Nötigung

Wenn eine Person gegen den eigenen Willen zu einer Handlung gezwungen wird, so kann der Strafbestand der Nötigung gem. § 240 Strafgesetzbuch (StGB) vorliegen. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und welche weiteren Straftaten in Betracht kommen, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Aktualisiert

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Über den AutorTommy Kujus ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht. Er ist Inhaber der Leipziger Kanzlei KUJUS Strafverteidigung, und bundesweit als Strafverteidiger tätig.

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Was ist eine  „Nötigung“?

Schnell können leichte, gewalttätige Übergriffe oder Drohungen den Straftatbestand einer Nötigung nach § 240 StGB verwirklichen. Eine Nötigung liegt vor, wenn der Täter vorsätzlich das Opfer mittels Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung zwingt. Diese bildet als verallgemeinertes Delikt die Basis vieler weiterer Straftatbestände mit höheren Strafrahmen, die der Täter erfüllen kann.

Wann ist eine „Nötigung“ strafbar?

Der Straftatbestand der Nötigung schützt die Freiheit des Opfers zur Willensentschließung und zur Willensbetätigung. Unter der Willensentschließung wird dabei die Freiheit verstanden, überhaupt einen Willen bilden zu können. Der Mensch soll also frei sein, Entscheidungen für sich selbst, ohne weitere Einflüsse, treffen zu können. Die Willensbetätigung umfasst hingegen die Freiheit, einen einmal gebildeten Willen auch umsetzten zu können.

Um sich hiernach strafbar zu machen, müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein.

Tathandlung: Nötigen

Der Täter müsste das Opfer genötigt haben. Unter Nötigen versteht man das Aufzwingen eines Verhaltens gegen den Willen des Opfers (sog. Genötigter). Es erfordert also zum Tatzeitpunkt einen tatsächlich entgegenstehenden Willen des Opfers.

Nötigungsmittel: Gewalt oder Drohung

Dieses Aufzwingen eines Verhaltens des Opfers durch den Täter (Nötigung) müsste mittels Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel erfolgt sein.

Unter Gewalt versteht man jede physische Einwirkung auf den Körper des Opfers, sodass die Willensbildung des Opfers ganz ausgeschlossen wird oder sich das Opfer dem Willen des Täters unterwirft. Ziel ist es, den durch das Opfer zu erwartenden oder geleisteten Widerstand zu überwinden. Dabei muss sich die Einwirkung auf den Körper des Opfers, zum Beispiel durch Tritte bzw. Schläge, Betäubung oder Fesselungen auswirken. Diese Gewalteinwirkung muss jedoch nicht erheblich sein. Es reicht aus, wenn mehr physische Energie eingesetzt wird als eigentlich erforderlich ist.

Psychisch vermittelter Zwang reicht hingegen nicht aus. Mittelbare Einwirkungen, wie das Wegreißen einer Handtasche, sind ebenfalls möglich, solange sich die Krafteinwirkung auf das Opfer niederschlägt. Erfolgt die Nötigung jedoch nur aufgrund von List, Tücke, Schnelligkeit oder durch das Ausnutzen eines Überraschungsmoments, so fehlt die geforderte Personengewalt.

Die Gewalt kann dabei gegen Sachen oder Personen gerichtet sein. Bei Gewalt gegen eine andere Person ist jeder beliebige Mensch erfasst, dessen erwarteter Widerstand gebrochen werden soll. Das Gewaltopfer muss auch nicht identisch mit dem Nötigungsopfer (Genötigter) sein. Es kann auch ein Dritter vor den Augen des Nötigungsopfers gequält werden, damit der Willen des Nötigungsopfers gebrochen wird. Eine Nähebeziehung, wie ein Verwandtschafts-, Freundschafts- oder Arbeitsverhältnis zwischen Nötigungs- und Gewaltopfer muss dabei nicht bestehen.

Gewalt liegt somit beispielsweise bei der Abgabe von Schreckschüssen, dem Einsperren in einem Raum, dem Fesseln des Opfers oder dem Beibringen betäubender Mittel vor. Auch bei körperlichen Blockaden auf Verkehrswegen oder Durchgängen bei Demonstrationen oder Streiks liegt nach der Rechtsprechung Gewalt vor (sog. Sitzblockaden-Entscheidung / „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“).

Nötigung

Die Nötigung kann jedoch auch unter der Anwendung von Drohungen mit einem empfindlichen Übel erfolgen. Unter einer Drohung versteht man das Inaussichtstellen eines künftigen Übels, auf das der Drohende (Täter) Einfluss zu haben vorgibt.

Bei der Drohung handelt es sich also um den Zwang durch psychische Einwirkungen, wie das Vorhalten einer Waffe. Erforderlich ist dabei, dass der Täter bei dem Opfer die Furcht vor dem bevorstehenden Übel erzeugt, wenn es nicht die vom Täter gewollte Forderung durchführt. Die Drohung kann dabei ausdrücklich, durch schlüssige Handlungen oder in versteckter Form erfolgen. Das bloße Ausnutzen von Angst ist nicht ausreichend.

Vorausgesetzt wird immer, dass der Eintritt des Übels vom Willen des Täters abhängig erscheint. Ob der Täter die Verwirklichung tatsächlich realisieren will oder es überhaupt ernst meint, ist irrelevant. Ausreichend ist, dass das Opfer glaubt, dass der Täter zur Umsetzung des Übels bereit ist. Auch die Drohung muss nicht unbedingt gegen den Genötigten selbst erfolgen. Sie kann auch gegen einen Dritten (Bedrohten) gerichtet sein. Eine Nähebeziehung zwischen dem Genötigten und dem Bedrohten wird ebenfalls nicht gefordert. Es kann somit beispielsweise mit Entlassung, Gewaltanwendung, Strafanzeige, öffentliche Bekanntmachung, Boykott, Selbsttötung oder Hungerstreik gedroht werden.

