Gerichtsaufbau

Welches Gericht ist zuständig? Welche Rechtsmittel gegen Strafurteile gibt es? Was sind Schöffen? Ein Strafverfahren wirft viele Fragen auf. Je nach Sachverhalt und vorgeworfenen Straftaten ergeben sich unterschiedliche Zuständigkeiten. Welcher allgemeine Gerichtsaufbau gilt und welche Gerichte erstinstanzlich sowie im Rechtsmittelverfahren zuständig sind, erfahren Sie im folgenden Beitrag. Wichtige Vorschriften ergeben sich dabei aus dem Gerichtsverfassungsgesetz (kurz: GVG) und der Strafprozessordnung (kurz: StPO).

Gerichtsaufbau

Der deutsche Gerichtsaufbau wirkt auf den ersten Blick komplex – und genau das kann für Beschuldigte zur Herausforderung werden. Wer sitzt wo? Wer entscheidet was? Und vor allem: Welche Möglichkeiten zur Verteidigung bestehen in welcher Instanz? Dieser Beitrag liefert Ihnen einen tiefgehenden Überblick über die Gerichtsstruktur in Deutschland, mit klarem Fokus auf die strafrechtliche Perspektive. Erfahren Sie, welche Gerichte zuständig sind, wie der Instanzenzug verläuft und warum fundierte Kenntnisse über den Gerichtsaufbau für die Strafverteidigung entscheidend sind.

Die fünf Gerichtsbarkeiten in Deutschland

In Deutschland gibt es fünf Gerichtsbarkeiten, die jeweils für unterschiedliche Rechtsgebiete zuständig sind:

Ordentliche Gerichtsbarkeit

Sie umfasst die Zivil- und Strafgerichte und ist damit für alle Strafverfahren zuständig (§ 13 GVG).

Arbeitsgerichtsbarkeit

Zuständig für Streitigkeiten zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern – etwa Kündigungsschutzklagen.

Verwaltungsgerichtsbarkeit

Prüft das Handeln von Behörden – z. B. bei Widersprüchen gegen Verwaltungsakte.

Sozialgerichtsbarkeit

Bearbeitet Klagen gegen Träger der Sozialversicherung, etwa bei Renten- oder Krankenkassenstreitigkeiten.

Finanzgerichtsbarkeit

Verhandelt steuerrechtliche Klagen, z. B. gegen Einkommensteuerbescheide.

Die Instanzen der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Strafrecht

Innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit gibt es eine klare Hierarchie:

Amtsgericht (AG)

Erste Instanz bei leichteren Delikten, wenn keine Freiheitsstrafe über vier Jahren zu erwarten ist (§§ 24, 25 GVG). Beispiele: Hausfriedensbruch, Diebstahl, einfache Körperverletzung.

Landgericht (LG)

Zuständig für schwerwiegendere Straftaten wie Raub, schwere Körperverletzung, Mord. Auch Berufungsinstanz für Urteile des Amtsgerichts (§ 74 GVG).

Oberlandesgericht (OLG)

Erstinstanzlich zuständig bei Staatsschutzdelikten wie Hochverrat (§ 120 GVG). Zudem Revisionsinstanz für Urteile der Landgerichte.

Bundesgerichtshof (BGH)

Revisionsinstanz für Urteile des Land- oder Oberlandesgerichts (§ 135 GVG). Der BGH prüft nur die rechtliche Korrektheit eines Urteils, keine neuen Beweise.

Gerichtsaufbau

Die sachliche Zuständigkeit: Wer verhandelt welche Tat?

Die Zuständigkeit richtet sich nach der Straferwartung und der Art des Delikts:

  • AG: Freiheitsstrafe bis 4 Jahre (z. B. § 242 StGB – Diebstahl)
  • LG: Schwere Verbrechen (z. B. § 211 StGB – Mord)
  • OLG: Staatsschutzsachen (§ 94 StGB – Landesverrat)

Die genaue Einstufung kann bereits in der Anklageschrift taktisch beeinflusst werden. Eine gute Verteidigung prüft daher auch, ob das Verfahren ggf. ans Amtsgericht verwiesen werden kann.

Die Spruchkörper – Wer sitzt im Gericht?

Die Besetzung der Richterbank hängt vom Verfahren ab:

Strafrichter (AG)

Einzelrichter bei einfachen Fällen, max. 2 Jahre Freiheitsstrafe zu erwarten (§ 25 GVG).

Schöffengericht (AG)

Ein Berufsrichter, zwei Schöffen bei mittelschweren Taten (§ 29 GVG).

Erweiterte Schöffengericht

Zwei Berufsrichter und zwei Schöffen (§ 29 Abs. 2 GVG), z. B. bei Serien- oder Bandendelikten.

Große Strafkammer (LG)

Drei Berufsrichter, zwei Schöffen. Bei einfacheren Fällen: Zwei Berufsrichter, zwei Schöffen (§ 76 Abs. 2 GVG).

Schwurgericht (LG)

Besonders bei Tötungsdelikten – drei Berufsrichter, zwei Schöffen (§ 74 Abs. 2 GVG).

Strafsenat (OLG/BGH)

Keine Schöffen, nur Berufsrichter. OLG i. d. R. drei, BGH fünf Richter (§ 122, § 139 GVG).

