Swatting
Das absichtliche, unnötige Absetzen von Notrufen ist mehr als nur ein Streich oder eine jugendliche Sünde. Solche Handlungen, die auch als „Swatting“ bezeichnet werden, können schnell zu einer Strafbarkeit führen. Welche Voraussetzungen dafür erfüllt sein müssen und welche Strafen drohen, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Swatting ist mehr als ein digitaler Streich – es handelt sich um eine gezielte Täuschung mit potenziell lebensgefährlichen Folgen. Ziel ist es, durch eine absichtlich falsche Notrufmeldung einen polizeilichen oder rettungsdienstlichen Einsatz bei einer dritten Person zu provozieren – häufig durch die Meldung schwerer Straftaten wie Geiselnahme, Mord oder Schusswaffengebrauch.
Das Strafrecht steht dieser Entwicklung mit wachsender Sensibilität gegenüber. In Zeiten zunehmender Digitalisierung, Anonymisierungstechniken und internationaler Kommunikation stellen Swatting-Fälle eine besondere Herausforderung für Ermittlungsbehörden – und Strafverteidiger – dar.
Technischer Hintergrund und Ablaufschema eines Swattings
Täter greifen meist auf technische Hilfsmittel zurück, um ihre Identität zu verschleiern. Hierzu gehören:
- IP-Spoofing: Die Fälschung der eigenen Internetadresse.
- Call-ID-Spoofing: Täuschung der Anrufnummer gegenüber Notrufzentralen.
- VPNs und Anonymisierungsdienste: Verbergen der eigenen Herkunft.
- Bots und kompromittierte Systeme: Nutzung fremder Geräte zur Verschleierung.
Ein typischer Swatting-Vorgang folgt dabei einem klaren Schema:
- Auswahl eines Opfers – oft öffentlich bekannte Personen oder Streamer.
- Anruf bei Polizei oder Rettungsdiensten unter Vorspiegelung eines schweren Notfalls.
- Auslösung eines SEK- oder Polizeieinsatzes.
- Beobachtung oder gar Live-Übertragung der Reaktion.
- Anonymes Verschwinden des Täters im digitalen Raum.
Strafbarkeit nach deutschem Strafrecht
Auch wenn der Begriff „Swatting“ im deutschen Gesetz nicht ausdrücklich geregelt ist, greift die bestehende Strafgesetzgebung in vielen Punkten. Je nach Einzelfall kommen eine Vielzahl an Delikten in Betracht, die sich teils kumulieren lassen.
§ 145 StGB – Missbrauch von Notrufen
Dies ist der Kernstraftatbestand für Swatting. Der Wortlaut:
§ 145 Abs. 1 StGB:
Wer absichtlich oder wissentlich Notrufe oder Zeichen der Not gibt, obwohl ein Notfall nicht vorliegt, oder wer absichtlich oder wissentlich vortäuscht, dass wegen eines Unglücksfalles oder einer gemeinen Gefahr oder Not ein Einsatz erforderlich sei, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Tatbestand:
- Subjektiver Tatbestand: Der Täter muss mit Absicht oder zumindest Wissen handeln.
- Objektiver Tatbestand: Es muss ein Notruf oder ein Notzeichen abgesetzt worden sein, obwohl kein tatsächlicher Notfall vorliegt.
Strafmaß:
- Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe.
- In Verbindung mit weiteren Tatbeständen kann die Strafe deutlich höher ausfallen.

§ 164 StGB – Falsche Verdächtigung
Wird bei einem Swatting-Einsatz eine bestimmte Person beschuldigt – etwa mit dem Hinweis, sie habe eine Geisel genommen – kann zusätzlich § 164 StGB greifen:
Wer einen anderen bei einer Behörde oder zur öffentlichen Anzeige einer rechtswidrigen Tat bezichtigt, obwohl er weiß, dass dies unwahr ist, macht sich strafbar.
Strafmaß:
- Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.
Diese Norm schützt das Rechtsgut der individuellen Rechtssicherheit und beugt einer Instrumentalisierung staatlicher Macht gegen Unschuldige vor.
§ 240 StGB – Nötigung
In Fällen, in denen der Täter gezielt Einfluss auf das Verhalten des Opfers nehmen will – etwa durch Erschrecken oder Einschüchterung –, kommt zusätzlich Nötigung in Betracht:
„Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt…“
Ein Polizeieinsatz mitten in der Nacht, ausgelöst durch eine fingierte Notlage, stellt zweifellos ein empfindliches Übel dar, das zur Beeinflussung des Verhaltens geeignet ist.
Strafmaß:
- Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe.
§ 223 StGB – Körperverletzung
Kommt es im Rahmen des Einsatzes zu physischen Schäden – etwa durch übermäßige Anwendung von Zwang durch die Polizei, Panikreaktionen oder Unfälle –, kann der Täter auch hierfür verantwortlich gemacht werden.
