Tätige Reue

Bei der Begehung einer Straftat besteht immer die Möglichkeit, dass der Täter seine Entscheidung überdenkt und den Schadenseintritt aktiv verhindert oder zumindest abwenden will. In einigen gesetzlich vorgeschriebenen Fällen kann dieses Abwenden des Erfolgseintritts zu einer Strafmilderung oder sogar zur Straffreiheit führen. In diesem Beitrag erfahren Sie alles Wichtige zum juristischen Konstrukt der „Tätigen Reue“.

Tätige Reue

Die „tätige Reue“ ist ein bemerkenswerter Mechanismus im Strafrecht, der sich klar vom moralischen Begriff der Reue abgrenzt. Während Letztere lediglich ein Gefühl beschreibt, meint tätige Reue ein tatsächliches, aktives Handeln des Täters nach der Tat. Der Täter versucht dabei, den entstandenen Schaden zu beseitigen, zu verringern oder eine drohende Gefahr zu verhindern – und zwar freiwillig und aus eigenem Antrieb.

Dieses Verhalten wird vom Gesetzgeber in bestimmten Konstellationen honoriert – mit der Aussicht auf Strafmilderung oder gar vollständige Straffreiheit. Die Reuehandlung muss dabei zeitlich und sachlich exakt in den gesetzlichen Rahmen passen – eine komplexe Herausforderung, die in der Verteidigung klug genutzt werden kann.

Gesetzliche Grundlagen: Selektive Regelung statt allgemeines Prinzip

Im deutschen Strafrecht gibt es keine allgemeingültige Vorschrift zur tätigen Reue. Vielmehr handelt es sich um spezielle gesetzliche Regelungen, die jeweils an bestimmte Delikte gekoppelt sind. Das bedeutet: Die Möglichkeit, tätige Reue geltend zu machen, besteht nur dort, wo das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht.

Typisch ist diese Verankerung bei Delikten mit großem Gefahrenpotenzial oder beträchtlichem wirtschaftlichem Schaden. Die gesetzliche Idee dahinter: Der Täter soll einen Anreiz erhalten, den Schaden zu minimieren – auch wenn die Tat bereits vollendet ist.

Ein Überblick über die wichtigsten Normen

Hier einige ausgewählte Vorschriften, die tätige Reue ermöglichen:

  • § 83a StGB – Hochverrat: Wer sich bemüht, eine staatsgefährdende Handlung rückgängig zu machen, kann straffrei ausgehen.
  • § 142 Abs. 4 StGB – Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort: Wer sich innerhalb von 24 Stunden freiwillig meldet, kann der Strafe entgehen.
  • § 261 Abs. 8 StGBGeldwäsche: Durch Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden kann Strafverzicht erreicht werden.
  • § 264 Abs. 6 StGBSubventionsbetrug: Rückzahlung oder Anzeige der Tat vor Entdeckung kann strafbefreiend wirken.
  • § 306e StGBBrandstiftung: Wer das Feuer selbst löscht, bevor größerer Schaden entsteht, kann sich retten.
  • § 314a StGB – Herbeiführung einer Explosion: Tätige Reue durch Abwendung einer Katastrophe.

Auffällig ist: Diese Regelungen sind meist eng und restriktiv gefasst. Nur ein präziser, auf den jeweiligen Paragrafen zugeschnittener Reueakt führt zum gewünschten Ergebnis.

Voraussetzungen der tätigen Reue – juristisch präzise betrachtet

Die Voraussetzungen für tätige Reue variieren je nach Delikt. Dennoch lassen sich einige Grundelemente herausarbeiten, die regelmäßig erforderlich sind:

Tätige Reue

1. Freiwilligkeit

Das Verhalten muss ohne äußeren Druck oder Zwang erfolgen. Eine Handlung, die aus Angst vor Entdeckung oder auf Druck Dritter erfolgt, wird nicht anerkannt. Auch taktische Erwägungen – etwa um die Strafverfolgung zu erschweren – schließen Freiwilligkeit in der Regel aus.

2. Zeitliche Grenze

Fast alle Vorschriften knüpfen an eine zeitliche Schwelle: Die Reue muss vor der Entdeckung der Tat oder vor dem Abschluss des Ermittlungsverfahrens erfolgen. Wer erst im Prozess einlenkt, kommt in der Regel zu spät.

3. Schadenskompensation oder Gefahrenbeseitigung

Die Handlung muss objektiv geeignet sein, den Schaden zu beseitigen oder die Gefahr abzuwehren. Halbherzige Bemühungen reichen nicht aus.

4. Ernsthaftigkeit und Vollständigkeit

Die tätige Reue muss nachhaltig und vollständig erfolgen. Wer nur einen Teil des Schadens ersetzt oder Informationen zurückhält, wird die Anforderungen kaum erfüllen.

Praxisbeispiele: Wie tätige Reue im Alltag funktioniert

Beispiel 1: Brandstiftung

Ein Jugendlicher entzündet ein leerstehendes Gebäude. Noch bevor die Feuerwehr eintrifft, gelingt es ihm, das Feuer eigenständig zu löschen. Später stellt sich heraus, dass der Schaden minimal blieb. Da § 306e StGB einschlägig ist, besteht eine realistische Aussicht auf Strafmilderung oder sogar -freiheit.

