Häusliche Gewalt
Ein Vorwurf häuslicher Gewalt kann drastische strafrechtliche und persönliche Konsequenzen haben – von Geld- oder Freiheitsstrafen bis hin zu Kontaktverboten und Sorgerechtsverlust. Doch nicht jede Anzeige führt automatisch zu einer Verurteilung. Welche rechtlichen Grundlagen gelten? Wie läuft ein Verfahren ab?

Häusliche Gewalt ist ein zentrales Thema im deutschen Strafrecht. Sie umfasst eine Vielzahl von strafbaren Handlungen, die in engen sozialen Beziehungen stattfinden – typischerweise in Ehen, Partnerschaften oder familiären Strukturen. Juristisch betrachtet stellt häusliche Gewalt ein Konglomerat verschiedener Delikte dar, deren Einordnung, Verfolgung und Sanktionierung spezifische Herausforderungen mit sich bringt. Dieser Artikel analysiert die wichtigsten strafrechtlichen Aspekte umfassend und fundiert.
Was versteht man unter häuslicher Gewalt?
Häusliche Gewalt ist kein eigenständiger Straftatbestand, sondern ein Oberbegriff für rechtswidrige Handlungen innerhalb häuslicher oder familiärer Beziehungen. Relevante Taten können physischer, psychischer, sexueller, wirtschaftlicher oder sozialer Natur sein.
Formen der Gewalt:
- Körperlich: Schläge, Würgen, Festhalten
- Psychisch: Bedrohung, Demütigung, Kontrolle
- Sexuell: Erzwungene Handlungen trotz Partnerschaft
- Sozial: Isolation, Bewegungsverbot
- Ökonomisch: Kontrolle über Konten oder finanzielle Abhängigkeit
Zentrale Straftatbestände bei häuslicher Gewalt
Körperverletzung (§ 223 StGB)
Der Basistatbestand jeder physischen Misshandlung. Bereits eine Ohrfeige oder ein Schubser können ausreichen.
- Strafrahmen: Geldstrafe bis 5 Jahre Freiheitsstrafe
- Antragsdelikt, kann bei öffentlichem Interesse auch ohne Antrag verfolgt werden
Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB)
Bei Einsatz eines gefährlichen Werkzeugs, durch gemeinschaftliches Handeln oder hinterlistige Vorgehensweise.
- Strafrahmen: 6 Monate bis 10 Jahre
Schwere Körperverletzung (§ 226 StGB)
Wenn die Tat zu schweren dauerhaften Schäden führt (z. B. Verlust von Sinnesorganen, Entstellung).
- Strafrahmen: Freiheitsstrafe nicht unter 3 Jahren
Freiheitsberaubung (§ 239 StGB)
Das Einsperren oder Festhalten gegen den Willen des Opfers.
- Strafrahmen: Geldstrafe bis 5 Jahre Haft
Nötigung (§ 240 StGB)
Erzwingen eines Verhaltens durch Drohung oder Gewalt. Im Beziehungsbereich häufig bei Trennungssituationen.
- Strafrahmen: Geldstrafe bis 3 Jahre Freiheitsstrafe
Bedrohung (§ 241 StGB)
Androhung eines Verbrechens gegen Leib oder Leben – auch ohne Umsetzung.
- Strafrahmen: Geldstrafe bis 1 Jahr Freiheitsstrafe
Sexuelle Übergriffe und Vergewaltigung (§ 177 StGB)
Jede sexuelle Handlung gegen den erkennbaren Willen des Partners ist strafbar – auch in einer Ehe.
- Strafrahmen: 6 Monate bis 15 Jahre, je nach Schwere und Vorverurteilung
Strafrechtliche Besonderheiten bei häuslicher Gewalt
Offizialdelikt vs. Antragsdelikt
Einige Delikte (z. B. einfache Körperverletzung) sind Antragsdelikte. Das Verfahren wird nur bei Strafantrag oder bei öffentlichem Interesse eingeleitet. Gefährliche Körperverletzung, Vergewaltigung oder Bedrohung sind Offizialdelikte – sie werden stets verfolgt.
Ermittlungszwang (§ 152 StPO)
Polizei und Staatsanwaltschaft sind zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verpflichtet, sobald ein Anfangsverdacht besteht – unabhängig von Rücknahme oder Wunsch des Opfers.

