Verbot der Mehrfachverteidigung, § 146 StPO

Das Verbot der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO ist ein zentrales Element des deutschen Strafprozessrechts. Es soll sicherstellen, dass jeder Beschuldigte eine unabhängige und interessenkonfliktfreie Verteidigung erhält. Doch was bedeutet das konkret für Strafverteidiger, Kanzleien und Sozietäten? Welche Ausnahmen gibt es, und wie verhält sich das Verbot in Ordnungswidrigkeitenverfahren nach dem OWiG?

Verbot der Mehrfachverteidigung, § 146 StPO

Das deutsche Strafprozessrecht legt großen Wert auf eine unabhängige und effektive Verteidigung. Ein zentrales Element zur Sicherstellung dieses Grundsatzes ist das Verbot der Mehrfachverteidigung gemäß § 146 Strafprozessordnung (StPO). Diese Vorschrift untersagt es einem Strafverteidiger, mehrere Beschuldigte im selben Verfahren zu vertreten, um Interessenkonflikte zu vermeiden.

Doch warum gibt es dieses Verbot? Welche praktischen Konsequenzen ergeben sich für Strafverteidiger, insbesondere in größeren Kanzleien und Sozietäten? Welche rechtlichen Grauzonen existieren, und wie geht die Rechtsprechung mit schwierigen Fällen um?

Dieser Artikel beleuchtet das Mehrfachverteidigungsverbot aus verschiedenen Perspektiven und zeigt auf, wie sich Strafverteidiger vor Verstößen schützen können.


Gesetzliche Grundlage und Wortlaut von § 146 StPO

Der exakte Gesetzestext

§ 146 StPO lautet:

„Ein Verteidiger kann nicht gleichzeitig mehrere derselben Tat Beschuldigte verteidigen. In einem Verfahren kann er auch nicht gleichzeitig mehrere verschiedener Taten Beschuldigte verteidigen.“

Das bedeutet:

  • Mehrere Beschuldigte derselben Tat → Ein Verteidiger darf sie nicht gleichzeitig vertreten.
  • Mehrere Beschuldigte unterschiedlicher Taten in einem Verfahren → Auch hier gilt das Verbot.

Zweck des Mehrfachverteidigungsverbots

Das Verbot dient der Vermeidung von Interessenkonflikten. Würde ein Verteidiger zwei oder mehr Beschuldigte vertreten, könnte er in die Situation geraten, dass die Interessen seiner Mandanten kollidieren.

Typische problematische Szenarien:

  • Ein Beschuldigter belastet den anderen, um eine Strafmilderung zu erhalten.
  • Die Verteidigungsstrategie des einen widerspricht der des anderen.
  • Beweisanträge oder Aussagen des einen könnten sich nachteilig für den anderen auswirken.

Durch § 146 StPO wird sichergestellt, dass jeder Beschuldigte eine unabhängige und optimale Verteidigung erhält.


Historischer Hintergrund des Mehrfachverteidigungsverbots

Das Verbot der Mehrfachverteidigung hat eine lange Tradition und basiert auf dem Grundsatz, dass Interessenkonflikte im Strafprozess verhindert werden müssen.

Schon in älteren Rechtsordnungen wurde betont, dass eine effektive Verteidigung nur dann möglich ist, wenn der Anwalt ausschließlich die Interessen seines Mandanten verfolgt.

Mit der Reform der Strafprozessordnung im 19. Jahrhundert wurde das Verbot dann explizit gesetzlich festgeschrieben, um Manipulationen im Prozess zu verhindern und die Verteidigung fair zu gestalten.

Verbot der Mehrfachverteidigung, § 146 StPO


Praktische Bedeutung des Mehrfachverteidigungsverbots

Was bedeutet das Verbot für Strafverteidiger?

Für Strafverteidiger bedeutet § 146 StPO eine strenge Beschränkung bei der Mandatsannahme. Vor jeder Übernahme eines Mandats muss der Anwalt prüfen, ob:

  1. Bereits ein Mandant im Verfahren vertreten wird.
  2. Mehrere Mandanten desselben Verfahrens unterschiedliche Interessen haben könnten.

Wird ein Verstoß gegen § 146 StPO festgestellt, kann das Gericht den Verteidiger ablehnen (§ 146a StPO) – mit oft negativen Konsequenzen für den Beschuldigten, der dann einen neuen Anwalt suchen muss.


Typische Konstellationen in der Praxis

Einige Beispiele verdeutlichen, wann eine Mehrfachverteidigung verboten ist:

1. Gemeinsame Tatbegehung

Drei Personen sollen gemeinsam einen Raubüberfall begangen haben. Ein Anwalt kann nicht alle drei verteidigen, weil sich ihre Interessen widersprechen könnten.

