Wiederaufnahmeverfahren

Ein Strafurteil hat weitreichende Folgen. Doch was tun, wenn das Urteil auf fragwürdigen Beweisen oder Verfahrensfehlern beruht? Die Justiz ist nicht unfehlbar. Neue Beweismittel oder die Feststellung von Verfahrensfehlern nach dem Urteil bieten Hoffnung auf Gerechtigkeit. Im folgenden Beitrag erfahren Sie, wie Wiederaufnahmeverfahren dazu beitragen können, vermeintliches Unrecht zu korrigieren.

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Tommy Kujus
Tommy Kujus ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht. Er ist Inhaber der Leipziger Kanzlei KUJUS Strafverteidigung, und bundesweit als Strafverteidiger tätig.

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Was ist das „Wiederaufnahmeverfahren“? 

Ein Wiederaufnahmeverfahren ist ein rechtliches Verfahren, das es ermöglicht, ein rechtskräftiges Urteil in einem Strafverfahren erneut zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Es dient dazu, Fehlurteile zu korrigieren und sicherzustellen, dass das Recht gerecht und fair angewendet wird. 

Wo ist das „Wiederaufnahmeverfahren“ geregelt? 

Die Regelungen für das Wiederaufnahmeverfahren sind in der Strafprozessordnung (StPO) geregelt. Dabei wird in den §§ 359 bis 373a StPO zwischen Wiederaufnahmeverfahren zugunsten und zuungunsten des Verurteilten unterschieden. Diese Vorschriften legen die Voraussetzungen fest, unter denen ein Wiederaufnahmeantrag gestellt werden kann, sowie den Ablauf und die Zuständigkeiten im Rahmen des Verfahrens. 

Wiederaufnahmeverfahren

Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten, § 359 StPO 

[gesetz norm=”StPO” paragraf=”359″][/gesetz]

Voraussetzungen 

Ein Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten nach § 359 StPO setzt voraus, dass neue Tatsachen oder Beweismittel auftauchen, die zur Folge haben könnten, dass das Urteil gegen den Verurteilten aufgehoben oder geändert wird. Diese neuen Tatsachen oder Beweismittel müssen grundsätzlich geeignet sein, Zweifel an der Richtigkeit oder Rechtmäßigkeit des Urteils zu begründen. Es ist von entscheidender Bedeutung, dass diese neuen Umstände zur Zeit des ursprünglichen Strafverfahrens nicht bekannt waren. 

Welche genauen Umstände vorliegen müssen ergibt sich aus den in § 359 StPO aufgeführten Fällen. Solche Umstände liegen beispielsweise vor, wenn eine in der Hauptverhandlung zu Ungunsten des Verurteilten als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war (Nr. 1), wenn sich ein Zeuge der vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat (Nr. 2) oder wenn sich ein mitgewirkter Richter wegen einer Verletzung seiner Amtspflicht schuldig gemacht hat (Nr. 3). 

Rechtfolge 

Sollte das Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten zulässig (erfolgreich) sein, kann das Urteil, gegen das die Wiederaufnahme beantragt wurde, aufgehoben oder geändert werden. Dies kann zur Folge haben, dass das Strafverfahren erneut durchgeführt wird oder dass das Urteil in eine mildere Form abgeändert wird. In einigen Fällen kann die Wiederaufnahme auch zur vollständigen Freisprechung des Verurteilten führen. Es ist wichtig anzumerken, dass die Rechtsfolgen eines erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens stark von den spezifischen Umständen des Falles abhängen und von Fall zu Fall variieren können. 

Rechtsmittel 

Gegen die Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens steht den Beteiligten das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 372 StPO zur Verfügung. Dies bedeutet, dass die Parteien, einschließlich des Verurteilten und der Staatsanwaltschaft, die Entscheidung des Gerichts, das über den Wiederaufnahmeantrag entscheidet, vor einem höheren Gericht überprüfen lassen können. Die Beschwerde ermöglicht es den Parteien, etwaige Rechtsfehler oder Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit der Entscheidung des Gerichts geltend zu machen und eine Überprüfung durch eine höhere Instanz zu erreichen. Die Erfolgsaussichten einer solchen Beschwerde sind jedoch von verschiedenen Faktoren abhängen, darunter die Stärke der vorgebrachten Argumentation und die Anwendung des geltenden Rechts durch das Gericht. 

Beispiel 

In einem Strafverfahren wegen Diebstahls wurde der Angeklagte aufgrund von Zeugenaussagen und Indizien zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Jahre später gesteht ein anderer Verdächtiger, dass er tatsächlich der Täter war und der damalig Angeklagte unschuldig verurteilt wurde. Diese neue Tatsache war zum Zeitpunkt des ursprünglichen Verfahrens nicht bekannt. Basierend auf diesem neuen Geständnis wird ein Wiederaufnahmeverfahren zugunsten des Verurteilten gemäß § 359 StPO beantragt, da das neue Geständnis Zweifel an der Richtigkeit ihres Urteils aufwirft und zu einer Aufhebung oder Änderung des Urteils führen könnte. 

Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Verurteilten, § 362 StPO 

[gesetz norm=”StPO” paragraf=”362″][/gesetz]

Voraussetzungen 

Ein Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO ist zulässig, wenn neue Tatsachen- oder Beweismittel auftauchen, die zur Folge haben könnte, dass das Urteil gegen den Verurteilten aufgehoben oder geändert wird. Dieses neue Tatsachen- oder Beweismittel muss dazu geeignet sein, die Schuld des Verurteilten zu erhärten oder zu bestätigen. Zudem ist entscheidend, dass diese neuen Umstände zur Zeit des ursprünglichen Strafverfahrens nicht bekannt waren. 

