Kinderhandel
Der Kinderhandel gemäß § 236 Strafgesetzbuch (StGB) stellt eine Unterform des Menschenhandels dar, bei der minderjährige Opfer von (sexueller) Ausbeutung, Zwangsarbeit oder anderen Formen der Versklavung betroffen sind. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und welche Strafe droht, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Der Begriff „Kinderhandel“ wirkt auf den ersten Blick wie aus einem Krimi entnommen. Doch im deutschen Strafrecht ist er klar definiert – und seine Anwendung kann auch Menschen treffen, die sich dessen gar nicht bewusst sind. Der Gesetzgeber zieht hier eine deutliche Linie, wenn ein Kind dauerhaft gegen Entgelt überlassen oder unrechtmäßig zur Adoption vermittelt wird.
Doch nicht jede private Hilfeleistung oder Adoption ist gleich strafbar. In diesem Artikel zeigen wir, wie § 236 StGB zu verstehen ist, welche Fallstricke in der Praxis auftreten – und wie man sich als Beschuldigter effektiv verteidigt.
Gesetzliche Grundlage – § 236 StGB im Überblick
Der § 236 StGB gliedert sich in mehrere Absätze und regelt insbesondere:
- Verkäufer-Käufer-Konstellationen
- Unbefugte Vermittlungen
- Versuchsdelikte
- Strafschärfungen und Milderungen
Damit stellt der Paragraph sicher, dass jegliche Form von „Handel“ mit Kindern unterbunden wird – auch dann, wenn keine klassischen finanziellen Gegenleistungen erfolgen, sondern z. B. ein Versprechen oder eine Dienstleistung als „Gegenwert“ dient.
Abgrenzung: Kinderhandel vs. Menschenhandel (§ 232 StGB)
Auf den ersten Blick scheint es Parallelen zwischen § 236 StGB (Kinderhandel) und § 232 StGB (Menschenhandel) zu geben. Doch die Unterschiede sind erheblich:
- Zielrichtung: Beim Menschenhandel steht regelmäßig die Ausbeutung im Vordergrund – etwa sexuelle Ausbeutung oder Zwangsarbeit. Beim Kinderhandel geht es um die unrechtmäßige Weitergabe oder Vermittlung eines Kindes.
- Tatobjekt: Menschenhandel betrifft grundsätzlich alle Menschen, während § 236 ausschließlich auf Minderjährige abstellt.
- Konstellationen: Menschenhandel kann auch durch Täuschung, Drohung oder Gewalt erfolgen. Beim Kinderhandel reicht bereits eine bewusste, rechtswidrige Weitergabe gegen Entgelt.
Wer kann Täter sein?
Verkäufer
Unter den Begriff des „Verkäufers“ fallen insbesondere Eltern, Adoptiveltern, Vormünder und Pfleger. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um die leiblichen oder rechtlichen Eltern handelt. Entscheidend ist die tatsächliche Fürsorgepflicht.
Beispiel: Eine alleinstehende Mutter übergibt ihr Kind dauerhaft an eine fremde Familie und erhält dafür „Unterstützungsgeld“ – strafrechtlich kann dies bereits als Kinderhandel gewertet werden.
Käufer
Die „Käufer“-Seite ist juristisch ebenfalls relevant. Wer ein Kind aufnimmt, obwohl klar ist, dass eine Gegenleistung erbracht wird und die Fürsorgeberechtigten ihre Pflicht verletzen, riskiert eine strafrechtliche Verfolgung.

Vermittler
Besonders heikel sind die Fälle, in denen Privatpersonen – häufig mit „guter Absicht“ – Adoptionen oder Pflegeverhältnisse initiieren, ohne über die nötigen behördlichen Genehmigungen zu verfügen. Auch wenn kein Geld fließt, kann schon die Absicht zur Bereicherung eine Strafbarkeit begründen.
Tatobjekt – Minderjährige unter besonderem Schutz
Minderjährige sind Personen unter 18 Jahren (§ 2 BGB). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass sie besonders schutzwürdig sind. Gerade bei grenzüberschreitenden Fällen, in denen Kinder aus dem Ausland vermittelt werden, steht das Kindeswohl im Mittelpunkt der Bewertung.
Ein Verstoß gegen ausländer- oder familienrechtliche Vorschriften kann zur Strafbarkeit führen – auch wenn die vermittelnde Person subjektiv glaubt, „Gutes“ zu tun.
Tathandlungen im Detail
- Überlassen auf Dauer: Das Kind wird einer anderen Person dauerhaft zur Verfügung gestellt – z. B. durch Übergabe mit dem klaren Ziel, es nicht wieder zurückzunehmen.
- Entgelt oder Bereicherungsabsicht: Schon ein nichtmonetärer Vorteil (z. B. Mietnachlass, Arbeitsleistung) kann als Entgelt gewertet werden.
- Unbefugte Vermittlung: Dies umfasst alle Adoptionsvermittlungen außerhalb staatlich anerkannter Stellen. Besonders bei internationalen Vermittlungen ist große Vorsicht geboten.
- Einwirkung auf Dritte: Wer etwa die leibliche Mutter durch Druck oder Versprechungen zur Zustimmung bewegt, kann sich ebenfalls strafbar machen.
Subjektive Elemente: Der Vorsatz
Der Täter muss die Handlung vorsätzlich begehen – also mit Wissen und Wollen. Ausreichend ist der sogenannte Eventualvorsatz, bei dem der Täter die Möglichkeit der Strafbarkeit erkennt und trotzdem handelt.
