Schwangerschaftsabbruch
Das Thema Abtreibung ist sehr umstritten. Vielleicht mag es überraschen, aber auch das deutsche Strafrecht kennt den Strafbestand „Schwangerschaftsabbruch“ gem. § 218 StGB. Allerdings bleibt dieser unter bestimmten Voraussetzungen straffrei. Unter welchen Umständen der Schwangerschaftsabbruch strafbar ist und unter welchen nicht, erfahren Sie im folgenden Beitrag.

Der Schwangerschaftsabbruch steht in Deutschland seit Jahrzehnten im Fokus gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. § 218 StGB kriminalisiert den Abbruch einer Schwangerschaft grundsätzlich – auch dann, wenn die Schwangere selbst handelt. Gleichzeitig regelt § 218a StGB, unter welchen engen Voraussetzungen ein solcher Eingriff straffrei bleibt. Dieser juristische Spagat zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Selbstbestimmungsrecht der Frau stellt nicht nur den Gesetzgeber, sondern auch Gerichte und Strafverteidiger vor komplexe Herausforderungen.
Dieser Beitrag beleuchtet die rechtliche Systematik, verfassungsrechtliche Hintergründe und die brisante gesellschaftliche Diskussion – konsequent aus der Sicht des Angeklagten.
Was regelt § 218 StGB?
Der Straftatbestand des Schwangerschaftsabbruchs (§ 218 StGB) schützt das ungeborene Leben ab dem Zeitpunkt der Nidation (Einnistung des Embryos in die Gebärmutter). Sowohl die Schwangere selbst als auch ein Dritter – etwa ein Arzt oder Partner – können Täter sein. Die Vorschrift stellt dabei jede vorsätzliche Herbeiführung des Absterbens der Leibesfrucht unter Strafe, unabhängig von der Methode (Absaugung, medikamentöse Abtreibung, Ausschabung etc.).
Strafandrohung
- Für Dritte: Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe
- Für die Schwangere: Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe
- In besonders schweren Fällen (z. B. gegen den Willen der Schwangeren oder bei schweren Gesundheitsschäden): Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis fünf Jahren (§ 218 Abs. 2 StGB)
§ 218a StGB: Straffreiheit trotz Rechtswidrigkeit
§ 218a StGB enthält Ausnahmeregelungen, bei deren Vorliegen ein Schwangerschaftsabbruch nicht bestraft wird, obwohl er objektiv rechtswidrig bleibt. Die zentrale Regelung ist dabei die sogenannte Beratungsregelung:
Voraussetzungen der Straffreiheit (§ 218a Abs. 1 StGB)
- Die Schwangere verlangt den Abbruch selbst
- Eine staatlich anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatung wurde durchgeführt
- Die Beratung fand mindestens drei Tage vor dem Eingriff statt
- Der Abbruch erfolgt durch einen Arzt
- Seit der Empfängnis sind höchstens zwölf Wochen vergangen
Weitere Indikationen
- Medizinische Indikation (§ 218a Abs. 2 StGB): Gefahr für Leben oder Gesundheit der Schwangeren
- Kriminologische Indikation (§ 218a Abs. 3 StGB): Schwangerschaft infolge einer Straftat (z. B. Vergewaltigung)
Verfassungsrechtlicher Rahmen: Schutz des Lebens vs. Selbstbestimmung
Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen (BVerfGE 39, 1 und 88, 203) festgestellt, dass das ungeborene Leben von Verfassungs wegen geschützt ist (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 2 GG). Zugleich wird aber auch das Selbstbestimmungsrecht der Frau als hohes Gut anerkannt. Diese Grundrechtskollision hat zu einer rechtlich einzigartigen Konstruktion geführt: Ein Verhalten wird als rechtswidrig anerkannt, bleibt aber unter gesetzlich normierten Bedingungen straffrei.
Der Staat hat laut Verfassungsgericht eine aktive Schutzpflicht für das ungeborene Leben, darf aber gleichzeitig die Schwangere nicht zu einem „Objekt staatlichen Lebensschutzes“ degradieren. Die rechtliche Regelung muss also beide Seiten achten – eine Herausforderung, die im Alltag zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führt.