Selbst indirekt verursachte Verletzungen (z. B. Sturz aus Angst) können dem Swatter zugerechnet werden, sofern Kausalität und Zurechenbarkeit vorliegen.
§ 263 StGB – Betrug
Ein Einsatz des Rettungsdienstes verursacht erhebliche Kosten. Wird dieser durch eine bewusste Täuschung veranlasst, um etwa Ressourcen zu verschwenden oder den Staat zu schädigen, liegt ein Fall von Betrug gemäß § 263 StGB nahe:
„Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen…“
Strafmaß:
- Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe.
- In besonders schweren Fällen (z. B. bandenmäßiges Vorgehen): bis zu zehn Jahre.
Weitere denkbare Delikte
- § 249 StGB – Raub, wenn Swatting gezielt zur Vorbereitung eines Raubüberfalls dient.
- § 129 StGB – Bildung krimineller Vereinigungen, bei gemeinschaftlich begangenem Swatting.
- § 126 StGB – Androhung von Straftaten, wenn der Notruf Drohungen enthält.
Swatting und fahrlässige Tötung (§ 222 StGB)
Tragische Fälle aus den USA zeigen, dass Swatting tödlich enden kann. Wird in Deutschland ein Mensch durch einen durch Swatting ausgelösten Polizeieinsatz getötet, steht die Frage im Raum: Ist der Täter hierfür verantwortlich?
Fahrlässige Tötung setzt voraus:
- Eine Sorgfaltspflichtverletzung
- Vorhersehbarkeit des Todes
- Vermeidbarkeit des Ergebnisses
Wenn der Täter bewusst ein Szenario schafft, das mit hoher Wahrscheinlichkeit eskaliert, kann eine fahrlässige Tötung in Betracht kommen – in besonders schweren Fällen sogar ein bedingter Vorsatz, der zu einer Anklage wegen Totschlags oder Mordes führen könnte.
Zivilrechtliche Ansprüche der Opfer
Neben der strafrechtlichen Verfolgung bestehen für Swatting-Opfer zivilrechtliche Ansprüche gegen den Täter, etwa:
- Schadensersatz: für zerstörtes Eigentum, medizinische Kosten oder entgangenen Gewinn.
- Unterlassung: um weitere Attacken zu verhindern, etwa durch einstweilige Verfügungen.
Verteidigungsstrategien bei Swatting-Vorwürfen
Technische Spuren sind kein eindeutiger Beweis
Viele Ermittlungen basieren auf technischen Daten – etwa IP-Adressen, Telefonmetadaten oder Logins. Doch:
- VPNs verschleiern die IP-Adresse
- Anrufe lassen sich fälschen (Call-ID-Spoofing)
- Geräte können gehackt oder missbraucht werden
Vorsatz schwer nachweisbar
§ 145 StGB verlangt absichtliches oder wissentliches Handeln. In der Praxis kann dies oft nur durch zusätzliche Beweise wie Chatverläufe, Geständnisse oder Aussagen Dritter bewiesen werden.
Ein Verteidiger kann argumentieren:
- Es lag keine Täuschungsabsicht vor.
- Die Handlung war Teil eines jugendlichen Streichs ohne Wissen um die Folgen.
- Andere Personen hatten Zugriff auf die verwendete Technik.
Jugendliche und Heranwachsende: Anwendung des Jugendstrafrechts
Bei Tätern unter 21 Jahren kann – abhängig von Reifegrad und Tatmotivation – das Jugendstrafrecht angewendet werden. Hier steht der Erziehungsgedanke im Vordergrund.
Mögliche Sanktionen:
- Sozialstunden
- Teilnahme an Aufklärungsprogrammen
- Erziehungsmaßregeln
- In schwereren Fällen: Jugendarrest oder Freiheitsentzug
Besonderheiten im Ermittlungsverfahren
Swatting wird häufig als Gefahr für die öffentliche Sicherheit eingestuft, was besondere Befugnisse für die Ermittlungsbehörden mit sich bringt:
- Durchsuchung der Wohnung
- Sicherstellung von IT-Geräten
- Telekommunikationsüberwachung
- Anordnung von Untersuchungshaft bei Flucht- oder Verdunkelungsgefahr
Ein Frühzeitiger Beistand durch einen Verteidiger ist essenziell, um Rechte zu wahren und Maßnahmen anzufechten.

Swatting im Online-Gaming und neue Tätermotive
Swatting hat seinen Ursprung in der Gaming-Community. Dort wurden Mitspieler während Livestreams oder in Online-Duellen Opfer falscher Notrufe – ursprünglich als perfides „Spiel“ gedacht, das inzwischen in reale Gefahrensituationen umschlägt. Heute stehen zunehmend Rache, Machtausübung oder reiner Nervenkitzel im Vordergrund. Die Täter ignorieren dabei bewusst die Risiken für Leben und Gesundheit der Betroffenen sowie der Einsatzkräfte.
