Geiselnahme nach § 239b StGB
Die Geiselnahme ist einer der schwersten Straftatbestände im deutschen Strafrecht. Wer eine andere Person gegen ihren Willen festhält, um sie oder Dritte durch Drohungen zu bestimmten Handlungen zu zwingen, muss mit hohen Freiheitsstrafen rechnen – bis hin zur lebenslangen Haft. Doch nicht jede Freiheitsentziehung erfüllt die strengen Voraussetzungen des § 239b StGB. Für Beschuldigte ist eine frühzeitige und kluge Verteidigung entscheidend.
Was regelt § 239b StGB?
§ 239b StGB schützt die persönliche Freiheit und Unversehrtheit des Opfers – aber auch das Selbstbestimmungsrecht Dritter, die durch die Tat zu bestimmten Handlungen genötigt werden sollen. Die Vorschrift kennt zwei Handlungsformen:
- Bemächtigungslage mit Nötigungsabsicht: Der Täter bringt das Opfer in seine Gewalt, um eine Nötigung zu ermöglichen.
- Ausnutzung einer bestehenden Bemächtigungslage: Die Gewaltlage besteht bereits – der Täter nutzt sie nun für eine Nötigung aus.
Der Strafrahmen beginnt bei fünf Jahren Freiheitsstrafe und kann bis zu lebenslanger Haft reichen.
Wer kann Opfer einer Geiselnahme sein?
Jeder Mensch. Das Gesetz macht keinen Unterschied – ob Kind, Erwachsener oder Verwandter. Auch schlafende oder bewusstlose Personen gelten als potenzielle Opfer.
Welche Handlungen sind strafbar?
Entführung
Das Opfer wird gegen seinen Willen an einen anderen Ort verbracht. Entscheidend ist der Verlust der Bewegungsfreiheit – verbunden mit einem Zwangselement.
Beispiel: Eine Person wird in ein Auto gezerrt und weggebracht – sie hat keine Kontrolle mehr über ihren Aufenthaltsort.

Sich-Bemächtigen
Schon die Kontrolle über das Opfer reicht aus. Eine Ortsveränderung ist nicht notwendig. Auch das Einsperren in einem Raum oder das Festhalten an Ort und Stelle genügt.
Beispiel: Eine Person wird in einem Zimmer eingeschlossen, um später Forderungen zu stellen.
Was ist das Ziel der Geiselnahme?
Entscheidend ist die Nötigungsabsicht. Der Täter muss das Opfer oder einen Dritten zwingen wollen, etwas zu tun, zu dulden oder zu unterlassen. Die bloße Freiheitsberaubung reicht nicht – es braucht den weitergehenden Zweck der Einflussnahme.
Beispiel
Ein Vater hält seinen Sohn fest, um die Mutter dazu zu bringen, eine Anzeige zurückzunehmen. Die Geiselnahme kann vorliegen, wenn mit schwerer Gewalt gedroht wird.
Welche Drohungen zählen?
Nur qualifizierte Drohmittel reichen aus:
- Todesdrohungen
- Schwere Körperverletzungen im Sinne des § 226 StGB
- Längere Freiheitsentziehung – z. B. Einsperren für über eine Woche
Allgemeine Einschüchterung, wirtschaftliche Nachteile oder leichte Übergriffe genügen nicht. Auch die Rechtmäßigkeit des angestrebten Ziels ist unerheblich – es kommt allein auf das Mittel an.

Was bedeutet „Ausnutzen“ einer bestehenden Lage?
Manche Täter schaffen die Gewaltlage nicht selbst, sondern nutzen eine bereits bestehende Situation aus. Auch dann kann eine Strafbarkeit nach § 239b vorliegen, wenn die Nötigung durch qualifizierte Drohung erfolgt.
Beispiel: Eine Geisel wurde bereits entführt – ein Dritter nutzt die Situation, um Lösegeld zu fordern.
Welche Strafen drohen bei Geiselnahme?
Regelfall
Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren.
Minder schwerer Fall
In Ausnahmefällen – etwa bei kurzer Dauer, fehlender Gewaltanwendung oder familiärem Hintergrund – kann das Gericht auf eine Mindeststrafe von einem Jahr absehen.
- kurzzeitige Freiheitsentziehung
- kein Einsatz von Waffen
- Motiv aus Sorge (z. B. Kindesrückholung)
Todesfolge
Wenn das Opfer stirbt – auch unbeabsichtigt –, droht lebenslange Freiheitsstrafe oder nicht unter zehn Jahren.
Tätige Reue: Milderung oder Straferlass
Wer das Opfer freiwillig freilässt und auf die Erfüllung seiner Forderungen verzichtet, kann nach § 239a Abs. 4 StGB mit einer Strafmilderung rechnen. Die Rechtsprechung erkennt dies an, wenn die Rückgabe ernsthaft erfolgt – auch wenn andere an der Freilassung mitwirken.
Versuch ist strafbar
Bereits der Versuch einer Geiselnahme – etwa das Ansetzen zur Entführung – ist strafbar, wenn der Täter mit entsprechender Absicht handelt.
Verteidigung bei Geiselnahme: Ansatzpunkte
- Fehlende Nötigungsabsicht
- Ungeeignetes Drohmittel
- Keine stabile Bemächtigungslage
- Verweis auf minder schweren Fall
- Tätige Reue nachweisen
- Beweisverwertungsverbot bei rechtswidriger Ermittlung

Abgrenzung zu ähnlichen Delikten
Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)
Hier fehlt die Nötigungsabsicht. Das Strafmaß ist deutlich geringer.
Erpresserischer Menschenraub (§ 239a StGB)
Statt Nötigung geht es hier um Erpressung – also um Bereicherungsabsicht, z. B. durch Lösegeld.
Menschenraub (§ 234 StGB)
Hier steht die Absicht im Vordergrund, das Opfer ins Ausland zu verbringen oder hilflos zurückzulassen.
Häufige Fragen zur Geiselnahme
Was ist der Unterschied zur Freiheitsberaubung?
Die Geiselnahme enthält zusätzlich eine Nötigungsabsicht mit qualifizierter Drohung – bei der Freiheitsberaubung genügt das Einsperren.
Welche Strafe droht mindestens?
Mindestens fünf Jahre Freiheitsstrafe – bei Todesfolge oder besonders schwerem Verlauf auch lebenslang.
Kann auch der Versuch strafbar sein?
Ja. Bereits der Versuch wird mit hoher Freiheitsstrafe bedroht.
Was ist tätige Reue?
Wenn der Täter das Opfer freiwillig freilässt, auf seine Forderung verzichtet und dies glaubhaft macht, kann das Gericht die Strafe mildern.
Anzeige erhalten?
Wer einer Geiselnahme beschuldigt wird, sieht sich mit einem schweren Tatvorwurf konfrontiert. Schon der Versuch kann zu langjährigen Haftstrafen führen. Umso wichtiger ist es, frühzeitig anwaltlichen Beistand zu suchen. Denn oft steht nicht die Tat an sich, sondern die Frage im Mittelpunkt, ob alle Voraussetzungen erfüllt sind – insbesondere die Nötigungsabsicht und das verwendete Drohmittel.


