Straftaten aus Gruppen
Wer sich in einer Gruppe befindet, aus der heraus eine Straftat begangen wird, kann strafrechtlich belangt werden – selbst wenn er nicht direkt an der Tat beteiligt war. Doch welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Verurteilung nach § 184j StGB droht? Welche Strafen sind möglich, und wie kann man sich als Beschuldigter verteidigen?

Das deutsche Strafrecht kennt zahlreiche Vorschriften, die das Verhalten in Gruppen unter Strafe stellen. Ein besonders umstrittener Paragraf ist § 184j StGB, der sogenannte Straftaten aus Gruppen erfasst. Dieser 2017 eingeführte Tatbestand kann dazu führen, dass Personen bestraft werden, die selbst keine Straftat begangen haben, aber Teil einer Gruppe waren, aus der heraus eine Straftat verübt wurde.
Doch was genau bedeutet das für Beschuldigte? Welche rechtlichen Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine Verurteilung nach § 184j StGB erfolgen kann? Welche Strafen drohen? Und welche Verteidigungsstrategien gibt es?
In diesem Artikel erhalten Sie eine umfassende Analyse dieses Straftatbestands, seine Konsequenzen und mögliche Verteidigungsansätze.
Gesetzliche Grundlage: § 184j StGB im Fokus
Bedeutung und Zweck der Norm
§ 184j StGB wurde als Reaktion auf die Kölner Silvesternacht 2015 eingeführt, bei der zahlreiche Frauen Opfer sexueller Übergriffe wurden. Die Ermittlungen gestalteten sich schwierig, da viele der Taten aus Gruppen heraus begangen wurden und einzelne Täter nicht immer klar identifiziert werden konnten.
Mit dieser Vorschrift wollte der Gesetzgeber eine rechtliche Lücke schließen und ermöglichen, dass auch Personen bestraft werden können, die sich in einer Gruppe befinden, aus der heraus eine Straftat begangen wird – selbst wenn sie nicht direkt an der Tat beteiligt sind.
Abgrenzung zu anderen Straftatbeständen
Im Unterschied zu klassischen Beihilfedelikten (§ 27 StGB) oder Mittäterschaft (§ 25 StGB) setzt § 184j StGB keine nachweisbare Unterstützungshandlung voraus. Es genügt, dass sich eine Person in einer Gruppe befindet, aus der heraus eine Straftat geschieht, und dass die Gruppendynamik diese Tat erleichtert hat.
Dadurch ergibt sich ein sehr weitreichender Strafbarkeitsrahmen, der in der juristischen Praxis oft kritisiert wird.