Mediale Vorverurteilung – eine besondere Gefahr
Swatting-Fälle sind oft spektakulär und medienwirksam. Vorverurteilungen durch Presse und soziale Netzwerke führen schnell zu einem Reputationsverlust – unabhängig von der tatsächlichen Schuldfrage.
Ein prominenter Fall von Swatting in Deutschland betrifft den YouTuber Rainer Winkler, bekannt als „Drachenlord“. Im Juli 2015 wurde durch einen fingierten Notruf ein Großeinsatz der Feuerwehr bei seinem Wohnhaus in Altschauerberg ausgelöst. Der Anrufer behauptete, es sei ein Großbrand ausgebrochen. Tatsächlich handelte es sich um eine gezielte Täuschung, um Winkler zu schikanieren. Der Täter, Alexander S., wurde 2017 vom Landgericht Nürnberg-Fürth zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und fünf Monaten verurteilt. Dieses Urteil gilt als das erste bekannte Swatting-Urteil in Deutschland.
Der Fall „Drachenlord“ zeigt, wie Swatting als Mittel des Cybermobbings eingesetzt wird, um Einzelpersonen systematisch zu belästigen und zu terrorisieren. Die Täter nutzen dabei die Anonymität des Internets, um ihre Opfer in reale Gefahrensituationen zu bringen.
Sonderfall: Bombendrohung als Form des Swattings
Enthält der falsche Notruf eine Bombendrohung, verschärft sich die Situation erheblich. Es drohen dann:
- Evakuierungen ganzer Stadtteile
- Spezialeinsätze mit Spürhunden und Robotern
- Erhöhte Strafrahmen wegen Gefährdung der Allgemeinheit (§ 126 StGB)
Diese Sonderform erfordert spezifische Verteidigungsstrategien, da die öffentliche Wahrnehmung besonders sensibel reagiert.
Zukünftige Herausforderungen: KI und Deepfakes
Neue Technologien wie künstliche Intelligenz und Deepfake-Software machen Swatting zunehmend komplexer. Täter können heute täuschend echte Notrufe erzeugen – mit gefälschten Stimmen, realistisch simulierten Hintergrundgeräuschen oder manipulierten Videos. Diese Entwicklung stellt Ermittler und Gerichte vor neue Herausforderungen.
Strafverteidiger müssen künftig:
- Technische Expertise einholen, um Fälschungen zu erkennen
- Verwertbarkeit solcher Beweise hinterfragen
- Verfahrensrechtliche Standards im Umgang mit KI-generierten Inhalten einfordern
Gesellschaftliche Auswirkungen von Swatting
Swatting untergräbt nicht nur das Vertrauen in Notrufsysteme, sondern auch das öffentliche Sicherheitsgefühl. Wenn Polizei oder Rettungskräfte vorsätzlich fehlgeleitet werden, sinkt die Verfügbarkeit für echte Notfälle.
Fazit: Swatting ist strafbar – und hochriskant
Swatting ist kein harmloser Spaß. Wer Einsatzkräfte täuscht, riskiert nicht nur strafrechtliche Konsequenzen, sondern bringt Menschen in Gefahr – bis hin zu tödlichen Eskalationen.
Die Strafbarkeit ergibt sich aus einer Vielzahl von Normen, wobei § 145 StGB nur den Einstieg darstellt. Der tatsächliche Strafrahmen hängt maßgeblich vom Einzelfall ab – insbesondere von:
- Motivlage
- Schadensausmaß
- Gesundheitsfolgen
- Technischer Verschleierung
- Alter und Reife des Täters
Wer einer solchen Tat beschuldigt wird, sollte sofort einen erfahrenen Strafverteidiger einschalten. Gerade bei digitalen Beweismitteln und medienwirksamen Fällen ist professionelle Vertretung entscheidend für den Ausgang des Verfahrens.
FAQ – Häufige Fragen zum Thema Swatting
Ist Swatting in Deutschland strafbar, auch wenn niemand zu Schaden kommt?
Ja. Bereits das absichtliche Absetzen eines falschen Notrufs ist gemäß § 145 StGB strafbar – unabhängig vom tatsächlichen Ausgang.
Welche Strafen drohen bei Swatting?
Zwischen Geldstrafe und mehrjährigen Freiheitsstrafen, abhängig von den Folgen und weiteren Delikten wie falsche Verdächtigung, Nötigung oder Körperverletzung.
Wie kann man sich gegen einen Swatting-Vorwurf verteidigen?
Durch technische Gutachten, Infragestellung des Vorsatzes, Ausschluss der Täterschaft oder Nachweis alternativer Täter.
Gilt für Jugendliche ein anderes Strafmaß?
Ja, es kann Jugendstrafrecht angewendet werden. Dort steht die Erziehung im Vordergrund – oft mit milderen Sanktionen.
Was tun bei Vorladung oder Hausdurchsuchung wegen Swatting?
Keine Aussage ohne Anwalt. Schweigerecht nutzen. IT-Geräte nicht eigenmächtig manipulieren. Sofort Kontakt zu einem Strafverteidiger aufnehmen.