Besonders schwerer Diebstahl
Bestimmte Umstände hinsichtlich eines Diebstahls führen zu einem verschärften Strafrahmen des „einfachen“ Diebstahls nach § 243 StGB. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und welche Strafe droht, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Der Diebstahl gehört zu den zentralen Vermögensdelikten im deutschen Strafrecht. In besonders verwerflichen Fällen sieht der Gesetzgeber eine verschärfte Sanktionierung vor – den sogenannten besonders schweren Fall des Diebstahls nach § 243 StGB. Dieser Artikel analysiert die Voraussetzungen dieser Qualifikation aus strafrechtlicher, systematischer und dogmatischer Perspektive – und zeigt auf, was Betroffene wissen und wie sich Verteidiger strategisch positionieren müssen.
Dogmatische Einordnung des § 243 StGB
§ 243 StGB stellt kein eigenständiges Delikt, sondern eine Qualifikation des Diebstahls nach § 242 StGB dar. Die Norm enthält sogenannte Regelbeispiele, die bei Vorliegen den Diebstahl in der Regel als „besonders schwer“ qualifizieren. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Tatbestandsmerkmale im engeren Sinne, sondern um Indizien für eine erhöhte Schuld und Gefährlichkeit.
Die Einordnung als Regelbeispiel hat insbesondere prozesstaktische Relevanz: Die Staatsanwaltschaft und das Gericht sind nicht an die bloße Nennung der Regelbeispiele gebunden, sondern können auch „außergewöhnliche Umstände“ als Grundlage für die Qualifikation heranziehen – sofern diese in Schwere und Charakter vergleichbar sind.
Systematik: Zusammenspiel mit § 242 und § 244 StGB
§ 243 StGB steht systematisch zwischen dem Grundtatbestand des § 242 StGB und dem besonders schweren bewaffneten Diebstahl nach § 244 StGB. Die Norm dient dabei als „mittleres Eskalationsniveau“:
- § 242 StGB: Grundtatbestand, auch mit Geldstrafe
- § 243 StGB: Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren
- § 244 StGB: Qualifikationen mit Waffe, Bande oder Wohnungseinbruch, Mindeststrafe 6 Monate
Im Unterschied zu § 244 StGB handelt es sich bei § 243 nicht um echte Qualifikationstatbestände, sondern um eine Strafzumessungsregel, was die Verteidigung strategisch nutzen kann.
Tatbestandsvoraussetzungen im Detail
Wegnahmehandlung
Der Täter muss nach wie vor einen Diebstahl nach § 242 StGB verwirklicht haben, das heißt eine fremde, bewegliche Sache in Zueignungsabsicht weggenommen haben. Die Wegnahme ist klassisch definiert als Bruch fremden und Begründung neuen, nicht notwendig tätereigenen Gewahrsams.
Verwirklichung eines Regelbeispiels
Die häufigsten Konstellationen sind:
- Einbrechen, Einsteigen, Eindringen mit falschem Schlüssel (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1)
- Besonders gesicherte Behältnisse (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2)
- Gewerbsmäßigkeit (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3)
- Sakrale Orte und öffentliche Ausstellungen (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, 5)
- Unglücksstätten und gemeine Gefahr (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6)
- Waffen und Sprengstoff (§ 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7)

Subjektives Element: Vorsatz
Der Täter muss die objektiven Merkmale der Regelbeispiele vorsätzlich erfüllen. Bei juristisch anspruchsvollen Sachverhalten – etwa beim gewerbsmäßigen Handeln – ist zu prüfen, ob der Täter überhaupt eine auf Dauer angelegte Einnahmequelle beabsichtigte. Die Gerichte fordern hierfür eine gewisse Nachhaltigkeit und Wiederholungsabsicht – bloße Gewinnorientierung reicht nicht aus.
Rechtsprechung: Typische Fallkonstellationen
Die Gerichte haben eine Vielzahl von Präzedenzfällen geschaffen, die für die juristische Bewertung herangezogen werden:
- BGH, 5 StR 224/14: Ein Täter, der mit einem gestohlenen Generalschlüssel mehrmals in ein Lager eindrang, handelte gewerbsmäßig und verwirklichte mehrere Regelbeispiele.
- OLG Hamm, 1 RVs 31/19: Der Diebstahl aus einem verschlossenen Handschuhfach wurde als besonders schwer eingestuft – trotz geringem Beutewert.
- LG Berlin, 502 KLs 17/22: Die bloße Anwesenheit eines Täters bei einem gewerbsmäßig agierenden Dritten reichte nicht aus, um die Gewerbsmäßigkeit auf ihn zu übertragen.
Diese Urteile zeigen, wie differenziert Gerichte bei der Auslegung der Merkmale vorgehen – und wie wichtig es ist, jedes Regelbeispiel detailliert anzufechten.
Ausschlussgründe: Geringwertigkeit und Strafantrag
Geringwertigkeit (§ 243 Abs. 2 StGB)
Ist die entwendete Sache geringwertig, greift die Strafschärfung nicht. Die Schwelle liegt regelmäßig bei 50 Euro. Allerdings kommt es sowohl auf objektive Kriterien (Marktwert) als auch auf subjektive Kriterien (Bedeutung für den Täter) an. Gerichte erkennen bei:
- gebrauchten Alltagsgegenständen (z. B. benutzte Schuhe, Zahnbürste)
- Sachen ohne messbaren Marktwert (z. B. Gerichtsakten)
meist keine Geringwertigkeit an – mit enormen Konsequenzen für das Strafmaß.
