1. Was ist die „schwere Körperverletzung“?
Die schwere Körperverletzung nach § 226 StGB unterscheidet sich maßgeblich von der gefährlichen Körperverletzung (§ 224 StGB). Während bei der gefährlichen Körperverletzung das eingesetzte Tatmittel (z. B. Waffe) oder die Art der Tatbegehung im Vordergrund stehen, geht es bei der schweren Körperverletzung um die schwerwiegenden Folgen der Tat.
Eine schwere Körperverletzung liegt vor, wenn der Täter das Opfer vorsätzlich körperlich misshandelt oder gesundheitlich schädigt und dadurch eine erhebliche, dauerhafte Schädigung eintritt. Das Gesetz listet in § 226 Abs. 1 StGB drei Gruppen schwerer Folgen auf, die diesen Straftatbestand erfüllen.
2. Wann ist die „schwere Körperverletzung“ strafbar?
Ziel des Straftatbestands ist der Schutz der körperlichen Unversehrtheit und des Wohlbefindens des Opfers. Schwere Körperverletzung setzt zunächst eine einfache Körperverletzung nach § 223 StGB voraus, die durch besonders gravierende Folgen zu einem Qualifikationstatbestand wird.
Grundtatbestand: § 223 StGB
Hierbei handelt es sich um die vorsätzliche körperliche Misshandlung oder Gesundheitsschädigung des Opfers. Dies bildet die Grundlage für den Tatbestand der schweren Körperverletzung.
Qualifikation: § 226 StGB
Um eine schwere Körperverletzung zu begründen, muss eine der schwerwiegenden Folgen aus § 226 Abs. 1 Nr. 1-3 StGB eintreten. Dazu gehören:
- Verlust von Sinnes- oder Körperfunktionen (Nr. 1)
- Verlust eines wichtigen Körperglieds (Nr. 2)
- Dauerhafte Entstellung, Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit (Nr. 3)
Diese Folgen müssen unmittelbar auf die Körperverletzung zurückzuführen sein. Ein Beispiel: Der Verlust des Sehvermögens auf einem Auge infolge eines Schlages.
3. Schwere Tatfolgen nach § 226 StGB
Verlust von Sinnes- oder Körperfunktionen (Nr. 1)
Dazu zählen unter anderem:
- Verlust eines Auges oder erhebliche Verminderung des Sehvermögens (unter 10 %)
- Verlust des Gehörs oder der Fähigkeit, artikulierte Laute zu verstehen
- Verlust des Sprechvermögens oder der Fortpflanzungsfähigkeit
Entscheidend ist, ob die Beeinträchtigung durch medizinische Maßnahmen reversibel ist. Bleibt ein Zustand dauerhaft bestehen, wird der Tatbestand erfüllt.
Verlust eines wichtigen Körperglieds (Nr. 2)
Körperglieder sind Teile des Körpers, die durch Gelenke verbunden sind (Arme, Beine, Finger). Ob ein Glied „wichtig“ ist, hängt von dessen Funktion ab.
- Ein Arm gilt immer als wichtig, während ein Finger nur bei bestimmten Tätigkeiten, etwa beim Pianisten, entscheidend sein kann.
- Innere Organe (z. B. Niere) fallen nicht unter diesen Tatbestand, auch wenn sie wichtig für den Körper sind.
Dauerhafte Entstellung, Siechtum, Lähmung, geistige Krankheit (Nr. 3)
- Entstellung: Betrifft die ästhetische Beeinträchtigung, etwa Narben oder der Verlust eines Körperteils (z. B. halbes Ohr).
- Siechtum: Ein chronischer Krankheitszustand, der den gesamten Organismus betrifft, wie eine HIV-Infektion.
- Lähmung: Verlust der Bewegungsfähigkeit eines Körperteils mit Auswirkungen auf den gesamten Körper.
- Geistige Krankheit: Psychische Störungen, die auf die Verletzung zurückzuführen sind.
4. Vorsatz und Fahrlässigkeit bei schwerer Körperverletzung
Für eine Verurteilung wegen schwerer Körperverletzung ist Vorsatz entscheidend. Der Täter muss die Körperverletzung vorsätzlich begehen, wobei bereits Eventualvorsatz (billigendes Inkaufnehmen) ausreicht.
Beispiel für Vorsatz:
Ein Schlag ins Gesicht mit der Erwartung, das Opfer könne bleibende Schäden erleiden.
Hinsichtlich der schweren Folgen genügt fahrlässiges Handeln, wenn diese unmittelbar auf die Körperverletzung zurückzuführen sind.
Fahrlässige schwere Körperverletzung
Bei Verkehrsunfällen oder medizinischen Behandlungsfehlern kann es zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung kommen (§ 229 StGB), wenn kein Vorsatz vorliegt.
5. Beispiele für schwere Körperverletzung
- Verlust des Augenlichts durch einen gezielten Schlag
- Abtrennen eines Fingers während einer Schlägerei
- Infizierung mit einer schweren Krankheit (z. B. HIV)
- Dauerhafte Narbenbildung im Gesicht nach einem Angriff
6. Strafen bei schwerer Körperverletzung
Die Strafen für schwere Körperverletzung sind hoch:
- Freiheitsstrafe: 1 bis 10 Jahre
- Minder schwere Fälle: 6 Monate bis 5 Jahre
Die Höhe der Strafe hängt von der Schwere der Tatfolgen, Vorsatz und den Umständen des Einzelfalls ab.
7. Einwilligung und Versuch bei schwerer Körperverletzung
Einwilligung des Opfers
Das Opfer kann unter bestimmten Bedingungen in eine schwere Körperverletzung einwilligen, etwa bei medizinischen Eingriffen oder Kampfsportarten. Die Einwilligung muss freiwillig und informiert erfolgen.
Versuch der schweren Körperverletzung
Bereits der Versuch ist strafbar (§ 226 i. V. m. § 23 StGB), sobald der Täter zur Tat unmittelbar ansetzt.
8. Verjährung und Strafantrag
Die Verjährung beträgt 10 Jahre. Schwere Körperverletzung ist ein Offizialdelikt und wird von den Strafverfolgungsbehörden von Amts wegen verfolgt. Ein Strafantrag des Opfers ist nicht erforderlich.
9. Schmerzensgeld und zivilrechtliche Ansprüche
Neben der strafrechtlichen Verfolgung können Opfer Schmerzensgeld verlangen. Die Höhe richtet sich nach der Schwere der Verletzung und kann in schweren Fällen 50.000 Euro oder mehr betragen.
10. Fazit
Schwere Körperverletzung ist ein Straftatbestand mit erheblichen rechtlichen und persönlichen Konsequenzen. Eine gute Verteidigung ist essenziell, um die Strafe zu mildern oder ungerechtfertigte Vorwürfe abzuwehren.
FAQs
1. Wann ist eine Körperverletzung „schwer“?
Wenn das Opfer bleibende körperliche oder gesundheitliche Schäden erleidet.
2. Was sind Beispiele für schwere Körperverletzung?
Verlust eines Sinnesorgans, Gliedmaßenschäden oder dauerhafte Entstellung.
3. Kann schwere Körperverletzung fahrlässig erfolgen?
Ja, wenn die Folgen unbeabsichtigt, aber durch eine fahrlässige Handlung verursacht wurden.
4. Ist der Versuch strafbar?
Ja, bereits der Versuch der schweren Körperverletzung ist strafbar.
5. Gibt es eine Verjährung?
Ja, die Verjährungsfrist beträgt 10 Jahre.