Zwangsheirat
Zwangsheirat, ein tief verwurzeltes soziales Phänomen, wirft ein bedrückendes Licht auf die Missachtung individueller Freiheiten und Menschenrechte. Bei einer Zwangsheirat wird eine Person gegen ihren Willen und oft unter Druck oder Gewalt in Ehen gezwungen. Das kann zu schwerwiegenden physischen, emotionalen und sozialen Konsequenzen führen. Gleichzeitig stellt die Zwangsheirat im deutschen Recht einen Straftatbestand nach § 237 Strafgesetzbuch (StGB) dar. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und welche Strafe droht, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Die Zwangsheirat ist kein bloßes gesellschaftliches oder kulturelles Problem – sie ist ein klar definierter Straftatbestand im deutschen Strafrecht. Geregelt in § 237 StGB, stellt sie die erzwungene Eingehung einer Ehe unter Strafe. Eine Ehe gilt dann als „erzwungen“, wenn sie nicht auf dem freien Willen beider Partner beruht, sondern durch Gewalt, Drohung oder List herbeigeführt wurde. Dies umfasst sowohl physische Zwangsmaßnahmen als auch psychische Gewalt, etwa durch massiven familiären Druck oder Drohung mit sozialer Ächtung.
Psychologischer Druck als Tatmittel
Auch wenn der Druck subtil ist – etwa durch emotionale Erpressung oder die Androhung des Ausschlusses aus der Familie –, kann bereits eine strafbare Handlung vorliegen. Entscheidend ist nicht die Intensität des Drucks, sondern die Einschränkung der Willensfreiheit. Die Schwelle zur Strafbarkeit wird überschritten, wenn das Opfer sich objektiv genötigt sieht, der Ehe zuzustimmen, um schlimmere Konsequenzen zu vermeiden.
Der Tatbestand des § 237 StGB im Detail
Wortlaut und Systematik
§ 237 StGB umfasst vier Absätze:
- Absatz 1 stellt die erzwungene Eheschließung unter Strafe.
- Absatz 2 erfasst die sogenannte „Verschleppung zur Zwangsheirat“ ins Ausland.
- Absatz 3 erklärt den Versuch für strafbar.
- Absatz 4 ermöglicht in minderschweren Fällen eine mildere Bestrafung.
Die Vorschrift schützt das Grundrecht auf Eheschließungsfreiheit, das als Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG verstanden wird. Das Recht, eine Ehe freiwillig einzugehen oder abzulehnen, gehört zu den zentralen Freiheitsrechten eines Individuums.
Objektiver Tatbestand
Für eine Strafbarkeit nach § 237 Abs. 1 StGB müssen folgende Elemente vorliegen:
- Eine Nötigung zur Eingehung einer Ehe,
- durch Gewalt, Drohung mit einem empfindlichen Übel oder List,
- wobei das Mittel oder der Zweck als verwerflich zu beurteilen ist (§ 240 Abs. 2 StGB analog).
Die Tatmittel umfassen:
- Gewalt im Sinne körperlicher Übergriffe oder Einschränkungen der Bewegungsfreiheit.
- Drohungen mit empfindlichen Übeln, etwa Zwangsausreisen, Gewalt, Ehrverlust.
- List – zum Beispiel das Vortäuschen einer Urlaubsreise, die tatsächlich zur Eheschließung führen soll.

Subjektiver Tatbestand
Erforderlich ist mindestens Eventualvorsatz. Der Täter muss also wissen oder zumindest billigend in Kauf nehmen, dass das Opfer zur Eheschließung gezwungen wird.
Verwerflichkeitsklausel
Die Verwerflichkeitsklausel sichert ab, dass nur sozialethisch missbilligte Handlungen strafbar sind. Ein Beispiel: Die Androhung einer Enterbung allein reicht nicht – erst wenn das Mittel oder der Zweck moralisch besonders verwerflich erscheint, greift § 237 StGB.