Besonders praxisrelevant sind die Fälle der „Nötigung im Straßenverkehr“, welche in einem gesonderten Beitrag erklärt werden.

Nötigungserfolg: Handeln, Dulden oder Unterlassen

Die Nötigung mittels Gewalt oder Drohung muss dann zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung des Opfers führen. Es reicht nicht aus, dass das Opfer sich nur bereit erklärt, das Gewollte zu tun. Es muss zumindest schon begonnen haben, sich entsprechend dem Willen des Täters zu verhalten.

Vorsatz

Der Täter muss die Nötigung vorsätzlich begangen haben. Er muss diese also mit Wissen und Wollen des Straftatbestandes verwirklicht haben. Hierbei ist ausreichend, dass der Täter die Nötigung billigend in Kauf genommen und zumindest für möglich gehalten hat (sog. Eventualvorsatz).

Handelt der Täter jedoch nur fahrlässig, also lässt er „nur“ die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht, so liegt keine Nötigung vor, da das Gesetz eine solche Tat nicht unter Strafe stellt.

Rechtswidrigkeit: Verwerflichkeit nach § 240 Abs. 2 StGB

Neben der Erfüllung der oben genannten Voraussetzungen, muss die Tat zusätzlich als „verwerflich“ anzusehen sein, um Bagatellfälle ausschließen zu können. Dies wird gesetzlich durch die sog. Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB verankert, welche besagt, dass „die Tat dann rechtswidrig ist, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Drohung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist“. Verwerflichkeit liegt dann vor, wenn die Tat sittlich auf tiefster Stufe steht und folglich moralisch in besonderem Maße zu missbilligen ist. Diese Missbilligung kann sich aufgrund des Mittel, des Zwecks oder der Zweck-Mittel-Relation ergeben.

Nötigung

Das Mittel ist verwerflich, wenn dessen Einsatz selbst schon einen Straftatbestand, wie eine Körperverletzung (§ 223 StGB), eine Beleidigung (§ 185 StGB) oder eine Bedrohung (§ 241 StGB), verwirklicht.

Der Zweck ist verwerflich, wenn der Täter vom Opfer eine strafbare Handlung oder ein Verhalten, auf das der Täter keinen Anspruch hat, verlangt.

Die Verwerflichkeit kann sich jedoch auch aus der Zweck-Mittel-Relation ergeben. Das liegt vor, wenn der Zweck und das Mittel für sich genommen nicht verwerflich sind, aber im Zusammenspiel als verwerflich anzusehen ist. Das liegt beispielsweise vor, wenn der Täter zur Durchsetzung eines Anspruchs mit einer Strafanzeige droht.

Versuch

Auch der Versuch einer Nötigung steht gem. §§ 249 Abs. 3, 23 Abs. 1, 12 Abs. 2 StGB unter Strafe. Ein Versuch liegt bereits dann vor, wenn der Täter nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar angesetzt hat (§ 22 StGB). Hierfür muss der Täter die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschritten haben und es muss unmittelbar eine Rechtsgutverletzung bevorstehen. Der Täter muss also mit dem Nötigen mithilfe von Gewalt oder Drohung begonnen haben. Zudem muss der Täter mit dem Entschluss zur Tat, also vorsätzlich gehandelt haben.

Strafantrag

Bei der Nötigung handelt es sich um ein sog. Offizialdelikt. Das bedeutet, dass eine solche Straftat durch die Strafverfolgungsbehörde (Staatsanwaltschaft) bei Kenntniserlangung von Amts wegen verfolgt wird. Ein Antrag durch den Geschädigten oder dessen gesetzlichen Vertreter ist daher nicht erforderlich.

Strafe

Die Nötigung gem. § 240 Abs. 1 StGB wird mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Eine Strafschärfung erfolgt hingegen bei besonders schweren Fällen nach § 240 Abs. 4 StGB.  Dabei muss der Täter neben der „einfachen“ Nötigung nach § 240 Abs. 1 StGB eines der in § 240 Abs. 4 S. 2 StGB genannten „Regelbeispiele“ verwirklichen. Solch ein Umstand liegt insbesondere vor, wenn der Täter eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch zwingt oder seine Befugnisse bzw. Stellung als Amtsträger missbraucht. Hiernach kann die Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren betragen.

Abgrenzung zu anderen Straftaten

Die Nötigung stellt in Bezug auf Taten gegen die Freiheit der Willensbildung und -betätigung eines anderen ein allgemeines Delikt dar. Es gibt jedoch speziellere Delikte, bei denen stets eine Nötigung aufgrund der gemeinsamen Voraussetzungen mitverwirklicht wird. Hierzu gehören insbesondere die Entziehung Minderjähriger (§ 235 StGB), die sexuelle Nötigung bzw. Vergewaltigung (§ 177 StGB), der Raub und die raubähnlichen Delikte (§§ 249 ff., 252, 316 StGB), die Erpressungsdelikte (§§ 253, 255 StGB) sowie der Widerstand und tätlicher Angriff gegen Vollstreckungsbeamte (§§ 113, 114 StGB). Aufgrund der unterschiedlichen Strafrahmen ist eine Abgrenzung vonnöten.

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