Störung der Religionsausübung
Was gilt als strafbare Störung eines Gottesdienstes? Welche Handlungen machen sich nach § 167 StGB strafbar – und wie können Sie sich als Beschuldigter effektiv verteidigen? Ob politischer Protest, provokante Aktion oder ein vermeintliches Missverständnis: Die Grenzen zwischen legitimer Meinungsäußerung und strafbarer Störung sind oft schmal. In unserem Beitrag erfahren Sie, welche rechtlichen Fallstricke lauern, welche Strafen drohen und welche Verteidigungsstrategien sinnvoll sind. Ideal für alle, die mit dem Vorwurf konfrontiert sind oder sich juristisch absichern wollen.

In einer offenen Gesellschaft mit vielfältigen Glaubensrichtungen ist es essenziell, dass religiöse Zeremonien friedlich und ohne Störung ablaufen können. Das deutsche Strafrecht trägt diesem Bedürfnis mit § 167 StGB Rechnung – einem Delikt, das insbesondere bei politischen Protesten oder gesellschaftlichen Spannungen zunehmend an Relevanz gewinnt. Doch was genau erfasst der Straftatbestand der „Störung der Religionsausübung“? Und wie können Sie sich effektiv verteidigen, wenn Ihnen eine solche Tat zur Last gelegt wird?
Dieser Artikel bietet eine umfassende juristische Analyse aus verteidigender Perspektive – fundiert, praxisnah und strategisch.
Gesetzliche Einordnung – Der Aufbau des § 167 StGB
Schutzgut: Öffentlicher Frieden statt religiöser Gefühle
§ 167 StGB ist Teil der Straftaten gegen die öffentliche Ordnung (§§ 123–145d StGB). Anders als § 166 StGB, der religiöse Überzeugungen schützt, zielt § 167 auf den Schutz des öffentlichen Friedens. Der Gesetzgeber will sicherstellen, dass religiöse oder weltanschauliche Handlungen nicht in ihrem Ablauf gestört und damit das friedliche Zusammenleben nicht gefährdet wird.
Es handelt sich um ein abstraktes Gefährdungsdelikt – das bedeutet: Eine konkrete Gefahr für eine Einzelperson muss nicht bestehen, die Tat muss lediglich geeignet sein, das friedliche Zusammenleben empfindlich zu beeinträchtigen.
Tatbestand – Die juristische Struktur im Detail
Geschützte Handlungen: Gottesdienste und Gleichgestellte
Der Tatbestand schützt
- Gottesdienste im klassischen Sinne: öffentliche oder private religiöse Zeremonien, z. B. Messen, Andachten, Gebete.
- Gottesdienstliche Handlungen: religiöse Riten wie Taufen, Beichten, Konfirmationen, Kommunionen, kirchliche Hochzeiten oder Beerdigungen.
- Veranstaltungen von Weltanschauungsgemeinschaften (§ 167 Abs. 2): z. B. Trauerfeiern oder Namensgebungszeremonien von Humanisten.
Die Veranstaltung muss bereits begonnen haben, bloße Vorbereitung reicht nicht aus.
Tathandlungen: Grobe Störung oder beschimpfender Unfug
§ 167 StGB kennt zwei Varianten der Tathandlung:
1. Grobe Störung eines Gottesdienstes oder einer gottesdienstlichen Handlung
Erforderlich ist eine intensive und nachhaltige Beeinträchtigung des Ablaufs. Die Störung muss in objektiv grober Weise erfolgen – durch Lautstärke, Unterbrechung, provozierende Handlungen oder gezielte Störaktionen.
Beispiele:
- Zwischenrufe während einer kirchlichen Trauung
- Protestaktionen während eines Gottesdienstes
- absichtliches Läuten von Lärmquellen im Gottesdienstraum
2. Beschimpfender Unfug an einem Ort religiöser Bedeutung
Diese Variante betrifft Handlungen in Kirchen, Moscheen, Synagogen oder anderen religiösen Einrichtungen – auch außerhalb einer laufenden Zeremonie. Die Handlung muss eine rohe, verletzende Gesinnung zeigen und den Ort der Religion missachten.
Beispiele:
- Anbringen obszöner oder provokanter Plakate in einer Kirche
- öffentliches Urinieren im Altarraum
- satirisch übersteigerte „Inszenierungen“ mit Beleidigungscharakter

