Schwere Körperverletzung
Das Opfer erleidet durch die Körperverletzung erhebliche dauerhafte oder langfristige Folgen? Dann kann eine schwere Körperverletzung vorliegen. Welche Voraussetzungen bestehen müssen und welcher Strafrahmen droht, erfahren Sie im folgenden Beitrag.

Gesetzliche Grundlage: § 226 StGB
Die schwere Körperverletzung nach § 226 StGB ist ein besonders gravierender Straftatbestand im deutschen Strafrecht. Sie stellt eine sogenannte Qualifikation zur einfachen Körperverletzung (§ 223 StGB) dar – das heißt, sie setzt eine vorsätzliche Körperverletzung voraus und verschärft das Strafmaß deutlich, wenn besonders schwere gesundheitliche Folgen beim Opfer eintreten.
Während die gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) den Fokus auf das Tatmittel legt (z. B. Waffe, Gift, Hinterhalt), richtet sich § 226 StGB nach dem Schadensausmaß für das Opfer. Es zählt nicht das „Wie“, sondern das „Was“ – nämlich, welche dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigungen entstanden sind.
Tatbestand der schweren Körperverletzung
Der Straftatbestand setzt drei Elemente voraus:
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Vorsätzliche Körperverletzung im Sinne des § 223 StGB (z. B. Schlag, Tritt, Biss),
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Eintritt einer schweren Folge, die in § 226 Abs. 1 StGB näher bezeichnet ist,
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Kausalität zwischen der Handlung und der eingetretenen Folge.
Für die Grundtat reicht ein sogenannter Eventualvorsatz – der Täter muss die Verletzung zumindest billigend in Kauf genommen haben. Für die schwere Folge selbst genügt bereits Fahrlässigkeit (§ 18 StGB). Nur wenn auch diese vorsätzlich herbeigeführt wurde, greift § 226 Abs. 2 StGB mit einer noch strengeren Strafandrohung.
Die schweren Folgen im Detail (§ 226 Abs. 1 Nr. 1–3 StGB)
(Nr. 1) Verlust von Sinnes- oder Körperfunktionen
Hierzu zählen dauerhafte Beeinträchtigungen oder der vollständige Verlust von:
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Sehvermögen (z. B. durch Netzhautablösung nach einem Schlag)
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Hörvermögen (z. B. durch Trommelfellverletzung oder Innenohrschaden)
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Sprechvermögen (z. B. durch Schädigung des Kehlkopfs)
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Fortpflanzungsfähigkeit (z. B. durch schwere Gewalteinwirkung im Genitalbereich)
Die Einschränkung muss dauerhaft und erheblich sein. Eine temporäre Beeinträchtigung reicht nicht aus.
(Nr. 2) Verlust eines wichtigen Körperglieds oder dauerhafte Unbrauchbarkeit
Ein „wichtiges Körperglied“ ist ein durch Gelenke verbundener Körperteil mit zentraler Funktion, z. B.:
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Arme, Beine, Hände oder Füße,
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insbesondere der Daumen bei Greifbewegungen.
Auch ohne Amputation kann eine dauerhafte Funktionsunfähigkeit – etwa durch Nervenschädigung – diesen Tatbestand erfüllen.
(Nr. 3) Dauerhafte Entstellung, Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit
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Entstellung betrifft das äußere Erscheinungsbild – z. B. großflächige Narben im Gesicht oder der Verlust eines sichtbaren Körperteils.
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Siechtum beschreibt chronische, schwerwiegende Gesundheitszustände wie HIV oder Organversagen.
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Lähmung umfasst vollständige oder teilweise Bewegungsunfähigkeit, z. B. Querschnittslähmung.
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Geistige Krankheiten sind etwa Depressionen, PTBS oder hirnorganisch bedingte Einschränkungen.
Die genannten Folgen müssen irreversibel oder zumindest von langer Dauer sein, um die Voraussetzungen zu erfüllen.
Verhältnis zu anderen Körperverletzungsdelikten
Einfache Körperverletzung (§ 223 StGB)
Diese Form stellt den Grundtatbestand dar. Jede körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung fällt darunter – auch ohne dauerhafte Folge.
Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB)
Hier steht die Begehungsweise im Vordergrund – etwa der Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs oder einer Waffe. Die Folgen müssen nicht schwer sein.
Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB)
Wenn das Opfer an den Folgen der Körperverletzung stirbt – auch hier reicht Fahrlässigkeit in Bezug auf den Tod aus. Der Strafrahmen: 3 bis 15 Jahre Freiheitsstrafe.
Vorsatz und Fahrlässigkeit im Detail
Die Rechtsprechung unterscheidet fein zwischen dem Vorsatz für die Körperverletzung und der Fahrlässigkeit bezüglich der schweren Folge. Für eine Verurteilung nach § 226 Abs. 1 StGB genügt:
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Vorsatz für die Verletzungshandlung,
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Fahrlässigkeit für die schwere Folge.
Nur wenn beides vorsätzlich erfolgte, greift § 226 Abs. 2 StGB – mit einer Mindeststrafe von drei Jahren.
