Inverkehrbringen, Erwerb und Besitz von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild
Mit dem „Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder“ vom 16.06.2021 ist der neue Straftatbestand des „Inverkehrbringens, Erwerbs und Besitzes von Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild“ nach § 184 l StGB ab dem 01.07.2021 in Kraft getreten.

Sexpuppen mit kindlichem Erscheinungsbild – ein Begriff, der gleichermaßen gesellschaftliche Abscheu wie juristische Präzision verlangt. Seit Juli 2021 stellt § 184l StGB das Inverkehrbringen, den Erwerb und den Besitz solcher Gegenstände unter Strafe. Der Gesetzgeber zielt dabei auf eine vorbeugende Wirkung: Es soll verhindert werden, dass sexuell motivierte Gewalt gegen Kinder durch den Gebrauch solcher Puppen verharmlost oder gar vorbereitet wird.
Doch bei der Anwendung dieser Norm stellen sich zahlreiche rechtliche Fragen: Was genau ist eine „kindliche“ Sexpuppe? Welche Tatvarianten werden erfasst? Wie ist der Straftatbestand in die Systematik des Sexualstrafrechts einzuordnen? Und wie kann sich ein Beschuldigter rechtlich verteidigen?
Tatbestandsaufbau des § 184l StGB
Tatobjekt: Die „kindliche Sexpuppe“
Der zentrale Begriff ist nicht legaldefiniert, was erhebliche Auslegungsspielräume eröffnet. Entscheidend ist:
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Körperliche Nachbildung eines Kindes oder kindlichen Körperteils
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Zur Vornahme sexueller Handlungen bestimmt
Es muss sich um einen dreidimensionalen, körperlichen Gegenstand handeln. Virtuelle Puppen, Bilder oder Illustrationen sind nicht vom Tatbestand erfasst.
Einige wichtige Abgrenzungskriterien:
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Größe und Proportion: Kindliches Erscheinungsbild durch geringe Körpergröße, nicht entwickelte Geschlechtsmerkmale oder kindliches Gesicht.
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Material und Funktionalität: Dient die Gestaltung erkennbar der sexuellen Nutzung?
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Subjektive Zwecksetzung: Die Absicht des Herstellers/Erwerbers kann indiziell sein, ist aber nicht allein ausschlaggebend.
Die Einstufung als „kindlich“ ist regelmäßig streitentscheidend – hier liegt das größte Konfliktpotenzial und Verteidigungspotenzial.
Die einzelnen Tathandlungen im Detail
§ 184l Abs. 1 Nr. 1 – Herstellung, Angebot, Werbung
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Herstellung: Jegliche Anfertigung – ob gewerblich, privat, aus Einzelteilen zusammengesetzt oder importiert.
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Anbieten: Bereitstellung zum Erwerb – z. B. im Online-Shop oder auf einem Flohmarkt.
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Werbung: Jede Form der Präsentation zur Absatzförderung – auch durch Produktfotos, Social-Media-Beiträge oder Forenbeiträge.
§ 184l Abs. 1 Nr. 2 – Handel und Verbringen
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Handel: Umsatzorientiertes Verhalten – entscheidend ist nicht Gewinnabsicht, sondern die wiederholte, planmäßige Tätigkeit.
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Verbringen: Ein- oder Ausfuhr über die Landesgrenze – etwa über Internetversand aus dem Ausland oder Urlaubsmitnahme.
§ 184l Abs. 1 Nr. 3 – Veräußerung, Abgabe, sonstiges Inverkehrbringen
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Veräußerung: Jede entgeltliche Weitergabe – auch bei nur kostendeckender Übergabe.
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Abgabe: Unentgeltliche Übergabe, z. B. an Bekannte, in Foren etc.
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Sonstiges Inverkehrbringen: Jede Handlung, die den Gegenstand einer anderen Person verfügbar macht.
§ 184l Abs. 2 – Erwerb, Besitz, Verbringen
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Erwerb: Jede Form der Erlangung – durch Kauf, Miete, Leihe oder Tausch.
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Besitz: Tatsächliche Sachherrschaft – auch bei Lagerung im Keller oder Versandlager.
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Verbringen: Hier insbesondere Einfuhr zum Eigengebrauch – z. B. über internationalen Onlinehandel.
Vorsatz und subjektive Seite
Die Strafbarkeit setzt Vorsatz voraus, also Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Auch Eventualvorsatz (billigendes Inkaufnehmen) reicht aus.
Reine Fahrlässigkeit – etwa durch gutgläubigen Erwerb einer vermeintlich erwachsenen Puppe – führt nicht zur Strafbarkeit.
Relevante Abgrenzungen:
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Kenntnis vom kindlichen Erscheinungsbild?
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Kenntnis der sexuellen Zweckbestimmung?
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Fehlerhafte Beschreibung im Online-Shop?
Versuch nach § 184l Abs. 3 StGB
Der Versuch ist bei Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ausdrücklich unter Strafe gestellt. Das umfasst:
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Versuchte Einfuhr: Bestellung über ausländischen Shop, Ware bleibt beim Zoll hängen.
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Versuchte Abgabe: Angebot zum Verkauf, Übergabe scheitert.