Verschleppung zur Zwangsheirat – § 237 Abs. 2 StGB
Diese Norm erfasst Konstellationen, in denen das Opfer:
- ins Ausland verbracht wird,
- dazu veranlasst wird, sich dorthin zu begeben,
- oder an der Rückkehr gehindert wird,
um dort eine Ehe gegen seinen Willen einzugehen. Typisch ist hier die Konstellation eines geplanten „Urlaubs“ im Heimatland der Familie, bei dem das Opfer vor Ort unter Druck gesetzt oder gar festgehalten wird.
Entscheidend ist: Die tatsächliche Eheschließung muss nicht vollzogen werden. Es reicht die konkrete Gefahr, dass die betroffene Person zur Ehe gezwungen werden soll.
Strafbarkeit des Versuchs – § 237 Abs. 3 StGB
Der Versuch ist bereits strafbar – etwa wenn das Opfer am Flughafen angetroffen wird, während es gegen seinen Willen zu einer Zwangsehe ins Ausland gebracht werden soll. Der unmittelbare Tatentschluss und ein unmittelbares Ansetzen zur Tat reichen aus.
Strafrahmen und prozessuale Behandlung
Strafmaß
Im Regelfall drohen Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. In minder schweren Fällen kann das Gericht auf eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren erkennen. Eine Geldstrafe ist dabei keineswegs als Bagatelle zu verstehen – sie kann mehrere Monatsgehälter umfassen.
Offizialdelikt
Zwangsheirat ist ein Offizialdelikt. Die Strafverfolgungsbehörden müssen tätig werden, sobald sie Kenntnis erhalten – auch ohne Strafantrag des Opfers. Selbst wenn das Opfer im Verlauf des Verfahrens keine Aussage mehr machen will oder den Täter schützt, wird das Verfahren grundsätzlich fortgeführt.
Strafprozessuale Besonderheiten
Aussage gegen Aussage
In der Praxis fehlt es häufig an objektiven Beweismitteln. Der Ausgang des Verfahrens hängt dann maßgeblich von der Aussage des Opfers ab. Für die Verteidigung bedeutet das: Jedes Detail der Aussage ist auf Widersprüche, Lücken und zeitliche Unstimmigkeiten zu überprüfen.
Aussageverweigerungsrecht nach § 52 StPO
Verwandte des Beschuldigten haben ein umfassendes Zeugnisverweigerungsrecht. Gerade in familiären Konstellationen, wie sie bei Zwangsehen regelmäßig vorkommen, ist dieses Recht ein strategisches Verteidigungsmittel. Die Staatsanwaltschaft muss sorgfältig abwägen, welche Zeugen tatsächlich belastbar sind.
Glaubhaftigkeitsgutachten
Psychologische Gutachten zur Glaubhaftigkeit der Aussage spielen eine zentrale Rolle. Sie prüfen nicht nur die Konsistenz der Angaben, sondern auch suggestive Befragungstechniken, Erinnerungslücken und mögliche sekundäre Motive des Opfers (z. B. Aufenthaltsrecht, Familienkonflikte).
Typische Verteidigungsstrategien
Arrangierte Ehe statt Zwangsheirat
Ein häufiger Verteidigungsansatz: Die Ehe wurde zwar durch die Familie vermittelt, aber nicht gegen den Willen des Opfers geschlossen. Entscheidend ist hier der Nachweis der freiwilligen Zustimmung – selbst wenn diese aus Respekt gegenüber der Familie erfolgte.

Kein Vorsatz
Wenn der Täter glaubte, das Opfer sei einverstanden – etwa weil keine ausdrückliche Weigerung erkennbar war –, kann es am Vorsatz fehlen. Dieser Punkt ist besonders bei stillschweigender Duldung oder widersprüchlichem Verhalten des Opfers relevant.
Keine Verwerflichkeit
Nicht jede Beeinflussung ist „verwerflich“ im strafrechtlichen Sinne. Wird dem Opfer lediglich die wirtschaftliche Unterstützung entzogen oder eine Erbschaft verwehrt, kann dies außerhalb des Strafrechts bleiben – insbesondere, wenn kein illegitimer Zweck verfolgt wird.
