Störung der Totenruhe
Die „Störung der Totenruhe“ gem. § 168 StGB befasst sich mit Handlungen an Leichen, die einen Tabubruch darstellen. Im folgenden Beitrag erfahren Sie, welche Handlungen und Situationen strafbar sein können und welche Strafen drohen können.

In der öffentlichen Wahrnehmung zählt § 168 StGB nicht zu den geläufigsten Vorschriften. Dennoch entfaltet er gerade in außergewöhnlichen Konstellationen eine erhebliche strafrechtliche Relevanz – sei es im Kontext skurriler Protestaktionen, medizinisch-juristischer Grauzonen oder tragischer Überschreitungen in Trauersituationen. Für die Beschuldigten bedeutet der Vorwurf häufig: große Unsicherheit, öffentliche Stigmatisierung und hohe rechtliche Komplexität. Der folgende Beitrag beleuchtet die rechtlichen Grundlagen, systematischen Einordnungen und praktischen Verteidigungsansätze im Detail.
Gesetzliche Grundlage – Der Aufbau des § 168 StGB
Wortlaut
§ 168 Abs. 1 StGB stellt unter Strafe:
- die unbefugte Wegnahme
- oder das Verüben beschimpfenden Unfugs
an einem der folgenden Objekte:
- Körper eines verstorbenen Menschen
- Teile des Körpers
- tote Leibesfrucht oder deren Teile
- Asche des Verstorbenen
Strafrahmen
Der Strafrahmen sieht Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Damit handelt es sich um ein Vergehen i.S.d. § 12 Abs. 2 StGB. Eine Versuchsstrafbarkeit ist gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt und wird nach herrschender Meinung nicht angenommen, da das Tatobjekt in der Regel bereits berührt sein muss.
Geschütztes Rechtsgut – Postmortales Persönlichkeitsrecht und Pietätsgefühl
Das strafrechtlich geschützte Interesse ist nicht der Leichnam als Sache, sondern die fortwirkende Würde des Menschen. Nach dem Tod bleibt dem Menschen ein Rest an Persönlichkeitsrecht – das sogenannte postmortale Persönlichkeitsrecht, das Verfassungsrang genießt (Art. 1 Abs. 1 GG).
Daneben schützt § 168 StGB auch das allgemeine Pietätsgefühl der Gesellschaft und der Hinterbliebenen. Die Norm hat somit sowohl einen individuellen als auch einen kollektiv-ethischen Bezug.
Tatobjekte – Was genau wird geschützt?
Körper eines Verstorbenen
Erfasst wird jeder menschliche Leichnam, unabhängig von seinem Zustand (z. B. mumifiziert, verwest). Nicht erforderlich ist die vollständige Identifizierbarkeit.
Körperteile
Teile eines Leichnams gelten ebenfalls als Tatobjekt, wenn sie nicht zu Lebzeiten entfernt wurden. Juristisch bedeutsam ist die Abgrenzung zu „abtrennbaren“ Fremdkörpern: Während ein Zahnimplantat erfasst wird, sind Hörgeräte oder Brillen ausgenommen, da sie keinen organischen Bezug haben.
Tote Leibesfrucht und Asche
Ein seltener, aber rechtlich relevanter Punkt: Auch Fehlgeburten (tote Leibesfrucht) sowie die Asche Verstorbener nach einer Feuerbestattung genießen strafrechtlichen Schutz – ein Novum in der rechtlichen Entwicklung, das auf den erweiterten Pietätsgedanken zurückgeht.

