Täter muss vorsätzlich gehandelt haben – entweder in Form von Absicht (er will provozieren) oder Wissentlichkeit (er weiß, dass jemand zusieht).
Kein Vorsatz liegt vor, wenn:
-
Der Täter davon ausging, unbeobachtet zu sein
-
Maßnahmen getroffen wurden, um nicht gesehen zu werden (z. B. Sichtschutz)
-
Der Täter die Öffentlichkeit gar nicht wollte (z. B. abgelegener Waldweg)
Bei reiner Fahrlässigkeit (z. B. „Ich habe nicht daran gedacht“) liegt keine Strafbarkeit vor – ein häufiger und wichtiger Verteidigungsansatz.
Abgrenzung zu § 183 StGB – Exhibitionismus
Ein häufiger Irrtum ist die Gleichsetzung mit § 183 StGB. Die Unterschiede sind wesentlich:
Merkmal | § 183 StGB | § 183a StGB |
---|---|---|
Geschlecht | Nur Männer | Männer und Frauen |
Handlung | Entblößen zur sexuellen Erregung |
Jede erhebliche sexuelle Handlung |
Motivation | Sexuelle Lust | Auch andere Motive möglich |
Strafrahmen | Geld- oder Freiheitsstrafe | Geld- oder Freiheitsstrafe |
Wer also beispielsweise auf einem Bahnsteig masturbiert, kann je nach Geschlecht und Motivation unter § 183 oder § 183a fallen – oder sogar beides.
Typische Fallkonstellationen aus der Praxis
-
Sex im Auto auf dem Supermarktparkplatz: Öffentlich, wenn einsehbar
-
Masturbation im Zugabteil: Strafbar nach § 183a, ggf. § 183
-
Sexuelle Handlung auf Balkon: Strafbar, wenn Passanten Einblick haben
-
Nacktheit im Garten: Nur strafbar, wenn erkennbar sexuell konnotiert
-
Nackt-Selfies in der Natur: Nicht strafbar, solange keine sexuelle Handlung erfolgt
Strafen und Konsequenzen
Strafrahmen
-
Geldstrafe (abhängig von Einkommen, Tagessätze)
-
Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr
Einmalige Taten werden häufig mit Geldstrafe sanktioniert – bei Wiederholung, Rückfall oder Provokation kann jedoch auch eine Freiheitsstrafe verhängt werden.
Eintrag im Führungszeugnis
-
Geldstrafen bis zu 90 Tagessätzen: Kein Eintrag
-
Ab 91 Tagessätzen oder Freiheitsstrafe: Eintrag
Ein Eintrag kann erhebliche Folgen haben:
-
Verlust des Arbeitsplatzes
-
Probleme bei Verbeamtung
-
Schwierigkeiten bei Visa oder Auslandsreisen
-
Einschränkungen im Familienrecht (z. B. Sorge-/Umgangsrecht)
Verteidigungsstrategien im Strafverfahren
Ein erfahrener Strafverteidiger prüft zunächst:
-
War die Handlung tatsächlich öffentlich?
-
Gab es einen objektiven Beobachter?
-
War die sexuelle Handlung erheblich?
-
Kann der Vorsatz sicher bewiesen werden?
Typische Verteidigungsansätze:
-
Bestreiten der Öffentlichkeit: Beispiel: Privatgrundstück, Sichtschutz
-
Anzweifeln der Erheblichkeit: Streicheln ≠ Strafbarkeit
-
Vorsatz verneinen: Täter fühlte sich unbeobachtet
-
Kein Ärgernis: Zeuge war nicht schockiert, sondern neugierig
In vielen Fällen ist eine Verfahrenseinstellung nach § 153 oder § 153a StPO möglich – oft mit der Auflage einer kleinen Geldzahlung.
Bedeutung der Norm im gesellschaftlichen Kontext
Die Vorschrift steht immer wieder in der Kritik:
-
Zu unbestimmt, was als „erheblich sexuell“ gilt
-
Kriminalisierung sozialadäquaten Verhaltens (z. B. Nacktheit im Sommer)
-
Eingriff in die Privatsphäre
Rechtswissenschaft und Anwaltschaft fordern seit Jahren eine Reform oder Streichung – bislang erfolglos.
Prävention – So schützen Sie sich vor Strafbarkeit
-
Keine sexuellen Handlungen an öffentlich einsehbaren Orten
-
Verwendung von Sichtschutz (z. B. auf Balkonen oder im Garten)
-
Kein Livestream oder öffentliches Teilen intimer Inhalte
-
Im Zweifelsfall: Rechtzeitig juristischen Rat einholen
Fazit – Intimität ist kein Spiel mit dem Strafrecht
§ 183a StGB klingt harmlos, kann aber im Alltag erhebliche Auswirkungen haben. Was als kleiner Ausrutscher beginnt, kann zu Geldstrafen, Einträgen im Führungszeugnis und beruflichen Problemen führen. Die Auslegung ist oft unklar, die Rechtsprechung uneinheitlich – umso wichtiger ist es, als Beschuldigter Ruhe zu bewahren, keine vorschnellen Aussagen zu machen und sofort einen spezialisierten Strafverteidiger zu konsultieren.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Ist Sex im Auto strafbar?
Ja, wenn das Fahrzeug auf einem öffentlichen Parkplatz steht und andere Personen Einblick haben.
Was ist mit Nackt-Selfies oder Nacktbaden?
Solange keine sexuelle Handlung erfolgt und es sozial üblich ist (z. B. FKK), liegt keine Strafbarkeit vor.
Gilt § 183a StGB auch für Frauen?
Ja, im Gegensatz zu § 183 StGB ist die Vorschrift geschlechtsneutral.
Erscheint eine Verurteilung im Führungszeugnis?
Nur, wenn die Geldstrafe mehr als 90 Tagessätze beträgt oder eine Freiheitsstrafe verhängt wird.
Was, wenn ich dachte, ich wäre allein?
Dann fehlt möglicherweise der Vorsatz – ein starker Ansatzpunkt für die Verteidigung.
Kann ich mich gegen die Strafe wehren?
Ja – insbesondere bei schwacher Beweislage, fehlendem Vorsatz oder geringer Schuld kann ein erfahrener Strafverteidiger eine Verfahrenseinstellung oder einen Freispruch erreichen.
Was passiert bei Wiederholung?
Wiederholungstaten können zu deutlich höheren Strafen führen – ggf. auch zu kurzen Freiheitsstrafen ohne Bewährung.