Selbstpenetration als Vergewaltigung?

Kann eine durch Täuschung veranlasste Selbstpenetration als Vergewaltigung gelten? Der Bundesgerichtshof hat diese Frage in einer wegweisenden Entscheidung bejaht – mit weitreichenden Konsequenzen für das Sexualstrafrecht. In unserem Artikel analysieren wir die rechtlichen Hintergründe, die Rolle von Täuschung als Nötigungsmittel und mögliche Verteidigungsstrategien in solchen Verfahren.

Das Sexualstrafrecht in Deutschland schützt die sexuelle Selbstbestimmung und erfasst eine Vielzahl von strafbaren Handlungen. Ein besonders komplexer und rechtlich herausfordernder Fall betrifft die Frage, ob eine durch Täuschung veranlasste Selbstpenetration als Vergewaltigung gewertet werden kann. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat sich in einer Entscheidung vom 10. März 2020 (4 StR 624/19) mit genau dieser Problematik befasst.

Was bedeutet Selbstpenetration?

Unter Selbstpenetration versteht man die Einführung eines Fingers, eines Gegenstands oder eines anderen Körperteils in den eigenen Körper – sei es vaginal, anal oder oral. Während Selbstpenetration in einem privaten, selbstbestimmten Kontext eine normale Form der sexuellen Selbstbestimmung sein kann, wird sie in strafrechtlichen Fällen relevant, wenn eine andere Person sie durch Zwang, Täuschung oder Drohungen herbeiführt.

In diesem Artikel analysieren wir die rechtlichen Hintergründe, die strafrechtliche Relevanz des „Vornehmenlassens“ sexueller Handlungen und mögliche Verteidigungsstrategien in einem solchen Verfahren.

Strafbarkeit der Selbstpenetration als Vergewaltigung nach § 177 StGB

Das deutsche Strafrecht sieht in § 177 StGB unterschiedliche Varianten sexueller Übergriffe und Vergewaltigungen vor. Die klassische Definition einer Vergewaltigung erfasst Fälle, in denen der Täter Gewalt anwendet oder das Opfer durch Drohungen oder einen Überraschungsmoment zur Duldung sexueller Handlungen zwingt.

Eine Besonderheit stellt jedoch die Variante des „Vornehmenlassens“ einer sexuellen Handlung dar. Hierbei geht es darum, dass das Opfer nicht direkt durch eine andere Person penetriert wird, sondern dazu gebracht wird, eine sexuelle Handlung an sich selbst vorzunehmen.

Der BGH bestätigte in dem oben genannten Fall, dass auch eine durch Täuschung oder psychische Beeinflussung veranlasste Selbstpenetration eine Vergewaltigung darstellen kann, wenn sie unter Zwang oder unter bestimmten Drohszenarien erfolgt.

Selbstpenetration als Vergewaltigung?

Täuschung als strafrechtlich relevante Handlung

Täuschung allein reicht im Strafrecht oft nicht aus, um eine Nötigung oder einen sexuellen Übergriff zu begründen. Ein zentraler Aspekt des Falles war, dass der Täter unter falschen Identitäten agierte und das Opfer durch eine erfundene Bedrohungslage zur Selbstpenetration brachte.

  • Täuschung über Tatsachen vs. Täuschung über Motive:
    Das Strafrecht unterscheidet zwischen Täuschungen über objektive Tatsachen (z. B. eine tatsächlich existierende Gefahr) und Täuschungen über Motive (z. B. das Vortäuschen einer emotionalen Bindung). Im hier relevanten Fall täuschte der Täter eine kriminelle Bedrohung durch Dritte vor, um das Opfer zur Selbstpenetration zu bewegen.
  • Täuschung als Nötigungsmittel:
    Nach § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB ist eine sexuelle Handlung dann strafbar, wenn sie durch eine Drohung mit einem empfindlichen Übel erzwungen wird. Hier stellte sich die Frage, ob eine Täuschung über eine Bedrohungslage eine Drohung im strafrechtlichen Sinne sein kann. Der BGH entschied, dass eine Täuschung dann strafrechtlich relevant ist, wenn sie beim Opfer einen vergleichbaren Zwang wie eine echte Drohung auslöst.

Selbstpenetration und das „Vornehmenlassen“ sexueller Handlungen

Ein kritischer Punkt in der juristischen Beurteilung ist die Frage, ob das „Vornehmenlassen“ einer sexuellen Handlung tatsächlich als Vergewaltigung gewertet werden kann.

