Das heimliche Abstreifen oder Beschädigen eines Kondoms beim Geschlechtsverkehr, auch Stealthing genannt, ist ein stark diskutiertes Thema. Während es lange Zeit eine rechtliche Grauzone war, haben deutsche Gerichte mittlerweile klargestellt, dass Stealthing strafbar ist und schwerwiegende Konsequenzen haben kann. Was bedeutet Stealthing genau, wie wird es rechtlich bewertet und welche Urteile existieren bereits? In diesem Artikel beleuchten wir alle wichtigen Aspekte umfassend und verständlich.
Was bedeutet Stealthing?
Definition des Begriffs “Stealthing”
Stealthing beschreibt das heimliche Entfernen oder Beschädigen eines Kondoms während des einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs. Der Ausdruck leitet sich vom englischen Wort „stealth“ ab, was „heimlich“ oder „versteckt“ bedeutet. Entscheidend ist, dass der Partner oder die Partnerin dies nicht bemerkt und somit die ursprüngliche Einwilligung zu geschütztem Verkehr gebrochen wird.
Wie ist der Begriff bekannt geworden?
Stealthing rückte 2017 ins Rampenlicht, als eine US-amerikanische Studie die Problematik untersuchte. Die Studie zeigte nicht nur das Ausmaß der Praxis, sondern auch, dass einige Männer in Online-Foren darüber berichten und sich sogar mit dem heimlichen Entfernen von Kondomen rühmen. Diese erschreckenden Erkenntnisse führten zu einer internationalen Debatte über Einverständnis, Täuschung und die sexuelle Selbstbestimmung.
Warum ist Stealthing problematisch?
Stealthing verletzt nicht nur das Vertrauen zwischen Sexualpartnern, sondern stellt auch ein erhebliches gesundheitliches Risiko dar. Betroffene sind ungeschützt möglichen Geschlechtskrankheiten oder einer ungewollten Schwangerschaft ausgesetzt. Zudem greift die Praxis in die sexuelle Selbstbestimmung des Partners ein – ein Grundrecht, das im deutschen Strafrecht besonders geschützt ist.
Stealthing und die Strafbarkeit in Deutschland
Reform des Sexualstrafrechts: Fokus auf Einverständnis
Seit der Reform des Sexualstrafrechts im Jahr 2016 richtet sich der Fokus nicht mehr nur auf das Verhalten des Täters, sondern auf den erkennbaren Willen des Opfers. Laut § 177 Abs. 1 StGB macht sich strafbar, wer sexuelle Handlungen gegen den erkennbaren Willen einer Person vornimmt.
Einwilligung zu Safer Sex
In Fällen von Stealthing bezieht sich die Einwilligung häufig nur auf geschützten Geschlechtsverkehr. Entfernt ein Partner heimlich das Kondom, entfällt die ursprüngliche Einwilligung. Dies kann den Tatbestand des sexuellen Übergriffs erfüllen. In schweren Fällen, wie beim vorsätzlichen Übertragen einer Geschlechtskrankheit, könnte zudem eine gefährliche Körperverletzung vorliegen (§ 224 StGB).
Stealthing als Vergewaltigung?
Wann liegt eine Vergewaltigung vor?
Eine Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 6 StGB liegt vor, wenn eine Person gegen den erkennbaren Willen des Opfers sexuelle Handlungen vornimmt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Dabei ist entscheidend, dass die Einwilligung in den Sexualakt nur unter der Bedingung „Safer Sex“ erteilt wurde.
Die besondere Rolle der Täuschung
Der Akt des Stealthings basiert auf einer Täuschung. Einvernehmlicher Sex wird unter der klaren Bedingung des Kondomgebrauchs begonnen. Wird das Kondom jedoch heimlich entfernt, wird der einvernehmlich gestartete Akt zu einer unausgesprochenen Übertretung der Grenzen des Partners. Damit ist die sexuelle Selbstbestimmung verletzt.
Urteile zu Stealthing in Deutschland
Erstes Urteil: AG Berlin-Tiergarten
Ein wegweisendes Urteil fiel vor dem Amtsgericht Berlin-Tiergarten:
- Sachverhalt: Ein 37-jähriger Polizist und eine junge Frau hatten einvernehmlichen Sex. Die Frau hatte zuvor klar gemacht, dass sie nur unter Verwendung eines Kondoms zustimmt. Während des Akts entfernte der Mann jedoch heimlich das Kondom.
