Adhäsionsverfahren
Das Adhäsionsverfahren kann für Angeklagte zur finanziellen Falle werden: Neben der strafrechtlichen Verteidigung drohen gleichzeitig hohe Schadensersatz- und Schmerzensgeldforderungen – und das direkt im Strafprozess. Doch welche Risiken bestehen? Wie können Sie sich effektiv verteidigen?

Das Adhäsionsverfahren stellt für viele Angeklagte eine unerwartete Hürde dar. Während sie sich bereits gegen strafrechtliche Vorwürfe verteidigen müssen, können mutmaßliche Geschädigte gleichzeitig Schmerzensgeld und Schadensersatz fordern – und das direkt innerhalb des Strafverfahrens.
Doch welche Risiken drohen wirklich? Gibt es eine Strategie, um die Forderungen zu minimieren oder ganz abzuwehren? Und wie beeinflusst das Adhäsionsverfahren das Strafverfahren selbst?
In diesem Artikel erfahren Sie alles über das Adhäsionsverfahren, wie Sie sich am besten verteidigen und welche Rolle ein erfahrener Strafverteidiger dabei spielt.
Rechtliche Grundlagen und Relevanz
Das Adhäsionsverfahren in der Strafprozessordnung (StPO)
Geregelt in den §§ 403 bis 406c StPO, dient das Adhäsionsverfahren dazu, zivilrechtliche Ansprüche innerhalb eines Strafverfahrens zu klären.
Für Angeklagte bedeutet das: Neben dem drohenden Strafurteil kann auch ein Urteil über Schadensersatz und Schmerzensgeld gefällt werden. Anders als im Zivilprozess gelten hier jedoch vereinfachte Regeln, was das Risiko für den Angeklagten erhöht.
Ein Strafgericht ist eigentlich darauf spezialisiert, über strafrechtliche Schuld zu entscheiden – nicht aber über die Höhe von Schadensersatzforderungen. Trotzdem kommt es immer häufiger vor, dass Gerichte Adhäsionsanträge nicht auf den Zivilrechtsweg verweisen, sondern direkt darüber entscheiden.
Beispiel aus der Praxis
Ein Mann wird wegen Körperverletzung angeklagt. Neben der strafrechtlichen Anklage stellt das mutmaßliche Opfer einen Adhäsionsantrag auf 10.000 € Schmerzensgeld. Das Strafgericht entscheidet:
- Verurteilung wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe
- Schmerzensgeld in Höhe von 5.000 € wird im Urteil mit ausgeurteilt
Hätte der Angeklagte einen eigenen Anwalt beauftragt, hätte dieser möglicherweise die Höhe des Schmerzensgeldes erfolgreich anfechten oder das Gericht dazu bewegen können, den Adhäsionsantrag abzuweisen.
Ablauf des Adhäsionsverfahrens
Wer kann einen Antrag stellen?
Ein Adhäsionsantrag kann gestellt werden von:
- Geschädigten einer Straftat (z. B. bei Diebstahl, Körperverletzung, Betrug)
- Erben des Geschädigten, falls dieser verstorben ist
Der Antrag muss bis spätestens zu den Plädoyers gestellt werden.
Welche Ansprüche können geltend gemacht werden?
Folgende Ansprüche sind im Adhäsionsverfahren möglich:
- Schmerzensgeld
- Ersatz materieller Schäden (z. B. Reparaturkosten, Behandlungskosten)
- Erstattung von Anwaltskosten
Wie entscheidet das Gericht?
Das Gericht kann:
- Den Antrag direkt bewilligen, wenn die Ansprüche klar sind
- Den Antrag ablehnen, wenn eine umfangreiche Beweisaufnahme nötig wäre
- Den Antragsteller auf den Zivilrechtsweg verweisen
Adhäsionsverfahren ohne Anwalt – Welche Risiken bestehen?
Benötige ich einen Anwalt?
Es besteht kein Anwaltszwang. Doch ohne einen Verteidiger kann es sein, dass:
- Zu hohe Forderungen durchgesetzt werden, weil keine Einwände erhoben werden
- Beweisanträge nicht gestellt werden, die helfen könnten, den Antrag abzuwehren
- Vergleichsmöglichkeiten übersehen werden
Risiken bei fehlender Verteidigung
- Schadensersatzforderungen werden ungeprüft übernommen
- Ein Urteil mit Schmerzensgeld kann eine spätere zivilrechtliche Verteidigung erschweren
- Der Angeklagte trägt womöglich hohe Verfahrenskosten
Rolle des Pflichtverteidigers im Adhäsionsverfahren
Falls ein Pflichtverteidiger bestellt wird, kann dieser auch die Verteidigung im Adhäsionsverfahren übernehmen. Allerdings hängt das stark vom Einzelfall ab.
Tipp: Falls der Pflichtverteidiger nicht tätig wird, sollte ein zusätzlicher Fachanwalt für Zivilrecht hinzugezogen werden.
Kosten und Gebühren im Adhäsionsverfahren
Wer trägt die Kosten?
- Verurteilung des Angeklagten → Er zahlt Verfahrenskosten
- Freispruch des Angeklagten → Antragsteller trägt die Kosten
- Teilweise Abweisung des Adhäsionsantrags → Gericht kann Kosten aufteilen
Einigungsgebühr und finanzielle Folgen
Kommt es zu einer außergerichtlichen Einigung, fällt nach dem RVG eine Einigungsgebühr an, die zusätzlich bezahlt werden muss.
Nachteile des Adhäsionsverfahrens für den Angeklagten
1. Doppelbelastung: Strafrechtliche und zivilrechtliche Verteidigung gleichzeitig erforderlich
2. Beweisprobleme: Ein Schuldspruch kann zivilrechtliche Ansprüche untermauern
3. Prozessrisiko: Ein einmal bewilligter Anspruch kann schwer angefochten werden
Strategien zur Verteidigung im Adhäsionsverfahren
- Verzögerungstaktik: Antrag als zu komplex darstellen → Gericht verweist auf den Zivilrechtsweg
- Beweisanforderungen anheben: Kläger muss seinen Anspruch detailliert nachweisen
- Vergleichsangebot: Geringere Zahlung aushandeln, um hohe Summen zu vermeiden
- Verfahrensfehler prüfen: Fehlerhafte Anträge oder Begründungen anfechten
Fazit: Lohnt sich die Verteidigung?
Das Adhäsionsverfahren kann eine finanzielle Falle für Angeklagte sein. Wer sich nicht rechtzeitig verteidigt, riskiert hohe Schadensersatzzahlungen. Eine frühzeitige anwaltliche Beratung kann helfen, Ansprüche abzuwehren oder zu minimieren.
FAQs zum Adhäsionsverfahren
1. Kann ich gegen einen Adhäsionsbeschluss vorgehen?
Ja, aber nur per Revision, nicht per Berufung.
2. Was passiert mit dem Adhäsionsantrag, wenn ich freigesprochen werde?
Er wird automatisch abgewiesen.
3. Lohnt sich ein Vergleich im Adhäsionsverfahren?
Ja, wenn dadurch höhere Zahlungen vermieden werden können.
4. Welche Rolle spielt der Pflichtverteidiger?
Er kann den Adhäsionsantrag prüfen, aber oft ist ein zusätzlicher Anwalt sinnvoll.
5. Ist ein Adhäsionsantrag bindend für ein späteres Zivilverfahren?
Ja, eine Verurteilung kann im Zivilprozess als Grundlage dienen.