Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
Der „sexueller Missbrauch von Jugendlichen“ ist gem. § 182 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar. Dieser Strafbestand umfasst unterschiedliche Handlungen und Situationen. Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und welche Strafen drohen können, erfahren Sie im folgenden Beitrag.

Der Tatvorwurf des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen nach § 182 StGB zählt zu den schwerwiegendsten Anklagen im deutschen Strafrecht. Er betrifft nicht nur die rein strafrechtliche Bewertung eines sexuellen Kontakts, sondern entfaltet weitreichende Konsequenzen für das gesellschaftliche Ansehen, die berufliche Zukunft und die persönliche Existenz des Beschuldigten.
Umso wichtiger ist es, diese Norm nicht vorschnell moralisch, sondern sachlich-juristisch zu bewerten – auf Basis von Gesetz, Rechtsprechung und strafprozessualer Systematik.
Gesetzliche Grundlage: Der Wortlaut des § 182 StGB
Der § 182 StGB enthält mehrere Absätze, die verschiedene Fallgruppen unter Strafe stellen. Der vollständige Gesetzestext lautet (auszugsweise):
§ 182 StGB – Sexueller Missbrauch von Jugendlichen
(1) Wer eine sexuelle Handlung an einer Person unter achtzehn Jahren vornimmt, die sich in einer Zwangslage befindet, und diese Lage zur Vornahme der Handlung ausnutzt, wird bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer gegen Entgelt eine sexuelle Handlung vornimmt oder vornehmen lässt.
(3) Handelt es sich um eine Person unter sechzehn Jahren, so ist strafbar, wer als über 21-Jähriger deren fehlende Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt.
(4) Der Versuch ist strafbar.
Die Norm gliedert sich somit in drei Tatbestandsvarianten und enthält eine eigenständige Regelung zur Strafbarkeit des Versuchs.
Systematische Stellung im Sexualstrafrecht
§ 182 StGB steht zwischen dem „klassischen“ Kindesmissbrauch (§ 176 StGB) und den Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unter Erwachsenen. Die Norm schützt eine besonders schutzbedürftige Altersgruppe, deren Einwilligung in sexuelle Handlungen nicht per se strafbefreiend ist, sofern bestimmte Machtgefälle oder Manipulationslagen bestehen.
Diese Besonderheit macht die Anwendung juristisch anspruchsvoll – und anfällig für Fehlinterpretationen durch Ermittlungsbehörden.
Die drei Tatvarianten im Detail
1. Ausnutzen einer Zwangslage (§ 182 Abs. 1 StGB)
Die „Zwangslage“ ist nicht definiert – daher ist ihre Auslegung entscheidend.
Nach der Rechtsprechung des BGH ist eine Zwangslage anzunehmen, wenn der Jugendliche sich in einer objektiv bedrängenden Lebenssituation befindet, etwa:
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Obdachlosigkeit
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akute familiäre Krise
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wirtschaftliche Not
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emotionale Abhängigkeit
Subjektiv muss der Täter die Lage erkennen und gezielt ausnutzen, um sein Ziel zu erreichen. Es genügt nicht, dass der Jugendliche sich in einer schwierigen Situation befindet – ausschlaggebend ist, dass diese gezielt zur Erlangung sexueller Handlungen instrumentalisiert wird.
Verteidigungsansatz:
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Bestreiten der Kenntnis der Zwangslage
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Fehlen der Kausalität zwischen Situation und sexueller Handlung
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Einvernehmlichkeit als Ausdruck freier Selbstbestimmung
2. Sexuelle Handlungen gegen Entgelt (§ 182 Abs. 2 StGB)
Das „Entgelt“ ist weit auszulegen und umfasst jede geldwerte Gegenleistung.
Beispiele aus der Rechtsprechung:
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Bargeld, Drogen, Kleidung
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Geschenke oder Einladungen
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Versprechen beruflicher Vorteile („Casting-Falle“)
Die Rechtsprechung geht sogar so weit, mögliche Täuschungen über das Entgelt als strafbar einzustufen – auch wenn letztlich kein Entgelt geflossen ist. Entscheidend ist der Austauschcharakter: Der sexuelle Kontakt erfolgt, weil eine (auch nur vorgespiegelte) Gegenleistung in Aussicht steht.
Verteidigungsansatz:
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Nachweis, dass die sexuelle Handlung nicht durch das Entgelt motiviert war
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Fehlender Zusammenhang zwischen Vorteil und Handlung
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Kein Vorsatz bzgl. der Entgelt-Konstellation
3. Ausnutzen fehlender sexueller Selbstbestimmung (§ 182 Abs. 3 StGB)
Diese Variante setzt voraus, dass das Opfer unter 16 und der Täter über 21 Jahre alt ist. Zusätzlich muss das Opfer nicht in der Lage sein, Bedeutung und Tragweite der Handlung zu erkennen.
Klassische Fallgruppen sind:
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Geistige oder emotionale Unreife
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Entwicklungsverzögerung
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Abhängigkeit durch Autoritätsverhältnis
Hier liegt das rechtliche Problem in der Beweisbarkeit: Wann genau fehlt einem Jugendlichen die Fähigkeit zur sexuellen Selbstbestimmung? Die Gerichte legen hohe Maßstäbe an – die bloße Unerfahrenheit reicht nicht.
