Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – zweite Chance im Strafverfahren
Im Strafverfahren können Fristen über Erfolg oder Misserfolg entscheiden. Wird eine Berufung, Revision oder ein Einspruch gegen einen Strafbefehl zu spät eingelegt, wird die Entscheidung rechtskräftig – mit allen Konsequenzen. Doch das Gesetz kennt eine wichtige Ausnahme: die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Sie ermöglicht es, trotz Fristversäumnis weiter gegen eine Entscheidung vorzugehen – wenn das Versäumnis nicht selbst verschuldet wurde.
Was bedeutet Wiedereinsetzung in den vorigen Stand?
Die Wiedereinsetzung ist ein Rechtsbehelf im Strafprozess. Wer eine Frist unverschuldet versäumt hat, kann beantragen, dass das Verfahren so gestellt wird, als wäre die Frist eingehalten worden. Die versäumte Handlung – etwa eine Berufung oder ein Einspruch – muss dann nachgeholt werden. Ziel ist es, unbillige Härten zu vermeiden, wenn Fristen aus Gründen versäumt wurden, die außerhalb der Kontrolle der Betroffenen liegen.
In welchen Fällen ist Wiedereinsetzung möglich?
Typische Anwendungsfälle sind:
– Versäumung der Frist zur Einlegung von Berufung oder Revision,
– Versäumung der Frist zur Begründung einer Revision,
– Versäumung der zweiwöchigen Einspruchsfrist gegen einen Strafbefehl.
In allen Fällen gilt: Die Frist muss aus unverschuldetem Grund verpasst worden sein – etwa durch Krankheit, Krankenhausaufenthalt, nicht zugestellte Post, fehlenden Nachsendeauftrag oder Urlaubsabwesenheit.

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein?
Die rechtliche Grundlage ist § 44 StPO. Der Antrag auf Wiedereinsetzung kann nur Erfolg haben, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
– Es liegt ein unverschuldetes Fristversäumnis vor.
– Der Antrag wird unverzüglich nach Wegfall des Hindernisses gestellt – spätestens innerhalb einer Woche.
– Innerhalb dieser Frist wird die versäumte Handlung nachgeholt (z. B. Berufung eingelegt oder Einspruch eingereicht).
– Das Fristversäumnis und die Hinderungsgründe werden glaubhaft gemacht – idealerweise durch Nachweise wie Atteste oder Meldebescheinigungen.
Beispiel: Einspruchsfrist gegen Strafbefehl verpasst
Ein Beschuldigter erhält während eines Urlaubs einen Strafbefehl, bemerkt diesen aber erst nach seiner Rückkehr – also nach Ablauf der zweiwöchigen Einspruchsfrist. Wenn er nachweisen kann, dass er sich zum Zeitpunkt der Zustellung tatsächlich im Urlaub befand (z. B. durch Buchungsunterlagen) und deshalb keine Kenntnis vom Strafbefehl hatte, kann Wiedereinsetzung beantragt werden – sofern der Antrag und der Einspruch binnen einer Woche nach Rückkehr erfolgen.
Wie muss ein Wiedereinsetzungsantrag aussehen?
Der Antrag muss schriftlich bei dem Gericht gestellt werden, das über die versäumte Handlung zu entscheiden hat. Er muss Folgendes enthalten:
– eine Erklärung, weshalb die Frist versäumt wurde,
– eine Begründung, weshalb dies unverschuldet war,
– Belege zur Glaubhaftmachung (z. B. Atteste, Reiseunterlagen),
– die nachgeholte Handlung (z. B. Berufung, Revision, Einspruch).

Häufige Fehler und Risiken
In der Praxis scheitern viele Anträge daran, dass sie zu spät oder unvollständig gestellt werden. Besonders wichtig ist es, die Wochenfrist nach Wegfall des Hindernisses einzuhalten und gleichzeitig die versäumte Handlung nachzuholen. Auch vage Begründungen oder fehlende Belege führen oft zur Ablehnung.
Ein weiterer häufiger Fehler: Die Antragsteller glauben, sie könnten nachträglich gegen ein Urteil vorgehen, obwohl die Fristversäumnis selbst verschuldet war – etwa aus Vergesslichkeit oder Unachtsamkeit. In solchen Fällen ist eine Wiedereinsetzung ausgeschlossen.
Wie entscheidet das Gericht?
Das Gericht prüft die Begründung und die Belege. Wird der Antrag bewilligt, wird das Verfahren so fortgesetzt, als sei die Frist eingehalten worden. Wird der Antrag abgelehnt, bleibt die ursprüngliche Entscheidung bestehen und wird rechtskräftig.
Rechtsmittel gegen die Ablehnung
Gegen die Ablehnung eines Wiedereinsetzungsantrags kann sofortige Beschwerde eingelegt werden (§ 46 StPO). Auch hier gilt: Die Beschwerde muss innerhalb einer Woche nach Zustellung des ablehnenden Beschlusses erfolgen.

Häufige Fragen zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Wie viel Zeit habe ich für den Antrag?
Spätestens eine Woche nach dem Wegfall des Hindernisses muss der Antrag gestellt und die versäumte Handlung nachgeholt werden.
Was passiert, wenn der Antrag abgelehnt wird?
Dann bleibt die Entscheidung rechtskräftig – etwa ein Urteil oder ein Strafbefehl. Weitere Rechtsmittel bestehen in der Regel nicht.
Kann ich den Antrag selbst stellen?
Das ist möglich, aber riskant. Formfehler oder unzureichende Begründungen führen häufig zur Ablehnung. Eine anwaltliche Beratung ist dringend anzuraten.
Welche Nachweise sind nötig?
Je nach Fall: ärztliche Atteste, Reisebelege, Krankenhausberichte, Postnachweise oder Meldeunterlagen – je glaubhafter, desto besser.
Was bedeutet „unverschuldet“?
Unverschuldet ist eine Fristversäumnis nur, wenn der Betroffene bei Anwendung aller Sorgfalt die Frist nicht einhalten konnte – z. B. durch Erkrankung, fehlende Kenntnis der Zustellung oder Abwesenheit aus zwingenden Gründen.
Anzeige erhalten?
Ein Strafverfahren kann schnell komplex werden – insbesondere, wenn Fristen versäumt wurden. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist oft die letzte Möglichkeit, sich gegen eine Entscheidung zu wehren. Doch sie ist an enge gesetzliche Voraussetzungen gebunden. Ein erfahrener Verteidiger kann helfen, die Chancen richtig einzuschätzen und die formalen Anforderungen zu erfüllen – bevor es zu spät ist.