Strafantrag bei § 247 StGB
Handelt es sich bei dem Geschädigten um einen Angehörigen, einen Mitbewohner oder den Betreuer des Täters, muss ein Strafantrag gestellt werden. Erfolgt dieser nicht, wird das Verfahren eingestellt. Gerade bei familiären Auseinandersetzungen oder Wohngemeinschaften kann diese Norm zur Entlastung des Beschuldigten führen.
Verhältnis zu § 244 StGB – Abgrenzungsfragen
Wird zusätzlich zur Tatbegehung eine Waffe mitgeführt oder im Team gearbeitet, kann der Straftatbestand des § 244 StGB (besonders schwerer Diebstahl mit Waffen oder als Bande) erfüllt sein. Hier steigen die Strafandrohungen nochmals.
Die Verteidigung muss daher frühzeitig prüfen:
- Lag tatsächlich eine Waffe im Sinne des Waffengesetzes vor?
- Besteht eine Bandenabrede, die über bloße gemeinsame Tat hinausgeht?
- War der Mittäter nur Mitwisser oder aktiver Teilnehmer?
Oft lässt sich durch gezielte Argumentation eine Rückstufung auf § 243 erreichen – mit erheblichen Strafmilderungen.
Verfassungsrechtliche und kriminalpolitische Bewertung
§ 243 StGB ist nicht unumstritten. Kritiker bemängeln:
- die Unbestimmtheit der Regelbeispiele
- die teils drastischen Strafen bei Bagatelldelikten
- den Ausschluss der Geldstrafe bei geringen Beutewerten
Das Bundesverfassungsgericht hat die Norm bislang nicht beanstandet, betont aber die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Einzelfall. Gerade dies eröffnet Ansatzpunkte für geschickte Verteidiger: Wer die Individuelle Schuld des Täters und die Unverhältnismäßigkeit der Strafe darlegt, kann mildernde Umstände geltend machen.

Verteidigungsstrategien auf einen Blick
Ein spezialisierter Strafverteidiger wird:
- die Verwirklichung der Regelbeispiele in Zweifel ziehen
- die Geringwertigkeit argumentieren
- Fehlenden Vorsatz oder Irrtum geltend machen
- prozessuale Fehler (z. B. fehlender Strafantrag) prüfen
- eine Einlassung zur Sache nur strategisch und schriftlich vorbereiten
Auch die Kooperation mit der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren, verbunden mit Wiedergutmachung oder Täter-Opfer-Ausgleich, kann die Strafe signifikant reduzieren.
FAQs – Besonders schwerer Fall des Diebstahls (§ 243 StGB)
Was ist ein besonders schwerer Fall des Diebstahls nach § 243 StGB?
Ein besonders schwerer Fall liegt vor, wenn ein Diebstahl unter erschwerenden Umständen begangen wird – etwa durch Einbruch, die Verwendung eines falschen Schlüssels, bei gewerbsmäßigem Vorgehen oder bei Diebstahl besonders gesicherter Sachen. Diese Umstände nennt das Gesetz „Regelbeispiele“, sie erhöhen das Unrecht und führen zu einer strengeren Strafe.
Welche Strafe droht bei einem besonders schweren Diebstahl?
Nach § 243 StGB droht eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu zehn Jahren. Eine Geldstrafe ist gesetzlich ausgeschlossen. Das bedeutet: Selbst bei erstmaliger Tatbegehung und geringem Schaden ist eine Freiheitsstrafe grundsätzlich vorgesehen – allerdings kann diese zur Bewährung ausgesetzt werden.
Wann liegt keine Strafbarkeit nach § 243 StGB vor?
Ein besonders schwerer Fall ist ausgeschlossen, wenn die gestohlene Sache geringwertig war (i. d. R. unter 50 Euro) und keine außergewöhnlich verwerflichen Umstände vorliegen. Auch bei Straftaten unter engen Angehörigen ist unter Umständen ein Strafantrag erforderlich, ohne den keine Strafverfolgung erfolgt (§ 247 StGB).
Was bedeutet „gewerbsmäßiger Diebstahl“ genau?
Gewerbsmäßigkeit liegt vor, wenn sich der Täter durch wiederholte Diebstähle eine dauerhafte Einnahmequelle verschaffen will. Es reicht also nicht, gelegentlich oder spontan etwas zu entwenden. Vielmehr ist eine planvolle und auf Wiederholung angelegte Vorgehensweise erforderlich – was durch Aktenlage, Zeugenaussagen oder Vorstrafen belegt werden muss.
Wie kann ein Strafverteidiger bei § 243 StGB helfen?
Ein spezialisierter Strafverteidiger kann prüfen, ob tatsächlich ein Regelbeispiel verwirklicht wurde, ob Geringwertigkeit vorliegt oder ob der Vorsatz fehlt. Er wird Akteneinsicht nehmen, entlastende Argumente einbringen und die Einlassung des Mandanten strategisch planen. Ziel ist es, entweder eine Einstellung des Verfahrens oder eine Strafmilderung zu erreichen – z. B. durch den Verzicht auf die Qualifikation nach § 243 StGB.