Verteidigungsansatz:
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Beibringung von Belegen über Reife und Einsichtsfähigkeit des Opfers
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Aufzeigen der Gleichwertigkeit der Beziehung (keine Machtausnutzung)
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Alter des Täters knapp über 21 → Möglichkeit der Verhältnismäßigkeitsprüfung
Objektive vs. subjektive Tatseite
Für alle Tatvarianten gilt: Vorsätzliches Handeln ist zwingende Voraussetzung. Der Täter muss:
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die tatsächlichen Umstände kennen (Alter, Lage, Reifegrad)
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wissen, dass sie strafrechtlich relevant sein könnten
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die sexuelle Handlung gezielt durchführen
Eventualvorsatz genügt – wenn also der Täter die Umstände erkennt, aber „billigend in Kauf“ nimmt, dass sie strafbar sein könnten.
Verteidigungstaktik:
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Fehlen des Vorsatzes glaubhaft machen
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Irrtum über das Alter (§ 17 StGB – Verbotsirrtum / § 16 StGB – Tatbestandsirrtum)
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Subjektive Einschätzung der Situation plausibel schildern
Der Versuch (§ 182 Abs. 4 StGB)
Der Versuch ist strafbar – das bedeutet: Wer „nach seiner Vorstellung zur Tat ansetzt“, macht sich bereits strafbar, auch wenn es nicht zur eigentlichen Handlung kommt.
Beispiel: Ein Täter schreibt einem 15-Jährigen Nachrichten mit sexuellen Inhalten und bietet Geld für ein Treffen an – auch wenn dieses nicht stattfindet, ist dies strafbar.
Verteidigungsmöglichkeiten:
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Bestreiten der Ernsthaftigkeit der Handlung
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Rücktritt vom Versuch (§ 24 StGB)
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Kein unmittelbares Ansetzen nach Tätervorstellung
Prozessuale Aspekte: Strafverfolgung, Antragserfordernis, Beweislast
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§ 182 Abs. 1 und 2: Offizialdelikte → Polizei ermittelt automatisch
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§ 182 Abs. 3: Relatives Antragsdelikt → Strafantrag erforderlich, es sei denn: öffentliches Interesse
In allen Fällen liegt die Beweislast bei der Staatsanwaltschaft – der Tatnachweis muss zweifelsfrei gelingen. Gerade bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen ist die Glaubhaftigkeitsprüfung der Zeugenaussage zentral.
Rechtsprechung: BGH und Instanzgerichte
Der Bundesgerichtshof hat mehrfach entschieden, dass bei § 182 nicht jede Unausgewogenheit zwischen Täter und Opfer zur Strafbarkeit führt. Es muss ein gezieltes Ausnutzen oder ein manipulativer Einfluss vorliegen.
Beispielhafte Entscheidungen:
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BGH, Urteil vom 28.10.2009 – 2 StR 375/09: Zur Auslegung der Zwangslage bei Abhängigkeit von Pflegepersonen
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BGH, Urteil vom 09.04.2014 – 2 StR 616/13: Zur Definition der sexuellen Selbstbestimmungsunfähigkeit
Verteidigungsstrategien – strukturiert und wirksam
Ein erfahrener Strafverteidiger wird bei einem § 182-Vorwurf:
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Umfassende Akteneinsicht beantragen
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Die Glaubhaftigkeit der Aussage prüfen lassen (ggf. durch Gutachten)
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Mögliche Zweifel an den Tatbestandsmerkmalen aufzeigen
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Beweisverwertungsverbote geltend machen
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Eine Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO (mangels hinreichendem Tatverdacht) anstreben
Ein besonders heikler Aspekt ist die Verteidigung gegen emotionale Vorverurteilung – hier braucht es einen klaren, ruhigen, aber entschlossenen Auftritt.
Fazit: Der rechtliche Blick auf § 182 StGB erfordert Präzision und Sachlichkeit
Sexueller Missbrauch von Jugendlichen ist ein sensibles, komplexes und emotional aufgeladenes Delikt. Doch gerade hier ist es von größter Bedeutung, dass Ermittlungen und Urteile nicht von moralischer Empörung, sondern von juristischer Sorgfalt geleitet werden.
Ein erfahrener Strafverteidiger kennt nicht nur die dogmatischen Feinheiten des Sexualstrafrechts, sondern auch die psychologischen und sozialen Dimensionen, die eine solche Anschuldigung mit sich bringt.
FAQ – Juristische Klarstellungen zu § 182 StGB
Was ist eine „Zwangslage“ im Sinne des § 182 Abs. 1 StGB?
Eine Situation persönlicher oder wirtschaftlicher Not, die der Täter gezielt ausnutzt, um sexuelle Handlungen zu erlangen.
Gilt „Entgelt“ auch bei Geschenken oder Versprechen?
Ja – auch immaterielle Vorteile oder bloße Versprechungen können Entgelt darstellen.
Wie lässt sich fehlende sexuelle Selbstbestimmung feststellen?
Durch Einschätzung von Reife, Einsichtsfähigkeit, emotionale Entwicklung – ggf. mit Hilfe von Gutachten.
Kann ich mich auf Irrtum berufen?
Ja – ein tatsächlicher Irrtum über das Alter oder die Strafbarkeit kann den Vorsatz entfallen lassen.
Was tun bei einer Vorladung oder Hausdurchsuchung?
Unverzüglich anwaltlichen Beistand einschalten – keine Aussagen machen – Verteidigungsstrategie entwickeln lassen.