Voraussetzungen für eine Strafbarkeit nach § 184j StGB
Damit eine Person nach § 184j StGB bestraft werden kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
1. Die Gruppe muss aus mindestens drei Personen bestehen
Eine „Gruppe“ im Sinne des Gesetzes besteht aus mindestens drei Personen. Einzelne Beteiligte reichen nicht aus.
2. Das Opfer muss durch die Gruppe „bedrängt“ werden
Das Gesetz spricht von einem „Bedrängen“. Dies bedeutet, dass das Opfer in seiner Bewegungsfreiheit oder Entscheidungsfreiheit nachhaltig beeinträchtigt wird.
- Was reicht nicht aus?
- Ein bloßes Versperren des Weges für eine Sekunde
- Eine kurzzeitige Einschüchterung ohne weitere Folgen
- Was könnte ausreichen?
- Eine Gruppe von Personen umstellt eine Person und hält sie fest
- Mehrere Personen rücken bedrohlich auf eine Person zu und verhindern deren Flucht
3. Eine Straftat muss aus der Gruppe heraus begangen werden
Mindestens eine Person aus der Gruppe muss tatsächlich eine strafbare Handlung begehen, beispielsweise:
4. Keine aktive Beteiligung erforderlich
Ein Beschuldigter muss die Straftat nicht selbst begangen haben. Es reicht, wenn seine Anwesenheit oder Gruppenzugehörigkeit die Tat erleichtert hat.
Strafen und Konsequenzen
Strafrahmen und mögliche Sanktionen
§ 184j StGB sieht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe vor.
In der Praxis orientiert sich die konkrete Strafzumessung an Faktoren wie:
- Der Schwere der aus der Gruppe heraus begangenen Tat
- Der persönlichen Beteiligung des Beschuldigten
- Der Vorstrafenlage
Abgrenzung zu schwereren Delikten
Falls innerhalb der Gruppe schwerere Straftaten begangen werden, kann der Beschuldigte nach anderen Vorschriften des StGB belangt werden, zum Beispiel:
- Vergewaltigung (§ 177 StGB) → deutlich härtere Strafen
- Gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) → höhere Freiheitsstrafen
- Landfriedensbruch (§ 125 StGB) → spezielle Vorschrift für Gewalt aus Gruppen
In diesen Fällen verdrängt das schwerere Delikt oft die Anwendung von § 184j StGB.
Typische Fallkonstellationen und Beispiele
Einige Fallbeispiele verdeutlichen die praktische Relevanz des § 184j StGB:
Beispiel 1: Die Festival-Situation
Auf einem Festival umzingeln mehrere Personen eine Frau. Während einer von ihnen sie unsittlich berührt, stehen die anderen um sie herum und lachen. Auch diejenigen, die nur in der Gruppe standen, könnten nach § 184j StGB bestraft werden.
Beispiel 2: Die nächtliche Attacke
Eine Gruppe von Jugendlichen bedrängt nachts eine Person an einer Bushaltestelle. Ein Mitglied der Gruppe schlägt dem Opfer ins Gesicht. Die anderen könnten strafrechtlich belangt werden, selbst wenn sie nicht zugeschlagen haben.
Verteidigungsstrategien bei Vorwürfen nach § 184j StGB
1. Fehlende Tatbeteiligung nachweisen
Kann die Verteidigung nachweisen, dass der Angeklagte nicht aktiv an der Tat beteiligt war oder gar nichts von der geplanten Straftat wusste, entfällt die Strafbarkeit.
2. Irrtums- oder Rechtfertigungsgründe geltend machen
- Der Angeklagte wusste nicht, dass aus der Gruppe heraus eine Straftat begangen werden würde.
- Er wollte das Opfer nicht bedrängen oder die Tat unterstützen.
3. Aussage gegen Aussage – Beweislage prüfen
Viele Verfahren beruhen auf Zeugenaussagen. Eine Verteidigung kann darauf abzielen, Widersprüche oder fehlende Beweise aufzuzeigen.

Relevante Gerichtsurteile und Präzedenzfälle
Da § 184j StGB relativ neu ist, gibt es bislang nur wenige höchstrichterliche Urteile. In der Praxis zeigt sich, dass Gerichte genau prüfen, ob die Gruppenzugehörigkeit tatsächlich zur Tat beigetragen hat.
Mögliche Gesetzesänderungen und aktuelle Entwicklungen
Es gibt juristische und gesellschaftliche Diskussionen über eine mögliche Abschaffung oder Reform von § 184j StGB. Kritiker bemängeln, dass die Vorschrift zu unbestimmt sei und gegen den Grundsatz „keine Strafe ohne Schuld“ verstoße.
Fazit: Was Angeklagte wissen sollten
- Bereits die bloße Anwesenheit in einer Gruppe kann strafbar sein.
- Eine aktive Beteiligung an der Tat ist nicht zwingend erforderlich.
- Verteidigungsstrategien sollten auf die individuelle Beweislage abgestimmt werden.
Wer eine Vorladung oder Anklage wegen § 184j StGB erhält, sollte umgehend einen spezialisierten Strafverteidiger konsultieren.
Häufig gestellte Fragen (FAQs)
1. Kann ich bestraft werden, wenn ich selbst nichts gemacht habe?
Ja, wenn Sie Teil einer Gruppe waren, aus der heraus eine Straftat begangen wurde und diese durch die Gruppensituation erleichtert wurde.
2. Welche Strafe droht bei § 184j StGB?
Eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe.
3. Wie kann ich mich gegen den Vorwurf verteidigen?
Indem Sie nachweisen, dass Sie keine aktive Beteiligung hatten oder nichts von der Tat wussten.
4. Wird § 184j StGB abgeschafft?
Es gibt Diskussionen, aber bislang bleibt die Norm in Kraft.
5. Gilt das Gesetz auch für andere Straftaten wie Diebstahl?
Ja, sofern eine Gruppe die Tat erleichtert hat.