Der Versuch beginnt mit dem „unmittelbaren Ansetzen zur Tat“ (§ 22 StGB), etwa durch Bestellklick, Annonce oder Paketversand.
Verhältnis zu anderen Normen: § 184l vs. § 184b StGB
Die Norm verweist auf § 184b StGB (Kinderpornographie):
Wenn die gleiche Handlung auch den Straftatbestand der Kinderpornographie erfüllt, entfällt die Anwendung von § 184l (sog. Sperrwirkung).
Beispiel:
Ein Täter besitzt sowohl eine kindliche Sexpuppe als auch kinderpornographische Bilddateien. Dann ist § 184b StGB vorrangig, weil dieser mit höherer Strafe bewehrt ist.
Rechtsfolgen und Einziehung
Strafmaß
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Abs. 1 (aktive Tathandlungen): Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe
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Abs. 2 (Erwerb und Besitz): Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder Geldstrafe
Einziehung (§ 184l Abs. 5 StGB)
Nebenstrafe ist regelmäßig die Einziehung der Puppe – auch Zubehör oder Verpackung können betroffen sein. Die Einziehung ist zwingend, wenn ein Verstoß festgestellt wird.
Verfassungsrechtliche Bewertung
Kritiker bemängeln:
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Unbestimmtheit der Begriffe (z. B. „kindlich“)
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Kriminalisierung ohne konkretes Opfer – es handelt sich um fiktive Objekte
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Verstoß gegen das Schuldprinzip – besonders bei Auslegung durch Eventualvorsatz
Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung ist nicht verletzt, da keine reale Person betroffen ist – weshalb eine Grundrechtsabwägung zwischen Allgemeininteresse (Kinderschutz) und Einzelfallgerechtigkeit nötig bleibt.
Verteidigungsstrategien im Ermittlungsverfahren
Ein Ermittlungsverfahren nach § 184l StGB kann schnell existenzbedrohend sein. Daher ist eine strukturierte Verteidigung essenziell:
1. Prüfung des Tatbestandsmerkmals „kindlich“
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Gutachterliche Bewertung der Puppe: Liegt tatsächlich ein kindliches Erscheinungsbild vor?
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Vergleich mit rechtlich unbedenklichen Puppenmodellen (z. B. Manga-Darstellungen, Fantasy-Designs)
2. Nachweis fehlenden Vorsatzes
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Glaubhafte Einlassung: Fehlende Kenntnis, Verwechslung, fehlende Informationen im Kaufprozess
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Beweislastumkehr vermeiden: Die Staatsanwaltschaft muss den Vorsatz belegen – Schweigen ist daher oft klug.
3. Verfahrensfehler angreifen
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Rechtswidrige Durchsuchung oder Beschlagnahme?
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Fehlerhafte richterliche Anordnung?
4. Verteidigung über Verhältnismäßigkeit
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Geringe kriminelle Energie (z. B. Einzeltat, keine Absicht zur Weitergabe)
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Verzicht auf erneute Nutzung, Reue oder Kooperation als Strafmilderungsgrund
Bedeutung für Mandanten: Verhalten im Ernstfall
Wird eine Durchsuchung durchgeführt oder ein Ermittlungsverfahren eröffnet, sollten Sie unbedingt:
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Schweigen – auch bei scheinbar entlastenden Fragen
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Keine freiwillige Herausgabe von Objekten ohne Beratung
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Sofort einen spezialisierten Strafverteidiger kontaktieren
Frühzeitiges juristisches Handeln kann über Einstellung oder Anklage entscheiden.
Fazit
§ 184l StGB ist ein hochsensibler Straftatbestand, der weitreichende gesellschaftliche und juristische Debatten auslöst. Die Norm verfolgt ein legitimes Ziel – den Schutz von Kindern – steht jedoch in einem Spannungsfeld zu rechtsstaatlichen Grundprinzipien wie Bestimmtheitsgebot, Schuldprinzip und Verhältnismäßigkeit.
Für Betroffene ist es entscheidend, kompetente rechtliche Unterstützung zu sichern. Eine kluge Verteidigung kann auf Lücken in der Beweislage, unklare Begrifflichkeiten und prozessuale Fehler aufbauen – und somit entscheidenden Einfluss auf das Verfahren nehmen.
FAQs
Was gilt als „kindliche Sexpuppe“?
Eine körperliche Nachbildung eines Kindes mit sexueller Zweckbestimmung – die Einstufung ist oft streitig und bedarf einer Einzelfallprüfung.
Ist der Besitz auch ohne Handelsabsicht strafbar?
Ja. Auch der bloße Besitz ohne Absicht zur Weitergabe ist nach § 184l Abs. 2 StGB strafbar.
Welche Strafen drohen konkret?
Freiheitsstrafen bis zu 5 Jahren bei Herstellung oder Handel, bis zu 3 Jahren bei Erwerb oder Besitz – jeweils alternativ Geldstrafe möglich.
Wie können Beschuldigte sich verteidigen?
Durch Anzweiflung der Tatbestandsmerkmale, Nachweis fehlenden Vorsatzes, Angriffe auf die Beweiskette und prozessuale Fehler.
Was soll ich bei einer Hausdurchsuchung tun?
Nicht reden. Keine freiwillige Herausgabe. Strafverteidiger kontaktieren – und keinesfalls eigenständig „erklären“.