Die Rolle der Schöffen – Chancen und Risiken

Schöffen sind Laienrichter aus der Bevölkerung. Ihre Stimme zählt so viel wie die eines Berufsrichters. Sie bringen Alltagsverstand ins Gericht – das kann für Angeklagte vorteilhaft sein, etwa bei nachvollziehbaren Lebensgeschichten oder glaubwürdiger Reue. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Verteidigung, auch komplexe juristische Argumente verständlich zu vermitteln.

Örtliche Zuständigkeit – Wo wird verhandelt?

Grundsätzlich gilt das Tatortprinzip (§ 7 StPO): Das Gericht, in dessen Bezirk die Straftat begangen wurde, ist zuständig. Ein Einbruch in Nürnberg wird in Nürnberg verhandelt, ein Betrug in Kiel vor dem Kieler Amtsgericht.

Die Rechtsmittel – Berufung und Revision

Berufung

Vollständige Neuverhandlung vor der nächsthöheren Instanz. Tatsachen und Recht werden erneut überprüft. Gegen Urteile des AG zum LG (§ 312 StPO).

Revision

Nur rechtliche Überprüfung – keine neuen Beweise. Gegen AG-Urteil ans OLG (§ 333 StPO), gegen LG-Urteil zum BGH (§ 135 GVG).

Sprungrevision

Direkter Revisionsweg vom AG zum OLG – ohne Berufung (§ 335 StPO).

Frist beachten: Eine Woche nach Urteilsverkündung (§§ 314, 341 StPO).

Die Taktik im Instanzenzug

Ein effektiver Strafverteidiger denkt über die erste Instanz hinaus. Beispiel: Wird am Amtsgericht eine unverständliche Beweiswürdigung vorgenommen, kann das LG im Berufungsverfahren durch erneute Beweisaufnahme korrigieren. In besonders komplexen Fällen – etwa bei schwerwiegenden Rechtsfragen – empfiehlt sich die Revision.

Strategisch klug eingesetzt, bietet der Instanzenzug die Chance, fehlerhafte Urteile zu korrigieren und mildernde Umstände geltend zu machen.

Spezialkammern – Staatsschutz und Wirtschaft

Staatsschutzkammer (§ 74a GVG)

Zuständig für politisch motivierte oder terroristische Straftaten – häufig mit geheimdienstlicher Beweisführung.

Wirtschaftsstrafkammer (§ 74c GVG)

Zuständig bei besonders umfangreichen oder wirtschaftlich bedeutsamen Delikten – z. B. Betrug mit Millionenschaden.

Hier ist spezialisiertes Verteidigungswissen gefragt, u. a. zu Finanzgutachten oder digitalen Beweismitteln.

Gerichtsaufbau

Jugendstrafrecht – Sonderregeln für Heranwachsende

Für Jugendliche und Heranwachsende (bis 21 Jahre) gelten eigene Verfahrensregeln nach dem JGG. Hier stehen Erziehung und Resozialisierung im Vordergrund – nicht Bestrafung. Zuständig sind Jugendrichter, Jugendschöffengericht oder Jugendkammer.

Historischer Überblick – Wie entstand der Gerichtsaufbau?

Der moderne Gerichtsaufbau wurde im Deutschen Kaiserreich eingeführt (GVG von 1877) und nach dem Zweiten Weltkrieg unter den Alliierten reformiert. Mit der Wiedervereinigung wurde das System auf ganz Deutschland übertragen. Die heutigen Strukturen spiegeln ein hohes Maß an Rechtsstaatlichkeit und Bürgerbeteiligung wider.

Fazit

Der Gerichtsaufbau in Deutschland ist vielschichtig – doch wer ihn kennt, kann ihn nutzen. Für Angeklagte und Verteidiger geht es nicht nur darum, die Zuständigkeiten zu verstehen, sondern auch darum, strategisch zu denken: Wann ist welches Gericht von Vorteil? Wann lohnt sich eine Berufung? Und wo sind die Grenzen der Revision?

Ein starker Strafverteidiger nutzt dieses Wissen gezielt – und gibt dem Angeklagten die bestmögliche Chance auf ein faires Verfahren.


FAQs

Was ist der Unterschied zwischen Berufung und Revision?
Die Berufung erlaubt eine neue Tatsachenverhandlung. Die Revision prüft nur, ob das Urteil rechtlich korrekt war.

Was ist eine Sprungrevision?
Ein Verfahren, bei dem man direkt vom Amtsgericht zum Oberlandesgericht geht – ohne den Umweg über die Berufung.

Welche Gerichte sind für Mord oder Totschlag zuständig?
Das Landgericht – konkret das Schwurgericht, bestehend aus drei Berufsrichtern und zwei Schöffen.

Kann ein Schöffe einen Freispruch gegen Richtermehrheit durchsetzen?
Theoretisch ja – denn Schöffen haben die gleiche Stimmkraft wie Berufsrichter. In der Praxis geschieht das selten, kann aber entscheidend sein.

Wie lange dauert eine Revision beim Bundesgerichtshof?
Zwischen sechs Monaten und einem Jahr – je nach Umfang und Arbeitslast des Senats.