Haftgründe

Noch bevor es zu einer Verurteilung für eine Straftat kommt, kann eine Untersuchungshaft für den Beschuldigten angeordnet werden. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben – von Flucht und Fluchtgefahr über Verdunklungsgefahr bis hin zur Widerholungsgefahr. Was genau unter diesen Begriffen zu verstehen ist, erfahren Sie im folgenden Beitrag.

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Bekannt aus

Tommy Kujus
Strafverteidiger

Aktualisiert am 12.01.2025

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Was sind „Haftgründe“?

Die Untersuchungshaft (kurz: U-Haft) bezeichnet die vorläufige Inhaftierung eines Beschuldigten in einer speziellen Abteilung einer Justizvollzugsanstalt (JVA). Sie wird nur auf Grundlage eines schriftlichen Haftbefehls durch den zuständigen Richter angeordnet. Ziel ist es, die Anwesenheit des Beschuldigten im Strafverfahren, die ordnungsgemäße Ermittlung des Sachverhalts und die Strafvollstreckung sicherzustellen.

Gemäß § 112 Abs. 1 S. 1 Strafprozessordnung (StPO) setzt die Anordnung der U-Haft zwei zentrale Voraussetzungen voraus:

  • Dringender Tatverdacht: Es besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte die ihm vorgeworfene Tat begangen hat.
  • Haftgrund: Einer der gesetzlich definierten Haftgründe – Flucht, Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr, Wiederholungsgefahr oder der Verdacht eines Schwerstverbrechens – liegt vor.

Die rechtliche Grundlage für Haftgründe ergibt sich aus den §§ 112, 112a StPO.


Arten von Haftgründen

1. Flucht (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 StPO)
Flucht liegt vor, wenn der Beschuldigte aktiv handelt, um sich dem Strafverfahren zu entziehen. Beispiele hierfür sind:

  • Abmeldung des bisherigen Wohnsitzes ohne Neuanmeldung.
  • Häufig wechselnde Aufenthalte oder gezielte Verschleierung des Aufenthaltsortes.

Die Annahme von Flucht muss auf objektiven Tatsachen basieren. Bloße Vermutungen reichen nicht aus. Entscheidend sind Einzelfallumstände wie familiäre Bindungen, finanzielle Lage und mögliche Beziehungen ins Ausland.

2. Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO)
Die Fluchtgefahr ist der häufigste Haftgrund. Sie wird angenommen, wenn konkrete Tatsachen darauf hindeuten, dass der Beschuldigte sich dem Verfahren entziehen könnte. Die Einschätzung erfolgt durch Würdigung der Gesamtumstände:

  • Fehlen eines festen Wohnsitzes.
  • Gute finanzielle Möglichkeiten zur Flucht ins Ausland.
  • Frühere Verstöße gegen gerichtliche Auflagen.

Eine bloße Nichtbeachtung von Vorladungen genügt jedoch nicht; es muss eine aktive Handlung hinzukommen.

3. Verdunkelungsgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO)
Verdunkelungsgefahr besteht, wenn der Beschuldigte versucht, die Ermittlungen zu behindern. Dazu zählen:

  • Vernichtung oder Manipulation von Beweismitteln.
  • Einflussnahme auf Zeugen, Mitbeschuldigte oder Sachverständige.

Wenn die Tat bereits vollständig aufgeklärt ist und alle Beweise gesichert sind, entfällt dieser Haftgrund.

4. Der Verdacht eines Schwerstverbrechens (§ 112 Abs. 3 StPO)
Bei Kapitalverbrechen wie Mord (§ 211 StGB) oder schwerem Betrug (§ 263 StGB) kann die Untersuchungshaft allein aufgrund eines dringenden Tatverdachts angeordnet werden. In solchen Fällen wird kein weiterer Haftgrund benötigt.

5. Wiederholungsgefahr (§ 112a StPO)
Dieser Haftgrund greift, wenn der Beschuldigte dringend verdächtigt wird, erhebliche Straftaten erneut zu begehen. Beispiele:

  • Wiederholte Diebstähle (§ 243 StGB).
  • Sexualstraftaten (§§ 176–178 StGB).

Bei Sexualstraftaten reicht bereits der Verdacht einer einmaligen Tat. In anderen Fällen muss eine Wiederholung oder Fortsetzung wahrscheinlich sein.