2. Unterschiedliche Straftaten in einem Verfahren

Ein Verfahren gegen mehrere Angeklagte wird verbunden – z. B. wegen Drogendelikten in einer Gruppe. Auch hier darf ein Anwalt nicht zwei Beschuldigte vertreten.

3. Aussage gegen Mitbeschuldigten

Ein Mandant entscheidet sich für eine Aussage zur Entlastung und belastet dabei einen Mitangeklagten. Eine Mehrfachverteidigung wäre hier unmöglich.


Ausnahmen und Besonderheiten

Wann ist eine Mehrfachverteidigung trotz § 146 StPO möglich?

Obwohl das Gesetz streng ist, gibt es Ausnahmen, in denen eine Mehrfachverteidigung möglich sein kann:

  • Verfahren gegen Beschuldigte sind nicht verbunden → Dann kann derselbe Anwalt beide verteidigen.
  • Identische Verteidigungsstrategie → Theoretisch möglich, aber sehr risikobehaftet.
  • Verteidigung von Zeugen → Gilt nicht als Mehrfachverteidigung, solange kein Interessenkonflikt besteht.

Mehrfachverteidigung in Ordnungswidrigkeitenverfahren (OWiG)

Das Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) regelt Verstöße, die nicht als Straftaten gelten, sondern nur mit Geldbußen geahndet werden.

  • Gilt § 146 StPO auch im OWiG-Verfahren?
    Nein, formal nicht – aber auch hier sollte ein Anwalt nicht mehrere Beteiligte vertreten, wenn es zu Interessenkonflikten kommen kann.

  • Typische Problemfälle im OWiG-Bereich:

    • Mehrere Fahrer eines Unternehmens werden wegen Lkw-Lenkzeitverstößen belangt.
    • In einem Bußgeldverfahren wegen Steuerhinterziehung gibt es mehrere Verantwortliche.

Auch im OWiG gilt: Ein Anwalt sollte Mehrfachverteidigungen kritisch prüfen.


Sozietäten und das Verbot der Mehrfachverteidigung

Eine besonders umstrittene Frage ist, ob unterschiedliche Anwälte einer Sozietät mehrere Beschuldigte vertreten dürfen.

  • Der BGH hat mehrfach entschieden, dass dies problematisch ist, weil innerhalb einer Sozietät keine vollständige Unabhängigkeit der Anwälte gewährleistet ist.
  • Lösung: Große Kanzleien müssen klare Mandatsregelungen haben, um Verstöße zu vermeiden.

Rechtsfolgen bei Verstößen gegen § 146 StPO

Welche Konsequenzen drohen, wenn ein Anwalt gegen das Verbot verstößt?

  1. Ausschluss des Verteidigers durch das Gericht (§ 146a StPO).
  2. Verzögerung des Verfahrens, wenn ein neuer Anwalt gesucht werden muss.
  3. Berufsrechtliche Konsequenzen, z. B. Disziplinarmaßnahmen der Anwaltskammer.

Fazit: Ein Verstoß kann erhebliche Folgen haben – für den Anwalt und den Mandanten.


Internationale Perspektive: Gibt es ähnliche Regelungen?

Viele Länder haben ähnliche Regeln zur Mehrfachverteidigung:

  • USA: Dort gilt das „Conflict of Interest“-Prinzip, das ebenfalls Interessenkonflikte verhindert.
  • Frankreich: Dort dürfen Anwälte unter bestimmten Bedingungen mehrere Beschuldigte vertreten.
  • Großbritannien: Sehr strenge Regeln zur Interessenkollision.

Deutschland ist im internationalen Vergleich eher streng, aber auch gut durchdacht.

Verbot der Mehrfachverteidigung, § 146 StPO


Fazit

Das Verbot der Mehrfachverteidigung nach § 146 StPO ist eine wichtige Regelung zur Sicherstellung einer unabhängigen und fairen Verteidigung.

Strafverteidiger müssen sich bewusst sein, dass Verstöße ernste Konsequenzen haben können. Gerade in Sozietäten sind klare Regeln nötig, um problematische Mehrfachmandate zu vermeiden.


FAQ – Häufige Fragen

Gilt das Verbot auch für Pflichtverteidiger?
Ja, auch Pflichtverteidiger dürfen nicht mehrere Beschuldigte vertreten.

Dürfen zwei Anwälte aus einer Kanzlei verschiedene Angeklagte vertreten?
Nein, wenn ein Interessenkonflikt besteht.

Gibt es Pläne zur Änderung von § 146 StPO?
Aktuell nicht, aber die Regelung bleibt in der Diskussion.