Welche genauen Umstände vorliegen müssen ergibt sich aus den in § 362 StPO aufgeführten Fällen. Solche Umstände liegen beispielsweise vor, wenn eine in der Hauptverhandlung zu Ungunsten des Verurteilten als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war (Nr. 1), wenn sich ein Zeuge der vorsätzlichen falschen uneidlichen Aussage schuldig gemacht hat (Nr. 2) oder wenn sich ein mitgewirkter Richter wegen einer Verletzung seiner Amtspflicht schuldig gemacht hat (Nr. 3). 

Rechtfolge 

Im Falle eines erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens zuungunsten des Verurteilten können verschiedene Rechtsfolgen eintreten. Das Urteil, gegen das die Wiederaufnahme beantragt wurde, kann aufrechterhalten oder sogar verschärft werden, wenn das neue Tatsachen- oder Beweismittel die Schuld des Verurteilten bestätigt. Dies kann zur Folge haben, dass das Strafverfahren erneut durchgeführt wird oder dass das Urteil in eine strengere Form abgeändert wird. In einigen Fällen kann die Wiederaufnahme zu einer Verlängerung der Strafzeit oder zu weiteren Sanktionen führen. 

Rechtsmittel 

Gegen die Entscheidung über einen Antrag auf Wiederaufnahme eines Verfahrens zuungunsten des Verurteilten steht den Beteiligten ebenfalls das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nach § 372 StPO zur Verfügung. Es erfolgt dann eine Überprüfung durch ein höheres Gericht. Die Beschwerde ermöglicht es den Parteien, etwaige Rechtsfehler oder Unzulänglichkeiten im Zusammenhang mit der Entscheidung des Gerichts geltend zu machen. 

Beispiel 

Der Angeklagte wurde in einem Strafverfahren wegen Betrugs zu einer (geringen) Freiheitsstrafe verurteilt, basierend auf umfangreichen Dokumenten und Zeugenaussagen, die seine Schuld belegen. Einige Jahre nach Abschluss des Verfahrens kommt es zu neuen Erkenntnissen, die darauf hindeuten, dass der damalige Angeklagte falsche Angaben gemacht hat, um seine Unschuld zu beweisen. Ein Zeuge behauptet, dass er damals von dem Angeklagten angewiesen wurde, bestimmte Beweismittel zu manipulieren, um dessen Schuld zu vertuschen. Aufgrund dieser neuen Beweislage beantragt die Staatsanwaltschaft ein Wiederaufnahmeverfahren zuungunsten des Verurteilten gemäß § 362 StPO, da die neuen Erkenntnisse die Schuld des Verurteilten bestätigen und zu einer Verschärfung des Urteils führen könnten. 

Vorteile 

  • Korrektur von Fehlurteilen: Einer der wichtigsten Vorteile des Wiederaufnahmeverfahrens ist die Möglichkeit, Fehlurteile zu korrigieren. Durch die Überprüfung rechtskräftiger Urteile können Justizirrtümer aufgedeckt und die Unschuld von zu Unrecht Verurteilten festgestellt werden. 
  • Stärkung des Vertrauens in die Justiz: Das Wiederaufnahmeverfahren trägt dazu bei, das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz zu stärken, indem es zeigt, dass das Rechtssystem in der Lage ist, Fehler zu erkennen und zu korrigieren. Dies kann dazu beitragen, die Legitimität und Glaubwürdigkeit der Justiz zu erhöhen. 
  • Wahrung der Rechtsstaatlichkeit: Das Wiederaufnahmeverfahren ist ein wesentliches Instrument der Rechtsstaatlichkeit, das sicherstellt, dass niemand zu Unrecht verurteilt wird und dass die Grundprinzipien eines fairen Verfahrens eingehalten werden. 

Wiederaufnahmeverfahren

Nachteile 

  • Zeit- und Ressourcenaufwand: Ein Wiederaufnahmeverfahren kann zeitaufwändig und kostspielig sein, da der Fall erneut überprüft wird und zusätzliche Ressourcen in Anspruch nimmt – sowohl von Seiten der Justiz als auch von Seiten der Beteiligten. 
  • Belastung für die Betroffenen: Ein Wiederaufnahmeverfahren kann eine emotionale Belastung für die Betroffenen darstellen, insbesondere für diejenigen, die zu Unrecht verurteilt wurden. Der erneute Durchgang durch das Strafverfahren kann traumatisch sein und zusätzlichen Stress verursachen. 
  • Risiko weiterer Ungerechtigkeiten: Obwohl das Wiederaufnahmeverfahren dazu dient, Gerechtigkeit wiederherzustellen, besteht immer das Risiko, dass auch im Rahmen dieses Verfahrens Fehler gemacht werden oder weitere Ungerechtigkeiten auftreten. 

Fazit 

Insgesamt stellt das Wiederaufnahmeverfahren nach §§ 359 ff. StPO eine wichtige rechtliche Möglichkeit dar, um sicherzustellen, dass Gerechtigkeit auch nach rechtskräftigen Urteilen gewährleistet wird. Es trägt zur Integrität und Wirksamkeit des Strafrechtssystems bei, indem es die Möglichkeit bietet, Fehler zu korrigieren und den Grundsätzen eines fairen Verfahrens gerecht zu werden. 

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