Notwehr

Wer angegriffen wird, hat das Recht sich zu wehren. Das bezeichnet man als „Notwehr“ gem. § 32 Strafgesetzbuch (StGB). Doch wann zählt eine Verteidigung als Notwehr und wann nicht? Welche Beispiele gibt es für beide Fälle? Die Antworten auf diese Fragen finden Sie im folgenden Beitrag.

Aktualisiert

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Über den AutorTommy Kujus ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Strafrecht. Er ist Inhaber der Leipziger Kanzlei KUJUS Strafverteidigung, und bundesweit als Strafverteidiger tätig.

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Was ist „Notwehr“?

Um einen Straftatbestand zu erfüllen, muss der Täter nicht nur den gesetzlichen Tatbestand verwirklichen, sondern auch rechtswidrig gehandelt haben. Unter Rechtswidrigkeit wird das Handeln im Widerspruch zur Gesamtrechtsordnung verstanden. Grundsätzlich wird sie durch die Verwirklichung eines gesetzlichen Tatbestands indiziert, also angenommen.

Ausnahmsweise kann die Handlung des Täters, die einen Straftatbestand begründet, nicht rechtswidrig sein, wenn ein Rechtsfertigungsgrund vorliegt. Solche Gründe sind überwiegend gesetzlich verankert und erlauben dem Täter die in der konkreten Situation vorgenommene Handlung, sodass eine Strafbarkeit entfällt.

Dabei stellt die Notwehr (bzw. Nothilfe) einen solchen Rechtfertigungsgrund dar, der gemäß § 32 StGB gesetzlich wie folgt geregelt ist.

Wann liegt „Notwehr“ vor?

Nach § 32 Abs. 2 StGB ist die Notwehr die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwenden. Es handelt sich umgangssprachlich also um die “Selbstverteidigung”.

Eine Notwehr liegt vor, wenn sich der Angegriffene (sog. Verteidiger) aufgrund der Umstände gegen den Angreifer wehren darf, um so den Schutz seiner Rechtsgüter zu wahren. Eine Strafbarkeit des Angegriffenen entfällt dann.

Notwehr

Notwehrlage

Zunächst muss eine Notwehrlage vorliegen, also eine Situation bestehen, in der das Notwehrrecht für den Angegriffenen gilt. Hierfür muss ein gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff durch den Angreifer vorliegen.

Ein Angriff ist jede menschliche Handlung, durch die die Verletzung von rechtlich geschützten individuellen Gütern oder Interessen bedroht wird. Geschützte Rechtsgüter sind insbesondere der Körper, das Leben und die Freiheit des Angegriffenen. Nicht geschützt sind hingegen das Vermögen und grundsätzlich die Rechtsgüter der Allgemeinheit (Umwelt, Rechtspflege, öffentlicher Frieden, etc.) sowie Rechtsgüter der öffentlichen Ordnung (vor allem ungeschriebene Verhaltensweisen).

Der Angriff ist gegenwärtig, wenn er unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert.

Rechtswidrig ist er, wenn der Angreifer seinerseits nicht gerechtfertigt bzw. der Angegriffene nicht zur Duldung verpflichtet ist.

Ein Angriff liegt z.B. vor:

  • bei einem Zulaufen „mit erhobenen Fäusten“
  • dem Zielen mit einer Waffe

Notwehrhandlung

Neben der Notwehrlage muss der Angegriffene eine Handlung, also eine Verteidigung gegen den Angreifer selbst oder dessen Rechtsgüter vorgenommen haben. Diese Handlung muss geeignet, erforderlich und geboten sein.

Die Handlung ist geeignet, wenn sie den Angriff abwehren oder verringern kann.

Die Handlung ist zudem erforderlich, wenn es sich um das mildeste, unter allen gleich geeigneten Mitteln handelt. Problematisch kann das Merkmal der Erforderlichkeit bei dem Einsatz von Schusswaffen sein. Hierbei muss der Angegriffene ein 3-Stufen-Modell einhalten, um seine Handlung rechtfertigen zu können. Er muss zunächst den Waffengebrauch androhen. Danach kann er den Angreifer mittels Schuss in nicht lebensbedrohliche Körperregionen, wie Gliedmaßen kampf- bzw. handlungsunfähig machen. Erst dann darf er den Angreifer tödlich verletzen.

Letztendlich muss die Handlung geboten sein. Hier wird die Handlung des Angegriffenen auf sozial-ethischer Ebene eingeschränkt. Solche Einschränkungen können sich beispielsweise dadurch ergeben, dass der Angegriffene den Angreifer absichtlich provoziert hat oder der Angreifer ein Kind, Betrunkener oder Geisteskranker ist und folglich schuldlos handelte.

Subjektives Element

Schließlich muss der Angegriffene in Kenntnis der Notwehrlage und -handlung mit Verteidigungswillen gehandelt haben. Er muss also gehandelt haben, um das beeinträchtigte Rechtsgut zu verteidigen. 

Notwehr: Beispiele

Einige Beispiele für eine Notwehr sind:

  • Handtaschendieb schubsen
  • Erschlagen des Vergewaltigers, um der sexuellen Misshandlung zu entgehen
  • Einbrecher anschießen
  • einen drohenden Schlag durch einen zuvor kommenden Schlag abwehren

Beispiele, bei denen keine Notwehr angenommen werden kann: 

  • (erhebliche) Verteidigung gegen sozial übliche Belästigungen: Anleuchten mit Taschenlampe, leichtes Anrempeln, Anfassen des anderen bei einem Wortwechsel ohne Angriffsabsicht, Anrauchen, Vordrängeln
  • Schutz eines Baumes durch tödlich wirkenden Elektrozaun
  • tödlicher Schuss auf einen Dieb, der eine geringwertige Sache stiehlt
  • Folter und dessen Androhung durch Amtsträger (z.B. Polizisten; „Fall Daschner“)

Unterschied: Notwehr – Notstand

Eine Notwehr nach § 32 StGB kommt dann in Betracht, wenn ein rechtswidriger, gegenwärtiger Angriff vorliegt. Ein Notstand nach § 34 StGB kommt hingegen in Betracht, wenn eine gegenwärtige, rechtswidrige Gefahr vorliegt. Ein Angriff ist ein menschliches Verhalten gegen geschützte Rechtsgüter, wie den Leib, das Leben oder den Körper. Eine Gefahr ist hingegen ein drohender Zustand, der jederzeit in eine Beeinträchtigung von Rechtsgütern umschlagen kann. Liegt eine der beiden Rechtfertigungsgründe – Notwehr oder Notstand – vor, so ist der Täter gerechtfertigt und somit straflos.

Notwehr

Besonderheit: Nothilfe

Erfolgt die Verteidigung, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von einem anderen als von sich abzuwenden, so spricht man von der sogenannten Nothilfe (vgl. § 32 Abs. 2 StGB). Diese kann ebenfalls die Strafbarkeit des Verteidigers, unter den oben genannten Voraussetzungen der Notwehr, entfallen lassen.

Besonderheit: Notwehrexzess

Besteht ein gegenwärtiger rechtwidriger Angriff, aber der Verteidiger überschreitet die Notwehrgrenzen, indem seine Handlung nicht erforderlich oder geboten ist, so kann seine Strafbarkeit zwar nicht auf Rechtswidrigkeitsebene, wohl aber auf Schuldebene entfallen, wenn er aus Verwirrung, Furcht oder Schrecken handelt (vgl. § 33 StGB).  Auch in diesen Fällen handelt er straflos.

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