Parallelmaßnahmen durch das Gewaltschutzgesetz (GewSchG)
Zivilrechtlich können durch das Familiengericht Schutzmaßnahmen verhängt werden:
- Näherungs- und Kontaktverbot
- Wohnungsverweis
- Umgangsausschluss bei Kindern
Ein Verstoß ist nach § 4 GewSchG strafbar.
Strafzumessung und Strafrahmen
Die Strafe hängt von zahlreichen Faktoren ab:
- Schwere der Tat
- Vorgeschichte (z. B. Wiederholungstäter)
- Motivlage
- Verhalten nach der Tat (z. B. Reue, Täter-Opfer-Ausgleich)
Übersicht Strafrahmen:
Tatbestand | Strafrahmen |
---|---|
Körperverletzung (§ 223 StGB) | Geldstrafe bis 5 Jahre |
Gefährliche Körperverletzung (§ 224) | 6 Monate bis 10 Jahre |
Schwere Körperverletzung (§ 226) | Nicht unter 3 Jahren |
Freiheitsberaubung (§ 239) | Geldstrafe bis 5 Jahre |
Nötigung (§ 240) | Geldstrafe bis 3 Jahre |
Bedrohung (§ 241) | Geldstrafe bis 1 Jahr |
Vergewaltigung (§ 177) | 6 Monate bis 15 Jahre |
Entscheidung des BGH: Der „Haustyrannenmord“
Der Fall (BGHSt 48, 255):
Eine über Jahrzehnte misshandelte Frau erschoss ihren Ehemann im Schlaf. Die Tat war heimtückisch, da das Opfer schlief. Der BGH hob das Urteil der Vorinstanz auf und forderte eine Prüfung des entschuldigenden Notstands (§ 35 StGB).

Juristische Bewertung:
- Notwehr (§ 32 StGB): nicht gegeben, da kein gegenwärtiger Angriff
- Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB): nicht möglich, da Leben nicht gegen Leben abgewogen werden darf
- Entschuldigender Notstand (§ 35 StGB): möglich, wenn Gefahr für Leib und Leben bestand
- Auch unvermeidbarer Irrtum kann die Schuld mindern
Relevanz:
Der Fall zeigt die Bedeutung der psychischen Zwangslage bei langjähriger Gewalt – auch bei objektiv schweren Taten.
Prozessuale Besonderheiten und Ablauf
- Ermittlungsverfahren: Einleitung durch Polizei oder Staatsanwaltschaft, ggf. Wohnungsverweis, Gewahrsam
- Anklage durch Staatsanwaltschaft: oder Einstellung bei geringer Schuld / fehlender Beweise
- Hauptverhandlung: Beweisaufnahme, Zeugen, ggf. Gutachten
- Urteil: Verurteilung, Freispruch oder Einstellung
- Rechtsmittel: Berufung oder Revision möglich
Weitere strafrechtliche Aspekte
Täter-Opfer-Ausgleich (§ 46a StGB)
Ein möglicher Weg zur Milderung der Strafe, etwa durch Entschuldigung oder Wiedergutmachung.
Verjährungsfristen
- Körperverletzung: 5 Jahre
- Gefährliche Körperverletzung: 10 Jahre
- Sexuelle Delikte: bis zu 20 Jahre, je nach Opferalter
Eintrag ins Führungszeugnis
- Ab 90 Tagessätzen oder 3 Monaten Haft
- Relevanz für Arbeitsrecht, Beamtenstatus, Waffenbesitz
Fazit: Häusliche Gewalt – Ein Prüfstein für Strafjustiz und Gesellschaft
Häusliche Gewalt ist juristisch kein Randthema. Sie verlangt differenzierte strafrechtliche Bewertung, präzise Subsumtion und oft eine sensible Abwägung zwischen individueller Schuld, Beziehungskonflikt und gesellschaftlichem Schutzauftrag. Die Komplexität der Fallkonstellationen erfordert besonders qualifizierte juristische Bearbeitung – sowohl auf Seiten der Ermittlungsbehörden als auch der Gerichte.
FAQs zur strafrechtlichen Behandlung häuslicher Gewalt
1. Ist häusliche Gewalt ein eigener Straftatbestand?
Nein. Es handelt sich um einen Oberbegriff, unter den verschiedene Delikte wie Körperverletzung, Nötigung oder Bedrohung fallen.
2. Wird bei häuslicher Gewalt immer automatisch ermittelt?
Ja, sobald Polizei oder Staatsanwaltschaft Kenntnis erhalten, muss ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden.
3. Können auch Männer Opfer häuslicher Gewalt sein?
Ja. Auch Männer können sowohl Opfer als auch Täter sein. Das Strafrecht ist geschlechtsneutral.
4. Was passiert bei Verstoß gegen ein Kontaktverbot?
Ein Verstoß gegen gerichtliche Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz ist strafbar (§ 4 GewSchG).
5. Wann verjährt häusliche Gewalt?
Je nach Tat – einfache Körperverletzung nach 5 Jahren, gefährliche nach 10 Jahren, Vergewaltigung teilweise nach 20 Jahren.