Beispiel 2: Unfallflucht

Ein Autofahrer verursacht einen Blechschaden und entfernt sich unerlaubt. Nach reiflicher Überlegung stellt er sich freiwillig am nächsten Morgen bei der Polizei – noch bevor das Kennzeichen identifiziert wurde. § 142 Abs. 4 StGB ermöglicht in diesem Fall eine Strafbefreiung.

Beispiel 3: Subventionsbetrug

Ein Unternehmer gibt im Rahmen der Corona-Hilfen unrichtige Angaben zu seinen Umsätzen. Kurz darauf erkennt er den Fehler, korrigiert die Angaben selbstständig und zahlt die Gelder zurück – alles vor einer etwaigen Entdeckung durch die Behörden. In diesem Fall greift § 264 Abs. 6 StGB.

Rücktritt oder tätige Reue? Der entscheidende Unterschied

Während die tätige Reue an vollendete Taten anknüpft, setzt der Rücktritt vom Versuch ein früher an:

  • Rücktritt: Möglich, solange die Tat noch nicht vollendet ist. Führt bei erfolgreichem Rücktritt regelmäßig zur kompletten Straffreiheit.
  • Tätige Reue: Kommt erst nach Tatvollendung ins Spiel und hängt von gesetzlichen Vorgaben ab. Sie kann zu Strafmilderung oder Straffreiheit führen – ist aber nicht garantiert.

Die Rolle des Strafverteidigers

Für Verteidiger stellt die tätige Reue ein strategisches Instrument dar, das frühzeitig geprüft und gezielt eingesetzt werden sollte. Besonders im Ermittlungsverfahren lassen sich durch Reuehandlungen massive Vorteile erzielen:

  • Vermeidung einer Hauptverhandlung: Die tätige Reue kann dazu führen, dass das Verfahren eingestellt wird (§ 153a StPO).
  • Reduzierung des Strafmaßes: Auch wenn keine vollständige Straffreiheit erreicht wird, kann das Gericht eine deutlich mildere Strafe verhängen.
  • Positive Einflussnahme auf die Sozialprognose: Ein aktives, verantwortungsbewusstes Verhalten kann sich auf Bewährungsentscheidungen auswirken.

Österreich: Ein weites Feld für tätige Reue

Während Deutschland tätige Reue nur selektiv kennt, ist sie im österreichischen Strafrecht breiter gefasst. Nach § 167 StGB kann der Täter zahlreicher Vermögensdelikte – z. B. Diebstahl, Betrug, Untreue – durch rechtzeitige Schadenswiedergutmachung straffrei bleiben.

Die Voraussetzungen sind ähnlich:

  • Freiwilligkeit
  • Rechtzeitigkeit (vor Strafverfolgung)
  • Vollständige Wiedergutmachung

Das österreichische Modell wird in Fachkreisen als pragmatisch und kriminalpolitisch sinnvoll bewertet. Es belohnt Täter, die noch vor Einschreiten des Staates zur Verantwortung bereit sind – und entlastet gleichzeitig Justiz und Gesellschaft.

Tätige Reue

Rechtspolitische Diskussion

Die Beschränkung der tätigen Reue auf bestimmte Delikte wird immer wieder kritisch hinterfragt. Wäre es nicht sinnvoll, dem Täter generell die Chance zur Wiedergutmachung einzuräumen – unabhängig vom Delikt?

Kritiker argumentieren, dass Täter, die z. B. einen Diebstahl wiedergutmachen wollen, keine vergleichbare Möglichkeit haben wie Brandstifter oder Subventionsbetrüger. Die Debatte bleibt spannend und dürfte auch in der kommenden Legislaturperiode eine Rolle spielen.

Fazit: Eine zweite Chance mit Grenzen

Die tätige Reue ist kein Freifahrtschein – aber ein mächtiges Instrument, wenn sie richtig, rechtzeitig und vollständig ausgeübt wird. Für Verteidiger bedeutet das: prüfen, beraten, handeln. Die Chancen sind real – aber nur, wenn der gesetzliche Rahmen präzise eingehalten wird.


FAQs zur tätigen Reue

1. Gilt tätige Reue auch bei Totschlag oder Mord?
Nein. Für Delikte wie Totschlag oder Mord ist keine tätige Reue vorgesehen. Auch bei anderen Gewaltdelikten fehlt meist eine gesetzliche Regelung.

2. Ist tätige Reue auch im Jugendstrafrecht relevant?
Ja – zwar nicht im engen gesetzlichen Sinn, aber im Rahmen der Erziehungsziele und der spezialpräventiven Überlegungen kann tätige Reue positiv in die Gesamtwürdigung einfließen.

3. Kann tätige Reue zur Verfahrenseinstellung führen?
Ja. In bestimmten Konstellationen – z. B. bei freiwilliger Schadenswiedergutmachung – kann das Verfahren nach § 153a StPO eingestellt werden.

4. Welche Rolle spielt die Staatsanwaltschaft?
Die Staatsanwaltschaft kann bei freiwilligen Reuehandlungen auf Strafverfolgung verzichten oder ein milderes Strafmaß beantragen. Die aktive Zusammenarbeit kann sich lohnen.

5. Wie lange hat man Zeit für tätige Reue?
Das hängt vom jeweiligen Straftatbestand ab. Meist ist die Grenze die Entdeckung der Tat oder der Beginn der Ermittlungen.