Menschenraub

Der Menschenraub nach § 234 Strafgesetzbuch (StGB) beschreibt das widerrechtliche Entführen oder Verschleppen einer Person, um sie an einen anderen Ort zu bringen oder ihrer Freiheit zu berauben. Die Motive für Menschenraub können vielfältig sein – von Lösegelderpressungen bis hin zu politischen oder ideologischen Motiven. Welche Voraussetzungen für diesen Straftatbestand erfüllt sein müssen und welche Strafe droht, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Menschenraub

Die Freiheit der Person gehört zu den höchsten Rechtsgütern in der deutschen Rechtsordnung. Der Straftatbestand des Menschenraubs nach § 234 StGB stellt eine besonders schwerwiegende Verletzung dieses Grundrechts dar. Dabei handelt es sich nicht um ein Massenphänomen, sondern um ein qualitativ gravierendes Delikt, das intensive rechtliche Auseinandersetzung verdient – insbesondere im Rahmen einer effektiven Strafverteidigung.

Gesetzliche Grundlage: § 234 StGB

§ 234 StGB – Menschenraub
„Wer einen Menschen mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List sich bemächtigt, um ihn in hilflose Lage zu bringen oder ihn dem Dienst in einer militärischen oder militärähnlichen Einrichtung im Ausland zuzuführen, wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft.“

Bereits der Wortlaut zeigt: Es handelt sich um ein eigenständiges Kombinationsdelikt aus Freiheitsberaubung und besonders verwerflicher Zielsetzung.

Systematik: Einordnung im Strafgesetzbuch

§ 234 StGB steht systematisch in den Freiheitsdelikten (§§ 232 ff. StGB). Er ist im Unterschied zu § 239 StGB (Freiheitsberaubung) ein Qualifikationstatbestand mit eigenem Schutzzweck. Der Gesetzgeber zielt hier nicht nur auf die Freiheit der Fortbewegung ab, sondern auf die Missachtung der Selbstbestimmung in Verbindung mit einer besonders verwerflichen Absicht.

Die Norm dient dem Schutz:

  • der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG)
  • der Menschenwürde (Art. 1 GG)
  • der körperlichen und seelischen Unversehrtheit des Opfers

Objektiver Tatbestand

Tatobjekt

Tatobjekt ist jeder lebende Mensch, unabhängig von seinem physischen oder psychischen Zustand. Es gibt keine Einschränkungen hinsichtlich des Alters oder der geistigen Reife. Auch Schlafende, Bewusstlose oder Kinder fallen unter den Schutzbereich.

Tathandlung: Sich-Bemächtigen

Der Begriff „sich bemächtigen“ meint die Begründung physischer Herrschaft über das Opfer. Es genügt bereits eine kurzfristige tatsächliche Kontrolle, sofern das Opfer dadurch in seiner Selbstbestimmung maßgeblich beeinträchtigt wird. Die Definition lehnt sich eng an den Begriff der „Bemächtigungslage“ aus § 239a/b StGB an, allerdings mit klarer Trennung zu Entführungs- oder Erpressungselementen.

Abgrenzung zur bloßen Freiheitsberaubung

Während § 239 StGB auf das reine Festhalten zielt, verlangt § 234 zusätzlich ein besonderes „Ziel“ der Bemächtigung. Die körperliche Bewegungsfreiheit allein ist nicht ausreichend.

Tatmittel

Der Täter muss sich der Person durch eines der drei Mittel bemächtigt haben:

Gewalt

Gewalt meint eine körperliche Kraftentfaltung, die den Widerstand des Opfers überwinden soll. Entscheidend ist die Einwirkung auf den Körper – nicht etwa nur eine psychische Drucksituation.

Drohung mit empfindlichem Übel

Die Drohung muss geeignet sein, beim Opfer berechtigte Furcht auszulösen. Maßgeblich ist eine objektiv empfundene Bedrohung, wobei es nicht auf die tatsächliche Umsetzbarkeit ankommt – sondern auf die subjektive Wirkung beim Opfer.

List

List ist das Ausnutzen von Täuschung oder Irreführung, um das Opfer unter die eigene Kontrolle zu bringen. Klassisch ist das Vortäuschen einer Notsituation („Kannst du mir helfen?“), aber auch falsche Identitäten oder manipulierte Umstände.

Menschenraub

Subjektiver Tatbestand

Vorsatz

Erforderlich ist mindestens Eventualvorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale. Der Täter muss insbesondere erkennen, dass er durch Gewalt, Drohung oder List Kontrolle über das Opfer erlangt.

Absicht

Darüber hinaus muss der Täter zielgerichtet handeln, und zwar in einer der folgenden zwei Absichten:

Versetzung in hilflose Lage

Die hilflose Lage ist eine Situation, in der das Opfer schutzlos Leib oder Leben gefährdet sieht, ohne Rettung von außen oder durch eigene Kraft. Dies kann durch Einsperren, Fesselung, Aussetzen an einsamem Ort oder andere Handlungen entstehen.

Zuführung zu militärischer Einrichtung im Ausland

Hierunter fallen alle Formen der Einbindung in bewaffnete Organisationen im Ausland – einschließlich Sanitäts- und Unterstützungsdienste. Der Begriff „Ausland“ ist weit auszulegen und umfasst auch staatsfreie Gebiete oder Konfliktregionen.