Subjektiver Tatbestand: Vorsatz ist zwingend
Der Täter muss vorsätzlich handeln. Ausreichend ist Eventualvorsatz: Der Täter erkennt die Möglichkeit der Störung und nimmt sie billigend in Kauf.
Zentrale Fragen in der Verteidigung:
- War dem Täter bewusst, dass es sich um eine religiöse Handlung handelt?
- War der rituelle Charakter der Veranstaltung erkennbar?
- Handelte er aus politischer Motivation ohne Rücksicht auf die Auswirkung?
Kein Versuch, aber Offizialdelikt
Keine Versuchsstrafbarkeit
Anders als viele andere Straftatbestände kennt § 167 StGB keine Versuchsstrafbarkeit. Wer also eine Störung vorbereitet, aber nicht zur Ausführung schreitet, bleibt straflos – sofern nicht andere Tatbestände erfüllt sind (z. B. Hausfriedensbruch).
Offizialdelikt – Strafverfolgung von Amts wegen
§ 167 StGB ist ein Offizialdelikt. Das bedeutet: Die Strafverfolgungsbehörden müssen ermitteln, sobald sie Kenntnis erlangen – ein Strafantrag ist nicht erforderlich. Dies erhöht die Relevanz frühzeitiger anwaltlicher Beratung, da Ermittlungsverfahren schnell in Gang gesetzt werden.
Strafmaß und Rechtsfolgen
Strafrahmen
§ 167 StGB sieht folgende Strafen vor:
- Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren oder
- Geldstrafe
Es handelt sich um ein Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB), nicht um ein Verbrechen. Die Strafhöhe richtet sich nach Art und Intensität der Störung sowie den persönlichen Umständen des Täters.
Strafzumessungskriterien
Bei der konkreten Strafzumessung spielen folgende Faktoren eine Rolle:
- Schwere und Dauer der Störung
- Anzahl der Betroffenen
- Motivation (z. B. ideologisch oder alkoholisiert)
- Vorstrafen oder Ersttäterschaft
- Einsicht, Reue, Entschuldigung
- Öffentlichkeitswirkung der Tat
In der Praxis dominieren Geldstrafen – insbesondere bei Ersttätern und Einzelfällen ohne politische Brisanz.
Relevante Rechtsprechung
Gerichte haben in verschiedenen Urteilen Kriterien für die „grobe Störung“ entwickelt:
- LG Berlin (Fall „Pussy Riot“): Politisch motivierte Aktionen in religiösem Raum können auch bei satirischem Anstrich strafbar sein, wenn sie in grober Weise stören.
- AG Hamburg: Lautstarke Kritik an einem Pfarrer während der Predigt stellte eine grobe Störung dar, da sie den Ablauf der Predigt empfindlich unterbrach.
- OLG München: Das Mitführen provokativer Symbole in einer Moschee wurde als beschimpfender Unfug gewertet, da die Intention auf Verächtlichmachung gerichtet war.
Abgrenzung zu anderen Delikten
§ 166 StGB – Beschimpfung religiöser Bekenntnisse
§ 166 StGB schützt das religiöse Selbstverständnis und richtet sich gegen verbal-symbolische Herabwürdigung von Bekenntnissen, ohne dass es zu einer Störung kommt. Beide Delikte können sich überschneiden, sind aber unabhängig voneinander.
§ 123 StGB – Hausfriedensbruch
Wenn sich die beschuldigte Person unerlaubt Zutritt zu einer religiösen Veranstaltung oder Einrichtung verschafft, kann zusätzlich Hausfriedensbruch vorliegen.
§ 185 StGB – Beleidigung
Wird in der Störung eine gezielte Ehrverletzung gegenüber einzelnen Teilnehmern oder Geistlichen ausgesprochen, kann zusätzlich § 185 StGB verwirklicht sein.
Verteidigungsstrategien – Was tun bei Vorladung oder Ermittlungsverfahren?
Vorsatz gezielt bestreiten
Ein zentraler Ansatzpunkt in der Verteidigung ist das Bestreiten des Vorsatzes. Wer sich – subjektiv – nicht im Klaren darüber war, dass es sich um eine religiöse Handlung handelt, kann nicht strafbar sein.
Mögliche Argumente:
- Fehlender Hinweis auf religiösen Charakter
- Unklare Symbolik oder Abläufe
- Keine sichtbaren Hinweise auf Religion (z. B. bei Trauerfeiern)

Nicht-Grobheit der Störung darlegen
Der Begriff „grobe“ Störung ist wertend. Eine Verteidigungsstrategie besteht darin, die Handlung als nicht erheblich darzustellen – z. B. als kurze Unterbrechung ohne nachhaltige Wirkung.
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung
Insbesondere bei satirischen, politischen oder künstlerischen Aktionen kann eine Abwägung mit den Grundrechten erforderlich sein. Relevant sind hier:
- Art. 5 GG (Meinungsfreiheit)
- Art. 4 GG (Religionsfreiheit)
- Art. 8 GG (Versammlungsfreiheit)
Das Bundesverfassungsgericht fordert in solchen Fällen eine Verhältnismäßigkeitsprüfung: Ist der Eingriff in die Grundrechte gerechtfertigt und notwendig?
Fazit: Sorgfältige Prüfung statt vorschneller Verurteilung
§ 167 StGB ist ein sensibler Tatbestand mit gesellschaftlicher, politischer und religiöser Sprengkraft. Gerade in einer Zeit zunehmender Polarisierung ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. Nicht jede provokante Handlung ist strafbar – und nicht jede Störung erfüllt den Tatbestand.
Für Beschuldigte gilt: Bewahren Sie Ruhe, machen Sie keine Angaben zur Sache und holen Sie umgehend anwaltlichen Beistand. Eine frühe Verteidigung ermöglicht es, strategisch auf die Ermittlungen einzuwirken, Einstellungsmöglichkeiten auszuloten oder im Ernstfall eine sachgerechte Argumentation vor Gericht zu führen.
FAQs zur Störung der Religionsausübung
Ist jede Unterbrechung eines Gottesdienstes automatisch strafbar?
Nein. Nur eine grobe Störung, die den Ablauf empfindlich beeinträchtigt, erfüllt den Tatbestand.
Muss ich religiöse Inhalte beleidigen, um mich strafbar zu machen?
Nicht zwingend. Auch die bloße Störung ohne Beleidigungsinhalt kann strafbar sein – bei der zweiten Tatvariante ist jedoch eine „beschimpfende“ Komponente nötig.
Was, wenn ich nicht wusste, dass es sich um eine religiöse Handlung handelt?
Fehlender Vorsatz kann zur Straflosigkeit führen – das ist ein zentraler Verteidigungsansatz.
Welche Strafen drohen bei § 167 StGB?
Im Regelfall drohen Geldstrafen oder Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren – Letzteres bei schweren oder mehrfachen Verstößen.
Kann ich mich auf Meinungs- oder Kunstfreiheit berufen?
Grundrechte können im Einzelfall die Handlung rechtfertigen – dies bedarf aber stets einer genauen verfassungsrechtlichen Abwägung.