  • Unterschied zwischen aktiver Penetration und Selbstpenetration:
    Traditionell erfordert der Tatbestand der Vergewaltigung eine Handlung des Täters am Körper des Opfers. Durch die Reform des Sexualstrafrechts wurde jedoch auch das „Vornehmenlassen“ einer sexuellen Handlung unter bestimmten Voraussetzungen strafbar.
  • Psychischer Zwang als Ersatz für physische Gewalt:
    Das Gericht stellte klar, dass auch eine psychische Beeinflussung durch Täuschung einen Zwang darstellen kann, wenn das Opfer faktisch keine andere Wahl sieht, als die Handlung vorzunehmen.
  • Beweisproblematik:
    In Fällen der Selbstpenetration ist es oft schwierig, den Einfluss des Täters nachzuweisen. Die Verteidigung könnte argumentieren, dass die Handlung freiwillig erfolgte oder dass das Opfer nicht in einem Zustand der Zwangslage war.

Bildaufnahmen und strafrechtliche Konsequenzen

Ein weiteres Problem in solchen Fällen sind mögliche Bild- oder Videoaufnahmen, die während der erzwungenen Handlungen entstehen.

  • Verbreitung von Aufnahmen nach § 184b, 184c StGB:
    Wenn der Täter Bildmaterial anfertigt oder speichert, kann dies als Verbreitung oder Besitz kinderpornografischer oder jugendpornografischer Inhalte gewertet werden.
  • Erpressung durch Bildmaterial:
    Die Drohung, intime Bilder weiterzugeben, kann eine Strafbarkeit nach § 240 StGB (Nötigung) und § 184b StGB (pornografische Inhalte) begründen.

Verteidigungsstrategien in einem Strafverfahren

Die Verteidigung in einem solchen Fall kann sich auf mehrere Ansätze stützen:

  • Fehlende Nötigung:
    Eine zentrale Verteidigungsstrategie wäre es, zu argumentieren, dass keine Drohung im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 5 StGB vorlag. Da der Täter lediglich eine fiktive Bedrohung vorgespielt hat, könnte bestritten werden, dass eine tatsächliche Zwangssituation bestand.
  • Freiwilligkeit der Handlung:
    Falls das Opfer trotz Täuschung einen eigenen Willen zur Durchführung der Handlung hatte, könnte dies gegen die Annahme einer Vergewaltigung sprechen.
  • Mangelnde Erheblichkeit der sexuellen Handlung:
    Die Verteidigung könnte zudem argumentieren, dass die Handlung keine erhebliche Beeinträchtigung der sexuellen Selbstbestimmung darstellte. Dies ist besonders in Fällen relevant, in denen keine physische Gewalt angewendet wurde.
  • Beweisprobleme:
    In vielen Fällen basiert die Anklage ausschließlich auf den Aussagen des Opfers. Die Verteidigung könnte darauf abzielen, mögliche Widersprüche oder Erinnerungslücken aufzuzeigen.
Selbstpenetration als Vergewaltigung?

Fazit

Die strafrechtliche Bewertung der durch Täuschung erzwungenen Selbstpenetration zeigt, wie komplex und vielschichtig das Sexualstrafrecht ist. Der BGH hat klargestellt, dass auch psychischer Zwang durch Täuschung zu einer Verurteilung wegen Vergewaltigung führen kann.

Für Beschuldigte in solchen Verfahren ist eine fundierte Verteidigung unerlässlich, um Tatbestandsmerkmale kritisch zu hinterfragen und Beweisprobleme aufzuzeigen. Wer in ein solches Strafverfahren gerät, sollte unbedingt einen erfahrenen Strafverteidiger hinzuziehen.

FAQs

1. Kann eine Täuschung allein eine Vergewaltigung begründen?
Nein, eine bloße Täuschung reicht nicht aus. Entscheidend ist, ob die Täuschung eine Zwangslage geschaffen hat, die mit einer Drohung vergleichbar ist.

2. Ist Selbstpenetration strafbar?
Nicht grundsätzlich. Strafbar wird sie erst, wenn sie unter Zwang oder Täuschung erfolgt und die Tatbestandsmerkmale des § 177 StGB erfüllt.

3. Welche Rolle spielen Bildaufnahmen in solchen Fällen?
Wenn Bild- oder Videoaufnahmen erstellt oder verbreitet werden, können zusätzliche Straftatbestände wie § 184b oder § 184c StGB erfüllt sein.

4. Wie kann man sich gegen eine solche Anklage verteidigen?
Mögliche Verteidigungsstrategien umfassen den Nachweis der Freiwilligkeit der Handlung, das Fehlen einer Drohung oder die Widerlegung der Erheblichkeit der Tat.

5. Warum ist der Fall für das Sexualstrafrecht so bedeutend?
Weil er zeigt, dass auch psychischer Druck eine Vergewaltigung begründen kann, wodurch sich das Verständnis von sexueller Selbstbestimmung im Strafrecht weiterentwickelt.