- Entscheidung des Gerichts: Das Gericht entschied, dass der Mann durch das Entfernen des Kondoms die ursprüngliche Einwilligung überschritten hatte. Der Tatbestand des sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StGB war erfüllt. Eine Vergewaltigung sah das Gericht jedoch nicht als gegeben an.
- Strafmaß: Der Angeklagte wurde zu 8 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und einer Zahlung von 3.000 Euro an die Geschädigte verurteilt.
Nachweisprobleme in der Praxis
Ein großes Problem bei der Ahndung von Stealthing-Fällen sind die praktischen Nachweisprobleme:
- War der Geschlechtsverkehr an sich einvernehmlich?
- Liegt ein konkludentes Einverständnis zur Entfernung des Kondoms vor?
Diese Fragen führen dazu, dass Gerichte oft genau prüfen müssen, ob der Vorfall den Tatbestand des sexuellen Übergriffs erfüllt.
Stealthing und gesundheitliche Folgen
Risiko von Geschlechtskrankheiten
Ohne Kondom steigt das Risiko einer Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten (z.B. HIV, Syphilis, Chlamydien). Betroffene sind dieser Gefahr ausgesetzt, ohne bewusst zugestimmt zu haben.
Ungewollte Schwangerschaften
Stealthing kann auch zu ungewollten Schwangerschaften führen, was insbesondere für betroffene Frauen enorme psychische und finanzielle Folgen hat.
Körperverletzung bei bewusster Infektion
Wenn der Täter eine Geschlechtskrankheit hat und das Kondom vorsätzlich entfernt, könnte dies als gefährliche Körperverletzung (§ 224 StGB) strafbar sein.
Prävention und Aufklärung von Stealthing
Gesellschaftliche Aufklärung ist notwendig
Stealthing bleibt oft ein Tabuthema. Durch öffentliche Kampagnen, schulische Aufklärung und stärkere mediale Präsenz kann das Bewusstsein für die Problematik geschärft werden.
Rechtliche Klarheit schaffen
Der Gesetzgeber könnte durch präzisere Regelungen im Sexualstrafrecht die Grundlage schaffen, Stealthing besser nachzuweisen und zu bestrafen.
Stealthing international – Ein Vergleich
Schweiz: Schändung statt Vergewaltigung
In der Schweiz wurde ein ähnlicher Fall erstinstanzlich als Vergewaltigung gewertet. In der nächsten Instanz urteilte das Gericht jedoch milder und sah den Tatbestand der Schändung als erfüllt an.
Andere Länder
In Ländern wie den USA oder Australien wird Stealthing ebenfalls zunehmend strafrechtlich verfolgt. Dort existieren bereits spezialisierte Gesetze, die Stealthing explizit als Straftat einordnen.
Fazit – Wie geht Deutschland mit Stealthing um?
Stealthing verletzt das Grundrecht der sexuellen Selbstbestimmung und stellt eine Straftat dar. Urteile wie das des AG Berlin-Tiergarten zeigen, dass deutsche Gerichte Stealthing konsequent verfolgen. Dennoch gibt es praktische Herausforderungen, insbesondere bei der Beweisführung. Eine breitere gesellschaftliche Aufklärung sowie klare gesetzliche Regelungen könnten dabei helfen, Täter zur Rechenschaft zu ziehen und Betroffene zu schützen.
FAQs zu Stealthing
1. Was ist Stealthing?
Stealthing bezeichnet das heimliche Abziehen oder Beschädigen eines Kondoms während des Geschlechtsverkehrs, ohne Einverständnis des Partners.
2. Ist Stealthing in Deutschland strafbar?
Ja, Stealthing kann gemäß § 177 Abs. 1 StGB als sexueller Übergriff gewertet werden.
3. Welche Strafen drohen bei Stealthing?
Strafen reichen von Geldstrafen bis zu Freiheitsstrafen von mehreren Jahren, abhängig von der Schwere des Falls.
4. Welche Folgen hat Stealthing für Betroffene?
Betroffene sind einem erhöhten Risiko für Geschlechtskrankheiten und ungewollte Schwangerschaften ausgesetzt.
5. Gibt es bereits Urteile zu Stealthing?
Ja, das Amtsgericht Berlin-Tiergarten verurteilte 2018 erstmals einen Täter zu 8 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung.