Nachstellung
Das Gefühl von Macht und Kontrolle über eine andere Person kann viele verschiedene Ausmaße annehmen und hin zum sogenannten strafbaren Stalking gem. § 238 Strafgesetzbuch (StGB) führen. Im folgenden Beitrag erfahren Sie, welche Voraussetzung erüllt sein müssen, um den Strafbestand geltend machen zu können und welche Strafen drohen können.

Die Nachstellung – geregelt in § 238 StGB – ist ein vergleichsweise junger, aber rechtlich hochkomplexer Straftatbestand. Im Zentrum steht der Schutz der persönlichen Lebensgestaltung vor gezielten, wiederholten Eingriffen durch Dritte. Für Beschuldigte kann der Vorwurf existenzielle Folgen haben: nicht nur strafrechtlich, sondern auch beruflich, sozial und familiär.
Gleichzeitig ist der Tatbestand in der Anwendung äußerst fehleranfällig – emotionale Konflikte werden schnell kriminalisiert. Genau hier setzt die professionelle Strafverteidigung an.
Tatbestand der Nachstellung – § 238 Abs. 1 StGB im Überblick
Der Grundtatbestand setzt vier zentrale Elemente voraus:
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Unbefugtes Nachstellen
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Beharrliches Verhalten
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Eignung zur schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung
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Vorsatz
Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen. Fehlt auch nur eines der Merkmale, entfällt die Strafbarkeit.
1. Unbefugtes Nachstellen – Tathandlungen nach Nr. 1 bis 5
Nr. 1: Aufsuchen der räumlichen Nähe
Z. B. wiederholtes Erscheinen an der Wohnung, am Arbeitsplatz oder an Orten, an denen sich die betroffene Person häufig aufhält.
Nr. 2: Kontaktaufnahme gegen den Willen
Etwa durch Telefonate, E-Mails, WhatsApp-Nachrichten, Briefe oder Einschaltung Dritter („Botschaften durch Freunde“).
Nr. 3: Missbrauch personenbezogener Daten
Typisch sind Fake-Bestellungen im Namen des Opfers oder Online-Kontaktanzeigen mit persönlichen Daten.
Nr. 4: Drohung mit schweren Rechtsgutsverletzungen
Z. B. mit Gewalt gegen das Opfer oder dessen Angehörige, mit Freiheitsentzug oder gesundheitlichem Schaden.
Nr. 5: Vergleichbare Handlungen
Ein Auffangtatbestand für systematische Überwachung, Ausspähen persönlicher Informationen, digitale Kontrolle oder öffentliche Bloßstellung.
2. Beharrlichkeit
Das Verhalten muss wiederholt und in bewusster Missachtung des Willens der betroffenen Person erfolgen. Eine einzelne Handlung – selbst wenn sie als unangenehm empfunden wird – erfüllt den Tatbestand in der Regel nicht.
3. Eignung zur schwerwiegenden Beeinträchtigung
Die Handlung muss objektiv geeignet sein, das Alltagsleben der betroffenen Person zu verändern. Etwa:
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Rückzug aus sozialen Kontakten
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Umzug oder Arbeitsplatzwechsel
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Dauerhafte Angstzustände
Eine rein subjektive Betroffenheit reicht nicht – es muss eine substanziell beeinträchtigte Lebensgestaltung vorliegen.
4. Vorsatz
§ 238 StGB ist ein Vorsatzdelikt. Das bedeutet: Der Täter muss die Voraussetzungen der Nachstellung wissentlich und willentlich erfüllen oder zumindest billigend in Kauf nehmen (Eventualvorsatz).
Qualifizierungen nach § 238 Abs. 2 und 3 StGB
Absatz 2 – Gefahr schwerer Gesundheitsschädigung
Wenn durch die Nachstellung konkrete Gesundheitsgefahren für das Opfer oder Angehörige entstehen, drohen 3 Monate bis 5 Jahre Freiheitsstrafe.
Absatz 3 – Todesfolge
Führt die Nachstellung zum Tod (z. B. durch Suizid), liegt eine sogenannte Erfolgsqualifikation vor. Die Strafe: 1 bis 10 Jahre Freiheitsstrafe.
Hier ist ein strenger Kausalitätsnachweis erforderlich – der Zusammenhang muss eindeutig feststellbar sein.
Abgrenzung: Nachstellung und Stalking – nicht dasselbe
Im Volksmund wird häufig von „Stalking“ gesprochen – juristisch aber gilt: Nur das Verhalten, das den Tatbestand des § 238 StGB erfüllt, ist strafbar.
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„Stalking“ bezeichnet ein psychologisch oder gesellschaftlich auffälliges Verhalten, ohne automatisch strafrechtlich relevant zu sein.
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„Nachstellung“ ist die präzise juristische Bezeichnung für das strafbare Verhalten – mit klar definierten Voraussetzungen.
Nicht jede lästige Kontaktaufnahme, nicht jede emotionale Eskalation ist strafbar. Der Strafverteidiger zeigt auf, wo die Grenzen zwischen unangemessenem Verhalten und justiziabler Nachstellung verlaufen.
Typische Konstellationen aus der Praxis
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Trennungssituationen: Einer will noch reden, der andere blockt – Strafanzeige folgt.
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Arbeitsumfeld: Persönliche Spannungen führen zu Vorwürfen der Überwachung oder Belästigung.
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Online-Konflikte: Stalking-Vorwürfe aufgrund digitaler Interaktionen, Profilaufrufe, Nachrichtenflut.
Hier ist oft nicht das Verhalten selbst, sondern die Interpretation ausschlaggebend – ein Ansatzpunkt für die Verteidigung.
Beweisprobleme und Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen
Die Strafverfolgung stützt sich häufig auf die Aussagen des angeblichen Opfers. Objektive Beweise fehlen. Das eröffnet Verteidigungsspielräume:
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Prüfung der Glaubwürdigkeit der Zeugin/des Zeugen
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Identifikation von Belastungstendenzen
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Analyse von Widersprüchen
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Technische Prüfung digitaler Beweise (z. B. WhatsApp-Verläufe, Standortdaten, Screenshots)
Ein erfahrener Strafverteidiger kennt die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung – und setzt gezielt Zweifel.
Verteidigungsstrategien im Strafverfahren
Frühzeitige Akteneinsicht
Nur wer die Beweislage kennt, kann sinnvoll reagieren. Aussagen ohne vorherige Akteneinsicht sind dringend zu vermeiden.
Kein Vorsatz – kein Tatbestand
War dem Beschuldigten bewusst, dass sein Verhalten unerwünscht ist? Gab es widersprüchliche Signale vom angeblichen Opfer?
Keine Beharrlichkeit – keine Wiederholung
Einmalige oder durch Zufall ausgelöste Kontakte sind kein strafbares Nachstellen.
Keine Beeinträchtigung – keine Strafbarkeit
Subjektives Unwohlsein reicht nicht – es muss eine ernsthafte Lebensveränderung des Opfers vorliegen.
Digitale Nachstellung: Neue Herausforderungen
Digitale Technologien ermöglichen neue Formen der Überwachung:
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Verfolgung per AirTag oder GPS-Tracker
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Überwachung sozialer Netzwerke
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Fake-Profile und Online-Bewertungen
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Veröffentlichung privater Daten
Gerade hier ist forensische Kompetenz gefragt – Verteidiger müssen mit Technik umgehen und Beweise hinterfragen können.
Gerichtliche Anforderungen an Verurteilungen
Viele Gerichte entscheiden zurückhaltend. Aussage-gegen-Aussage reicht nur, wenn das Gericht positive Überzeugungvon der Schuld gewinnt. Zweifel führen zur Einstellung oder zum Freispruch. Besonders im Frühstadium des Verfahrens (nach § 170 Abs. 2 StPO oder § 153 StPO) kann eine strategische Verteidigung entscheidend sein.
Fazit: Stalking-Vorwurf ist kein Schuldspruch
Ein Ermittlungsverfahren wegen Nachstellung ist belastend – aber auch eine Chance zur Verteidigung. Durch kluge Strategie, fundierte Argumentation und gezielte Beweisanträge lassen sich viele Verfahren zur Einstellung bringen. Wichtig: Schweigen bewahren, Strafverteidiger kontaktieren, Optionen prüfen.
FAQs – Häufig gestellte Fragen zur Nachstellung
Was ist der Unterschied zwischen Nachstellung und Stalking?
„Stalking“ ist ein umgangssprachlicher Begriff. Nur wenn das Verhalten alle Voraussetzungen des § 238 StGB erfüllt, ist es auch juristisch als Nachstellung strafbar.
Welche Strafe droht bei Nachstellung?
Im Grundfall bis zu 3 Jahre Freiheitsstrafe oder Geldstrafe. Bei Gesundheitsgefahr bis zu 5 Jahre, bei Todesfolge bis zu 10 Jahre.
Ist ein einmaliger Vorfall strafbar?
In der Regel nicht. § 238 StGB erfordert beharrliches, also wiederholtes Verhalten.
Wie kann ich mich gegen den Vorwurf verteidigen?
Durch frühzeitige anwaltliche Hilfe, Akteneinsicht, Schweigen gegenüber der Polizei und Prüfung der Beweislage.
Was tun bei einer Vorladung wegen Nachstellung?
Nicht hingehen, keine Aussage machen. Stattdessen: Verteidiger beauftragen, Akteneinsicht beantragen und strategisch reagieren.