Untersuchungshaft und ihre Rolle im Strafrecht

Ziele der Untersuchungshaft
Die U-Haft dient nicht der Bestrafung, sondern ausschließlich der Sicherung des Strafverfahrens. Ihre Anordnung ist eine vorbeugende Maßnahme, um:

  • Flucht oder Untertauchen zu verhindern.
  • Beweise vor Manipulation zu schützen.
  • Wiederholte Straftaten zu unterbinden.

Verhältnismäßigkeitsprinzip
Die Anordnung der U-Haft muss stets verhältnismäßig sein. Das bedeutet, dass sie nur dann zulässig ist, wenn mildere Maßnahmen wie Meldeauflagen, Kaution oder ein Ausreiseverbot nicht ausreichen.


Haftgründe und die Schwere der Tat

Die Schwere der Tat kann ein eigenständiger Faktor für die Anordnung der Untersuchungshaft sein. Insbesondere bei Kapitalverbrechen wie Mord oder schwerem Raub wird angenommen, dass der hohe Unrechtsgehalt der Tat die Wahrscheinlichkeit von Flucht oder Verdunkelung erhöht. In solchen Fällen kann die Tat allein die Haft rechtfertigen, ohne dass konkrete Hinweise auf andere Haftgründe vorliegen müssen.


Rechtsmittel und Verteidigungsstrategien

Haftprüfung und Haftbeschwerde
Beschuldigte haben mehrere Möglichkeiten, gegen einen Haftbefehl vorzugehen:

  • Haftprüfung: Der Beschuldigte kann beantragen, die Haftgründe erneut zu überprüfen.
  • Haftbeschwerde: Gegen die Entscheidung des Richters kann Beschwerde bei einer höheren Instanz eingelegt werden.

Alternative Maßnahmen
Um die Haft zu vermeiden, kann der Anwalt des Beschuldigten vorschlagen:

  • Hinterlegung einer Kaution.
  • Regelmäßige Meldungen bei der Polizei.
  • Abgabe des Reisepasses.


Kritik und rechtliche Diskussionen

Missbrauch und Übermaß
Es wird immer wieder kritisiert, dass Untersuchungshaft zu häufig angeordnet wird. In einigen Fällen wird die Haft als Druckmittel eingesetzt, um Geständnisse zu erzwingen.

Eingriff in Grundrechte
Die Untersuchungshaft ist ein massiver Eingriff in das Grundrecht auf persönliche Freiheit. Umso wichtiger ist es, dass Gerichte die Voraussetzungen streng prüfen und die Verhältnismäßigkeit wahren.


Fazit

Haftgründe spielen eine zentrale Rolle im deutschen Strafrecht. Sie stellen sicher, dass Strafverfahren ordnungsgemäß durchgeführt werden können, ohne dass der Beschuldigte flieht, Beweise manipuliert oder neue Straftaten begeht. Dennoch bleibt die Untersuchungshaft ein scharfes Schwert, das mit Bedacht eingesetzt werden muss, um einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Staates und den Rechten des Beschuldigten zu gewährleisten.


FAQs zu Haftgründen

1. Welche Haftgründe gibt es?
Die wichtigsten Haftgründe sind Flucht, Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr, Wiederholungsgefahr und der Verdacht eines Schwerstverbrechens.

2. Was ist der häufigste Haftgrund?
Am häufigsten wird die Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) als Haftgrund herangezogen.

3. Kann Untersuchungshaft vermieden werden?
Ja, durch alternative Maßnahmen wie Kaution, Meldeauflagen oder ein Ausreiseverbot.

4. Was ist der Unterschied zwischen Flucht und Fluchtgefahr?
Flucht liegt vor, wenn der Beschuldigte aktiv handelt, um sich dem Verfahren zu entziehen. Fluchtgefahr ist eine prognostische Einschätzung, dass der Beschuldigte fliehen könnte.

5. Welche Rechtsmittel gibt es gegen Untersuchungshaft?
Beschuldigte können eine Haftprüfung oder Haftbeschwerde beantragen.

Über den Autor
Tommy Kujus ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht. Er ist Inhaber der Leipziger Kanzlei KUJUS Strafverteidigung, und bundesweit als Strafverteidiger tätig.

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