Beispiel: Ein Täter tritt einem anderen gegen das Knie. Die Kniescheibe splittert, das Bein bleibt dauerhaft beeinträchtigt. Auch wenn der Täter diese Folge nicht wollte, macht ihn das nicht straflos.
Der Versuch der schweren Körperverletzung
Ein Versuch ist bereits dann strafbar, wenn der Täter:
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zur Tat unmittelbar ansetzt (nach seiner Vorstellung von der Tat),
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und die schwere Folge für möglich hält und billigend in Kauf nimmt (Eventualvorsatz).
Der Versuch kann insbesondere dann zur Anklage führen, wenn medizinisches Eingreifen die Folgen gerade noch verhindern konnte.
Einwilligung des Opfers – § 228 StGB
Eine Körperverletzung kann durch wirksame Einwilligung gerechtfertigt sein. Dies gilt z. B. bei:
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sportlichen Auseinandersetzungen (Boxkampf, Fußball),
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medizinischen Eingriffen (Operationen),
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einvernehmlichen Praktiken (BDSM).
Die Einwilligung muss:
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ausdrücklich oder konkludent erklärt werden,
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freiwillig und bei klarem Bewusstsein erfolgen,
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nicht sittenwidrig sein (z. B. bei extremer Selbstgefährdung).
Strafrahmen und Strafzumessung
Je nach Schwere und Vorsatzstaffelung sieht § 226 StGB folgende Sanktionen vor:
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Grundfall (Abs. 1): Freiheitsstrafe von 1 bis 10 Jahren.
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Vorsatz bzgl. der schweren Folge (Abs. 2): nicht unter 3 Jahren.
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Minder schwerer Fall (Abs. 3): Freiheitsstrafe von 6 Monaten bis 5 Jahren.
Einflussfaktoren auf die Strafe
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Vorstrafen oder Strafregistereinträge
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Tatumstände (Affekt, Alkohol, Provokation)
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Reue oder Schadenswiedergutmachung
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Belastungen durch langes Verfahren
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Aussagen von Zeugen und medizinische Befunde
Ein erfahrener Strafverteidiger kann mit gezielter Argumentation eine Strafmilderung oder sogar eine Einstellungerreichen.
Bedeutung medizinischer Gutachten
Für den Nachweis der schweren Folge ist oft ein medizinisches Sachverständigengutachten entscheidend. Dieses klärt:
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Ob der Schaden dauerhaft ist
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Ob die Kausalität zur Körperverletzung besteht
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Ob eine psychische oder organische Erkrankung vorliegt
Verteidiger haben das Recht, ein eigenes Gutachten zu beantragen oder das Gericht auf Mängel im bestehenden Gutachten hinzuweisen.
Aktuelle Rechtsprechung und Fallbeispiele
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Schlägereien mit bleibenden Schäden (z. B. Verlust eines Auges) führen regelmäßig zu mehrjährigen Haftstrafen.
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Straßenrennen mit schweren Unfallfolgen: Gerichte erkennen zunehmend auch bei Verkehrstaten einen bedingten Vorsatz, wenn hohe Geschwindigkeiten bewusst in Kauf genommen wurden.
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Psychische Krankheiten nach Gewalt: Auch psychische Folgen können eine schwere Körperverletzung begründen, wenn sie nachweisbar sind (z. B. PTBS nach Misshandlungen).
Verjährung und Strafantrag
Die schwere Körperverletzung ist ein Offizialdelikt – das heißt, die Staatsanwaltschaft muss von Amts wegen ermitteln, sobald sie von der Tat Kenntnis erlangt.
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Ein Strafantrag durch das Opfer ist nicht erforderlich.
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Die Verjährung beträgt 10 Jahre.
Verteidigungsstrategien bei schwerer Körperverletzung
Ein spezialisierter Strafverteidiger wird:
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den Vorsatz infrage stellen,
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Kausalität und Dauerhaftigkeit der Folge prüfen lassen,
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Aussage-gegen-Aussage-Situationen rechtlich aufarbeiten,
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Gutachten anzweifeln oder Gegengutachten beibringen,
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und bei Zweifeln auf minder schwere Fälle oder fahrlässige Körperverletzung plädieren.
FAQs zur schweren Körperverletzung
1. Wann gilt eine Verletzung als „schwer“?
Wenn sie zu dauerhaften Folgen wie Lähmung, Blindheit, Unfruchtbarkeit oder entstellenden Narben führt.
2. Ist auch Fahrlässigkeit strafbar?
Ja – wenn die Körperverletzung vorsätzlich, die Folge aber fahrlässig herbeigeführt wurde, greift § 226 Abs. 1 StGB.
3. Wie hoch ist das Strafmaß bei schwerer Körperverletzung?
Freiheitsstrafe zwischen 1 und 10 Jahren. Bei Vorsatz hinsichtlich der schweren Folge: mindestens 3 Jahre.
4. Kann ich mich auf Einwilligung berufen?
Ja – bei medizinischen, sportlichen oder einvernehmlichen Handlungen, sofern die Einwilligung wirksam war.
5. Was kann ein Anwalt für mich tun?
Ein erfahrener Strafverteidiger kann Beweise angreifen, Gutachten anfechten und auf eine deutlich mildere rechtliche Einordnung hinwirken.