Unklare Beweislage
Wenn weder Zeugen noch belastbare Indizien vorliegen, ist ein Freispruch möglich. Die Verteidigung muss herausarbeiten, dass ein Schuldspruch allein auf der Aussage des Opfers ohne objektive Stützung unverhältnismäßig wäre.
Relevante Urteile und Rechtsprechung
In der jüngeren Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof (BGH) betont, dass die Ermittlung der Freiwilligkeit im Zentrum der gerichtlichen Prüfung steht (vgl. BGH, Beschl. vom 10.03.2021 – 1 StR 43/21). Auch wurde klargestellt, dass eine Zwangsheirat nicht automatisch vorliegt, wenn das Opfer einer Heirat „zustimmt“, obwohl es innerlich ablehnt – entscheidend sei das äußere Erscheinungsbild und die erkennbaren Umstände des Zwangs.
Ein weiteres Urteil des OLG Hamm (22.08.2019 – III-5 RVs 53/19) stellt klar, dass auch emotionale und kulturelle Abhängigkeiten strafrechtlich relevant sein können – etwa wenn das Opfer sich nicht mehr in der Lage sieht, sich der Entscheidung der Familie zu widersetzen.
Internationale Aspekte und Auslieferung
Zwangsheiraten haben oft eine grenzüberschreitende Dimension. Viele Fälle betreffen Familien mit Migrationshintergrund, bei denen Teile der Tat im Ausland vorbereitet oder durchgeführt werden. Die internationale Zusammenarbeit – etwa über Rechtshilfeabkommen oder Europol – ist daher essenziell.
Auch die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit stellt sich häufig. Nach § 7 StGB kann auch eine im Ausland begangene Tat in Deutschland verfolgt werden, wenn das Opfer deutscher Staatsangehöriger ist oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat.
Fazit: Ein Tatbestand mit großer Komplexität – und hohem Verteidigungspotenzial
Die Zwangsheirat nach § 237 StGB ist ein vielschichtiger Tatbestand, der weit über eine bloße Nötigung hinausgeht. Gerade durch die kulturelle Einbettung und familiäre Struktur der Taten ist das Verfahren oft besonders sensibel – sowohl für die Staatsanwaltschaft als auch für die Verteidigung. Eine erfolgreiche Strafverteidigung verlangt daher:
- fundierte Kenntnisse des Tatbestands,
- strategischen Umgang mit Beweisproblemen,
- Sensibilität für kulturelle Kontexte,
- und eine klare Differenzierung zwischen sozialem Einfluss und strafbarem Zwang.
FAQs – Häufig gestellte Fragen zur Zwangsheirat
1. Muss es zu einer tatsächlichen Heirat kommen, damit § 237 StGB greift?
Nein. Bereits der Versuch, jemanden zur Ehe zu nötigen, ist strafbar (§ 237 Abs. 3 StGB).
2. Wann liegt eine minderschwere Tat vor?
Bei geringerem Unrechtsgehalt – etwa bei geringfügigem Druck ohne körperliche Gewalt – kann das Gericht einen minderschweren Fall annehmen (§ 237 Abs. 4 StGB).
3. Welche Rolle spielen religiöse Überzeugungen bei der Beurteilung?
Religiöse oder kulturelle Motive können das Verhalten erklären, entlasten jedoch nicht automatisch strafrechtlich. Maßgeblich ist das deutsche Strafrecht.
4. Können Familienangehörige zur Aussage gezwungen werden?
Nein, nach § 52 StPO können enge Verwandte die Aussage verweigern – eine wichtige taktische Komponente in der Verteidigung.
5. Welche Bedeutung hat ein psychologisches Gutachten?
Es kann entscheidend sein, um die Glaubhaftigkeit der Aussage zu beurteilen – insbesondere bei Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen.
Wenn Sie oder ein Angehöriger mit dem Vorwurf einer Zwangsheirat konfrontiert sind, ist schnelle anwaltliche Unterstützung unerlässlich. Ein spezialisierter Strafverteidiger kennt die Komplexität solcher Verfahren und schützt Ihre Rechte mit juristischer Präzision.