Versuch (§§ 234 Abs. 1, 23 Abs. 1 StGB)

Der Versuch des Menschenraubs ist strafbar. Nach § 22 StGB genügt das unmittelbare Ansetzen zur Tat. Juristisch bedeutet das: Der Täter muss die Schwelle vom bloßen Tatplan zur Tatbestandsverwirklichung überschreiten – also den Bereich des straflosen Vorbereitungsakts verlassen.

Praxisrelevanz

Gerade in Grenzfällen (z. B. beim Locken in ein Auto, ohne dass das Opfer wirklich gefangen ist) ist die Abgrenzung zwischen Versuch und Vollendung für die Verteidigung entscheidend. Hier bieten sich vielfältige Angriffspunkte zur Infragestellung des Vorsatzes oder der Absicht.

Rechtsfolgen: Strafmaß

Regelstrafrahmen

Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren – kein Raum für Geldstrafen. Das zeigt den Unrechtsgehalt des Delikts und verweist auf die Nähe zu Verbrechenstatbeständen.

Minder schwerer Fall (§ 234 Abs. 2 StGB)

Wenn besondere Milderungsgründe vorliegen – etwa eine geringe Dauer der Freiheitsentziehung oder Reueverhalten – kann das Gericht auf sechs Monate bis fünf Jahre Freiheitsstrafe erkennen.

Abwägungskriterien:

  • Motivation des Täters
  • Umfang und Dauer der Handlung
  • seelische und körperliche Auswirkungen auf das Opfer
  • Nachtatverhalten (z. B. Freilassung, Hilfeleistung)

Verfassungsrechtliche Bezüge

Menschenwürde (Art. 1 GG)

Die Tat stellt einen besonders schweren Verstoß gegen die Menschenwürde dar, da das Opfer zum Objekt gemacht wird – entweder durch völlige Kontrolle oder Auslieferung an gefährliche Umstände.

Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 GG)

Der Staat ist verpflichtet, dieses Grundrecht zu schützen. Das Delikt ist Ausdruck dieser Schutzpflicht im strafrechtlichen Gewand.

Bestimmtheitsgebot (Art. 103 Abs. 2 GG)

Die Formulierung des Tatbestands wurde mehrfach unter dem Aspekt der hinreichenden Bestimmtheit überprüft, insbesondere wegen der Verwendung vager Begriffe wie „hilflose Lage“ oder „List“. Die Rechtsprechung sieht jedoch ausreichende Klarheit gegeben – auch aufgrund umfangreicher Auslegungshilfen.

Menschenraub

Abgrenzung zu anderen Delikten

Geiselnahme (§ 239b StGB)

Nötigungsabsicht – das Opfer wird als Druckmittel eingesetzt, um Dritte zu einer Handlung zu bewegen. Keine „hilflose Lage“ erforderlich.

Erpresserischer Menschenraub (§ 239a StGB)

Ziel ist eine Bereicherung – etwa durch Lösegeldforderungen. Beide Delikte setzen eine Bemächtigungslage voraus, unterscheiden sich aber im subjektiven Tatbestand.

Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)

Rein objektiv – es fehlt an der besonderen Zielsetzung wie bei § 234 StGB.

Verteidigungsstrategien aus anwaltlicher Sicht

  • Anzweifeln des Bemächtigungsmoments: Gab es wirklich physischen Zugriff?
  • Fehlende Absicht: Keine zielgerichtete Zuführung oder Aussetzung?
  • Irrtum über Opferverhalten: Hat das Opfer freiwillig mitgewirkt?
  • Grenzfälle von List oder Drohung: Reicht die psychische Einwirkung aus?

Bedeutung in der Praxis

In der forensischen Praxis ist der Menschenraub selten – aber dann hochbrisant. Besonders relevant ist die Strafbarkeit des Versuchs, der rasch angenommen wird. Strafverteidiger müssen bei jeder Beschuldigung nach § 234 StGB die subjektive Tatseite und das Tatmittel akribisch prüfen – häufig lassen sich hier die entscheidenden Zweifel säen.


FAQ – Erweiterte Fragen rund um § 234 StGB

Was versteht man juristisch unter einer „hilflosen Lage“?
Ein Zustand, in dem sich das Opfer selbst nicht aus konkreter Lebensgefahr befreien kann – weder durch eigene Mittel noch durch Hilfe von außen.

Wann beginnt ein strafbarer Versuch?
Bereits bei konkretem, unmittelbarem Ansetzen zur Umsetzung des Tatplans – z. B. das Greifen nach dem Opfer oder das Heranführen an ein Versteck.

Gibt es Unterschiede zwischen ziviler und militärischer Zuführung?
Ja – § 234 StGB erfasst nur den militärischen oder militärähnlichen Bereich. Eine Zuführung zu zivilen Organisationen im Ausland ist nicht erfasst.

Kann ein Angeklagter sich auch durch unterlassene Hilfeleistung strafbar machen?
Nicht im Rahmen von § 234 StGB – allerdings könnten parallele Tatbestände wie § 323c StGB (unterlassene Hilfeleistung) geprüft werden.

Welche Rolle spielt die „List“ im Strafverfahren?
Sie ist besonders interpretationsbedürftig und bietet oft Ansatzpunkte für die Verteidigung – insbesondere bei Fällen psychologischer Manipulation.