Tathandlungen – Wegnahme und beschimpfender Unfug
Wegnahme
Analog zum Diebstahlsbegriff (§ 242 StGB) bedeutet Wegnahme den Bruch fremden Gewahrsams und die Begründung neuen. Die Wegnahme muss gegen den Willen des Berechtigten erfolgen. Als Berechtigter gilt in der Regel der nächste Angehörige oder der Inhaber des Bestattungsrechts (häufig die Friedhofsverwaltung).
Abgrenzung zu erlaubten Eingriffen
Keine Strafbarkeit liegt vor bei:
- ärztlichen Obduktionen (§ 87 StPO)
- Organentnahmen mit Einwilligung (§§ 8–10 TransplantG)
- Exhumierungen mit behördlicher Genehmigung
Die Einwilligung des Berechtigten ist ein klassischer Rechtfertigungsgrund, der die Tat objektiv entfallen lässt.
Beschimpfender Unfug
Hierbei handelt es sich um eine eigenständige Variante des § 168 StGB, die keine Wegnahme voraussetzt.
Definition
Als beschimpfenden Unfug versteht man jede Handlung, die geeignet ist, die Würde des Verstorbenen in gröblicher Weise zu verletzen. Die Formulierung „beschimpfend“ orientiert sich dabei am Begriff der Ehrverletzung und setzt eine herabwürdigende oder verspottende Gesinnung voraus.
Beispiele aus der Rechtsprechung
- Platzieren eines abgetrennten Kopfes vor einem Gerichtsgebäude
- Urnendiebstahl und anschließendes Zerschmettern der Asche
- Fotografieren einer Leiche in entwürdigender Position und Verbreitung in sozialen Medien
Subjektive Elemente
Die Tat muss vorsätzlich begangen sein, wobei dolus eventualis genügt. Es reicht also aus, wenn der Täter billigend in Kauf nimmt, dass seine Handlung als entwürdigend empfunden wird.
Strafverteidigung – Wie kann man sich gegen den Vorwurf verteidigen?
Schweigen und Akteneinsicht
Als Beschuldigter sind Sie nicht zur Aussage verpflichtet. Erst nach Akteneinsicht durch den Strafverteidiger sollte eine eventuelle Einlassung erfolgen.
Rechtfertigungsgründe prüfen
- Einwilligung: Kann glaubhaft gemacht werden, dass die Angehörigen eingewilligt haben, entfällt die Strafbarkeit.
- Irrtum über die Berechtigung: Ein unvermeidbarer Verbotsirrtum (§ 17 StGB) kann die Schuld entfallen lassen.
- Nichtvorliegen eines Tatobjekts: Handelte es sich beispielsweise um ein medizinisches Anschauungspräparat oder bereits verwesungsunkenntliche Fragmente, kann der Tatbestand nicht erfüllt sein.
Beweisanalyse
Viele Verfahren basieren auf unklaren Beweismitteln: vage Zeugenaussagen, unvollständige Videos oder fehlerhafte Gutachten. Eine detaillierte Prüfung der Beweiskette durch einen Strafverteidiger ist hier entscheidend.
Tatbestandsausschlüsse und Rechtsunsicherheiten
Problemfeld: Kunst und Performance
Künstlerische Performances, bei denen echte oder künstliche Leichenteile verwendet werden, können grenzwertig sein. Die Schutzwirkung des Art. 5 GG (Kunstfreiheit) steht dem § 168 StGB grundsätzlich gegenüber – wobei stets eine Abwägung im Einzelfall erfolgen muss.
Medizinische Forschung
Gerade in der Anatomie oder bei Lehrpräparaten ist zu prüfen, ob es sich tatsächlich um „geschützte Tatobjekte“ i.S.d. § 168 StGB handelt oder um zu Lebzeiten einwilligungspflichtige Verfügungen.
Abgrenzung zu anderen Tatbeständen
Grabschändung (§ 189 StGB)
Während § 168 StGB den Leichnam selbst schützt, stellt § 189 die Zerstörung, Beschädigung oder Verunstaltung von Grabstätten unter Strafe. Beide Delikte können sich ergänzen, schließen sich aber nicht gegenseitig aus.
Diebstahl (§ 242 StGB)
Wird aus dem Grab Schmuck entwendet, liegt ggf. zusätzlich ein Diebstahl vor. Die Wegnahme eines Leichnams oder Leichenteils ist hingegen nicht als Diebstahl zu werten, da der Leichnam kein taugliches Diebstahlsobjekt ist (§ 90a BGB – keine Sache).

Prozessuale Besonderheiten – Ermittlungsverfahren und Verfahrensstrategie
Anfangsverdacht genügt
Oft genügt schon ein vager Anfangsverdacht, um ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Der Tatvorwurf kann daher auch Personen treffen, die nur mittelbar mit dem Ereignis zu tun hatten – z. B. Friedhofsmitarbeiter, medizinisches Personal oder Angehörige.
Tatbeitrag und Teilnahme
Auch Anstiftung oder Beihilfe zur Störung der Totenruhe ist strafbar (§§ 26, 27 StGB). Hierbei genügt ein psychisches Mitwirken oder eine logistische Unterstützung, sofern sie vorsätzlich erfolgt.
Fazit – Wann anwaltlicher Rat unverzichtbar ist
Der § 168 StGB ist kein Bagatelldelikt. Wer sich mit dem Vorwurf konfrontiert sieht, steht vor einer vielschichtigen juristischen Herausforderung. Die genaue Einordnung der Handlung, die Prüfung möglicher Rechtfertigungen und eine durchdachte Verteidigungsstrategie sind entscheidend für den Verfahrensausgang.
Warten Sie nicht auf eine Anklageschrift – schon im Ermittlungsverfahren können wir als Strafverteidiger entscheidende Weichen stellen.
FAQ – Erweiterte juristische Klarstellungen
Ist ein versehentliches Berühren einer Leiche strafbar?
Nein, fahrlässiges oder zufälliges Verhalten erfüllt den Tatbestand nicht. Vorsatz ist erforderlich.
Was, wenn ich dachte, ich sei zur Handlung berechtigt?
Ein sogenannter Verbotsirrtum kann die Schuld entfallen lassen – ist aber nur dann entschuldigend, wenn er unvermeidbar war (§ 17 StGB).
Sind auch Tierkadaver von § 168 StGB erfasst?
Nein, § 168 StGB schützt ausschließlich menschliche Überreste. Für Tiere gelten andere Vorschriften.
Kann ein Rechtsmediziner belangt werden?
Nur, wenn seine Handlung außerhalb gesetzlicher Befugnisse (z. B. ohne Zustimmung zur Obduktion) erfolgt und vorsätzlich ist.
Ist die Verwendung von echten Leichenteilen in Kunstwerken strafbar?
Möglich, ja. Eine Abwägung zwischen Kunstfreiheit (Art. 5 GG) und Totenruhe muss im Einzelfall erfolgen.