Typisches Verteidigungsargument: Der Beschuldigte war sich nicht bewusst, dass seine Handlung strafbar ist – etwa bei selbstorganisierten Pflegeverhältnissen im Bekanntenkreis.
Der Versuch – ab wann wird es ernst?
Der Versuch ist bereits strafbar, wenn der Täter zur Tat unmittelbar ansetzt. In der Praxis bedeutet das:
- erste Gespräche über Übergabe und Gegenleistung
- Aufsetzen eines inoffiziellen „Vertrags“
- konkrete Planungen für eine Übergabe oder Reise
Auch wenn es nicht zur tatsächlichen Übergabe kommt, kann eine Verurteilung erfolgen.
Strafverfolgung – Offizialdelikt mit Ermittlungsdruck
Da es sich um ein Offizialdelikt handelt, müssen Polizei und Staatsanwaltschaft tätig werden, sobald sie Kenntnis vom Verdacht erlangen. Anonyme Anzeigen oder Hinweise aus dem Umfeld genügen hierfür oft.
Wichtig: Schweigen ist Gold! Beschuldigte sollten keine Aussagen ohne anwaltlichen Beistand machen. Schon ein unbedachtes Wort kann später gegen sie verwendet werden.
Strafmaß – harte Konsequenzen mit Spielraum
- Verkäufer/Käufer: Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe.
- Vermittler: Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe.
- Schwere Fälle: Bis zu 10 Jahre Freiheitsstrafe, z. B. bei gewerblichem Handel oder Bandenkriminalität.
Zum Vergleich: Bei schwerem Menschenhandel drohen Freiheitsstrafen ab 2 Jahren – Kinderhandel liegt somit strafrechtlich in einem ähnlich hohen Bereich.
Internationale Aspekte – globale Grauzonen
In der Praxis spielen internationale Fälle eine große Rolle – etwa wenn ein Kind aus Osteuropa oder Afrika nach Deutschland gebracht wird. Probleme entstehen häufig, weil:
- unterschiedliche Rechtsordnungen kollidieren
- ausländische Vermittlungen nicht anerkannt sind
- Dokumente fehlen oder unvollständig sind
Ein erfahrener Strafverteidiger prüft hier, ob tatsächlich deutsches Strafrecht greift oder ein Rechtfertigungsgrund vorliegt – etwa eine ausländische Anerkennung der Adoption.

Fallbeispiel aus der Praxis
Eine deutsche Familie nimmt über eine Internetplattform ein Kind aus Osteuropa auf. Es wurde vermittelt von einer nicht anerkannten NGO. Für die „Organisation“ der Adoption werden 5.000 € bezahlt. Die Familie meint, rechtmäßig zu handeln – wird jedoch wegen § 236 StGB angeklagt.
Verteidigung:
- fehlender Vorsatz (Laienhandel)
- keine Bereicherungsabsicht
- Berufung auf ausländisches Recht
Das Gericht stellt das Verfahren nach § 153a StPO gegen Auflage ein – ein realistisches Ergebnis bei Ersttätern und unklarer Rechtslage.
Verteidigungsstrategien im Detail
Ein erfolgreicher Strafverteidiger prüft:
- Lag tatsächlich eine dauerhafte Überlassung vor?
- Gab es ein nachweisbares Entgelt?
- War die Vermittlung wirklich unbefugt?
- Ist der Vorsatz beweisbar?
Weitere mögliche Verteidigungsansätze:
- Verstoß gegen Verfahrensrechte (z. B. fehlerhafte Hausdurchsuchung)
- unzulässige Verwertung von Beweismitteln
- unklare Altersfeststellung des Kindes
Fazit – Warum anwaltliche Verteidigung entscheidend ist
Der Vorwurf des Kinderhandels ist nicht nur juristisch brisant, sondern kann auch das gesellschaftliche Ansehen dauerhaft beschädigen. Umso wichtiger ist es, von Anfang an auf professionelle Verteidigung zu setzen – um Missverständnisse zu klären, die eigene Position zu stärken und langfristig eine Einstellung des Verfahrens oder einen Freispruch zu erreichen.
FAQs (aktualisiert & erweitert)
Ist jede private Pflegeaufnahme strafbar?
Nein. Solange keine Entgeltlichkeit oder Bereicherungsabsicht vorliegt und die Aufnahme rechtlich sauber erfolgt, besteht keine Strafbarkeit.
Kann auch eine NGO wegen Kinderhandels belangt werden?
Ja – auch Organisationen und deren Mitarbeiter können bei unbefugter Vermittlung strafrechtlich verfolgt werden.
Was passiert bei grenzüberschreitender Adoption ohne deutsche Anerkennung?
Ohne Anerkennung durch deutsche Behörden kann dies als unbefugte Vermittlung gewertet werden – mit entsprechender Strafbarkeit.
Welche Unterlagen schützen vor Strafbarkeit?
Anerkannte Adoptionsurkunden, Nachweise über Zusammenarbeit mit staatlichen Stellen und offizielle Genehmigungen sind essenziell.
Wie läuft die Verteidigung bei § 236 StGB ab?
Zunächst wird geprüft, ob alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Dann folgt eine Einlassungstaktik – ggf. begleitet von Beweisanträgen, Gutachten und Verfahrensrügen.