Gesellschaftliche Kontroversen und politische Reformvorschläge
Feministische Kritik
Frauenrechtsorganisationen und Fachverbände fordern seit Langem die vollständige Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs. Die Strafandrohung – selbst bei theoretischer Straffreiheit – wird als Ausdruck patriarchaler Kontrolle über weibliche Körper gewertet. Insbesondere die Pflicht zur Beratung wird als Entmündigung verstanden.
Forderung nach Systemwechsel
In der politischen Debatte steht zunehmend die Idee im Raum, den Schwangerschaftsabbruch aus dem Strafrecht herauszulösen und stattdessen im Rahmen des Gesundheitsrechts zu regeln – wie es etwa in den Niederlanden oder Kanada der Fall ist. Eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission prüfte 2024 entsprechende Reformvorschläge, bislang jedoch ohne konkrete Gesetzesinitiative.
Ärztliche Verantwortung und rechtliche Risiken
Ärzte befinden sich in einem juristischen Spannungsfeld. Einerseits tragen sie die medizinische Verantwortung für den Eingriff, andererseits müssen sie streng gesetzliche Vorgaben einhalten:
- Gültige Beratungsbescheinigung?
- Einhaltung der 12-Wochen-Frist?
- Dokumentation der Indikation?
- Einwilligung der Schwangeren?
Bereits formale Fehler – etwa eine fehlende Beratung oder eine nicht dokumentierte medizinische Indikation – können zu strafrechtlichen Ermittlungen führen.
Ermittlungsverfahren wegen § 218 StGB: Typischer Ablauf
Verdachtsmomente
- Anonyme Anzeigen
- Hinweise von medizinischem Personal
- Unstimmigkeiten in Behandlungsunterlagen
- Aussagen von Partnern oder Eltern
Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden
- Vorladung zur Beschuldigtenvernehmung
- Durchsuchung von Praxisräumen
- Beschlagnahmung medizinischer Unterlagen
- Vernehmung von Zeugen (Hebammen, Klinikpersonal)
Strafprozessuale Besonderheiten
- Aussageverweigerungsrecht der Schwangeren
- Verteidigungsstrategien über Dokumentationsprüfung
- Frühzeitige Antragstellung zur Verfahrenseinstellung (§ 170 Abs. 2 StPO)

Strafzumessung: Was beeinflusst das Strafmaß?
Mildernde Umstände
- Fehlen von Vorstrafen
- Emotional belastende Ausnahmesituation
- Kooperation mit den Ermittlungsbehörden
- Frühzeitiges Geständnis
Erschwerende Umstände
- Handeln gegen den Willen der Schwangeren
- Gesundheitliche Schäden oder Tod
- Wiederholte Taten
- Kommerziell motivierte Abbrüche
Verteidiger sollten bei der Strafzumessung gezielt auf die individuelle Belastungslage der Betroffenen eingehen und auf die gesellschaftliche Ambivalenz des Paragrafen hinweisen.
Verteidigungsstrategie: Was tun bei einer Vorladung?
Wer als Schwangere, Arzt oder Dritter eine Vorladung wegen § 218 StGB erhält, sollte sofort anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Keine Aussage bei der Polizei – auch nicht zur „Entlastung“ – sollte ohne Rücksprache mit einem Strafverteidiger erfolgen.
Typische Verteidigungsansätze:
- Prüfung formaler Voraussetzungen (§ 218a)
- Nachweis medizinischer oder kriminologischer Indikation
- Berufung auf Dokumentationslücken
- Antrag auf Verfahrenseinstellung mangels Tatverdachts
Fazit: Ein Paragraf zwischen Grundrechtsschutz und politischer Sprengkraft
§ 218 StGB ist kein gewöhnlicher Straftatbestand. Er berührt existenzielle Lebensentscheidungen und wirft grundlegende verfassungsrechtliche, medizinische und ethische Fragen auf. Für die anwaltliche Praxis bedeutet das: Sensibilität, Genauigkeit und eine starke Verankerung im Verfassungs- und Strafprozessrecht.
Wer sich mit dem Vorwurf des Schwangerschaftsabbruchs konfrontiert sieht, braucht kompetente und erfahrene Verteidigung – denn der Grat zwischen Strafbarkeit und Straffreiheit ist schmal, und der gesellschaftliche Druck immens.
Häufig gestellte Fragen (FAQs)
1. Ist ein Schwangerschaftsabbruch nach der 12. Woche immer strafbar?
Nein. Er ist dann straffrei, wenn eine medizinische Indikation vorliegt (§ 218a Abs. 2 StGB) – etwa bei Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Schwangeren.
2. Ist eine Beratung auch dann erforderlich, wenn die Schwangere ohnehin abbrechen möchte?
Ja. Die Beratung ist zwingende Voraussetzung für die Straffreiheit nach § 218a Abs. 1 StGB – auch bei festem Entschluss.
3. Können Ärzte belangt werden, obwohl sie in einer Klinik handeln?
Ja. Jeder Arzt haftet persönlich strafrechtlich, wenn gesetzliche Anforderungen – Fristen, Dokumentation, Indikation – nicht erfüllt sind.
4. Was tun bei einer Vorladung wegen § 218 StGB?
Schweigen und sofort einen Strafverteidiger kontaktieren. Jede unbedachte Aussage kann später gegen Sie verwendet werden.
5. Wird eine Verurteilung nach § 218 StGB ins Führungszeugnis eingetragen?
Nur bei Geldstrafen über 90 Tagessätzen oder Freiheitsstrafen über 3 Monaten. Mildere Strafen bleiben im Privatführungszeugnis ungenannt.